Hessen: Der Bohrer bleibt still

Die Mundesgesundheit in der Bevölkerung nimmt zu. Doch jeden Zweiten erwischt irgendwann die Parodontitis.
Immer seltener müssen Zahnärzte in Hessen zum Bohrer greifen. Insgesamt nimmt die Zahngesundheit der Bevölkerung zu. In den ländlichen Regionen im Norden weniger als im Ballungsraum – hier dürfte die schlechtere Versorgung mit Praxen ein Rolle spielen. Die Situation ist noch nicht so angespannt wie bei der Humanmedizin. Doch auch die meisten jungen Zahnärztinnen und Zahnärzte praktizierten lieber in der Stadt, sagte Stephan Allroggen, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, anlässlich der Vorstellung des Zahnreports 2022 der Barmer Ersatzkasse Hessen. Dies täten sie dann gerne als Angestellte in von Investoren betriebenen medizinischen Versorgungszentren.
Unerfreulich ist der Einbruch bei der Prophylaxe während der Corona-Pandemie. Wie aus dem Report hervorgeht, nahmen nur 48,8 Prozent der Anspruchsberechtigten im Jahr 2020 die jährlichen Vorsorgeuntersuchungen wahr, 1,9 Prozent weniger als im Vorjahr. Nicht zuletzt aus Furcht vor einer Ansteckung nahmen sie die Lücke im Bonusheft in Kauf. Die Folgen seien noch nicht absehbar, sagte Allroggen. Regelmäßige Besuche in der Praxen seien wichtig für jede Altersgruppe – angefangen von der Beratung junger Eltern bis hin zur Versorgung pflegebedürftiger Menschen.
Prävention wichtig
Ein großes Thema bleibe Parodontitis. Die chronische Erkrankung erfordere einen erheblichen Therapiebedarf. Jede zweite Person sei betroffen, die gesundheitlichen Risiken seien nicht zu unterschätzen. Die Entzündungen des Zahnfleischs blieben nicht im Mund. „Zu den möglichen Folgen einer Parodontitis zählen zum Beispiel Herzinfarkte, Schlaganfälle, Diabetes, Lungen- und Nierenerkrankungen.“ Neben Aufklärung und kontinuierlicher Behandlung der Betroffenen spiele bei Parodontitis Prävention eine große Rolle.
Hier sieht Barmer-Landeschef Martin Till Hessen auf einem guten Weg. Die Zahl der Patientinnen und Patienten mit akuten Beschwerden sinke. Die „therapiefreien Zeiten“ nähmen zu - in Hessen mehr als im Bundesdurchschnitt.
Der Zahnreport der Krankenkasse beleuchtet die Mundgesundheit von drei unterschiedlichen Altersgruppen. Untersucht wurde, über welchen Zeitraum die Befragten keine zahnärztlichen Eingriffe wie Wurzelbehandlungen, Füllungen, neue Kronen oder Parodontitisbehandlungen in Anspruch nahmen. Ergebnis: In den Jahren von 2012 bis 2020 verlängerte sich der Zeitraum bei den 20-Jährigen um knapp drei Monate auf 4,37 Jahre. In der Gruppe der 40-Jährigen waren es 2,24 Jahre, was einem Plus von vier Monaten entspricht. Bei den 60-Jährigen stieg die therapiefreie Zeit in diesem Zeitraum um zwei Monate auf 1,89 Jahre. Till: „Hessen hat in den letzten Jahren einen großen Schritt in Richtung einer nachhaltigen und präventionsgeprägten Zahnmedizin vollzogen, die Zahnerkrankungen möglichst vermeidet, bevor sie entstehen.“
Nord-Süd-Gefälle
Bei Betrachtung der Landkreise sind regionale Unterschiede erkennbar. Menschen im Rhein-Main-Gebiet und in Südhessen bleiben am häufigsten von Eingriffen verschont, allen voran die 20-Jährigen in Darmstadt mit im Durchschnitt rund 4,8 Jahren ohne Bohren. Bei den 40-Jährigen liegen die Versicherten aus Frankfurt mit rund 2,8 Jahren an der Spitze. In der Altersgruppe der 60-Jährigen sind es die Offenbacher:innen mit 2,2 Jahren. Insgesamt gibt es in Hessen ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Besonders schlecht ist die Mundgesundheit im Werra-Meißner-Kreis, in Fulda und in Hersfeld-Rotenburg.
Basis für die Analysen waren Sekundärdaten von rund 8,9 Millionen Barmer-Versicherten aus den Jahren 2012 bis 2020. Ihre Anzahl entspricht einem Anteil von 12,1 Prozent aller gesetzlich Versicherten und 10,7 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland.