Hessen: Debatte um Wählen ab 16

Die hessische SPD will das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 senken. Im Innenausschuss des hessischen Landtages werden Pro und Contra bei einer Anhörung intensiv diskutiert.
In Thüringen geht es, in Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Bremen: In insgesamt elf Bundesländern dürfen auch 16- und 17-Jährige bei der Kommunalwahl mitbestimmen. Nur fünf Länder, darunter Hessen, halten daran fest, dass man 18 Jahre sein muss, um kommunale Vertreter:innen wählen zu dürfen. Weil die SPD das ändern will und ein entsprechendes Gesetz in den hessischen Landtag eingebracht hat, wurde am Dienstag bei einer Anhörung im Innenausschuss kontrovers über das Für und Wider einer Herabsenkung des Wahlalters diskutiert.
Die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände äußerten sich dabei skeptisch. Man bleibe bei der Position, „die wir seit Mitte der 90er-Jahre haben“ und lehne eine Senkung des Wahlalters ab, sagte Johannes Heger, Geschäftsführer des hessischen Städte- und Gemeindebunds. Für die Kommunen würde eine Neuregelung einen großen Mehraufwand bedeuten, es entstehe sogar höheres „Fehlerpotenzial“, wenn Wahlhelfer:innen etwa bei parallelen Landtags- und Kommunalwahlen zwei Wahlverzeichnisse bräuchten. Stephan Gieseler vom hessischen Städtetag schlug in die gleiche Kerbe und betonte, auf der kommunalen Ebene gebe es etwa mit Jugendparlamenten vergleichsweise viele Möglichkeiten für junge Menschen, sich politisch einzubringen. Zudem sei es wichtig, bei Wahlen im Bund, im Land und in der Kommune das gleiche Wahlalter zu haben.
Motivierte Jungwähler
Verbände für Reform
Viele hessische Verbände sprechen sich für eine Absenkung des Wahlalters bei der Kommunalwahl von 18 auf 16 Jahre aus. Das gilt etwa für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die die Möglichkeiten junger Menschen, sich politisch zu beteiligen, für unzureichend hält.
Der Hessische Jugendring begrüßt ebenfalls eine entsprechende Gesetzesinitiative der SPD-Fraktion im Landtag, kritisiert aber, der Vorschlag gehe nicht weit genug. Das Wahlalter müsse auf allen Ebenen auf 16 gesenkt werden, da junge Menschen von politischen Entscheidungen betroffen seien und etwa als Auszubildende sogar Steuern zahlten. Der Verein „Mehr Demokratie“ argumentiert, bei 16- und 17-Jährigen liege kein ausreichender Grund vor, sie vom Wahlrecht auszuschließen, Reformen seien richtig.
Die Ombudsstelle für Kinder- und Jugendrechte in Hessen ist ebenfalls für das Wählen mit 16. Man erlebe häufig, dass Jugendliche sich nicht ernstgenommen und gehört fühlten, das Wahlalter solle daher möglichst auch bei Landtags- und Bundestagswahlen gesenkt werden. han
Jan Hilligardt, geschäftsführender Direktor des hessischen Landkreistags, sagte, in den 21 hessischen Landkreisen sei die Frage erneut kontrovers diskutiert worden. Dabei habe das Ziel, „junge Menschen an die Politik heranzuführen“, viel Sympathie bekommen. Da aber eine „Pattsituation in unserem Verband“ herrsche, könne man keine eindeutige Haltung beziehen.
Im Anschluss nahmen unterschiedliche Sachverständige zur Frage eines Wahlrechts ab 16 Jahren Stellung. Der Staatsrechtler Matthias Friehe von der privaten Hochschule EBS führte aus, dass eine Absenkung verfassungsrechtlich möglich wäre, es aber ein Problem geben könne, weil 16- und 17-Jährige oft Schüler:innen seien und beispielsweise im Politikunterricht, also vom Staat, in ihrer Wahlentscheidung beeinflusst werden könnten. Auch der Rechtswissenschaftler Emanuel Towfigh, ebenfalls von der EBS, sah keine verfassungsrechtlichen Probleme und sprach sich für das Wählen mit 16 aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass Berechtigte sich an Wahlen beteiligten, steige, „je früher man damit beginnt“, sagte Towfigh. Der Rechtswissenschaftler Hermann Heußner von der Hochschule Osnabrück argumentierte sogar, das Wählen mit 16 müsse eingeführt werden. Da belegt sei, dass Menschen im Alter von 16 und 17 bereits ausreichend einsichtsfähig seien, um eine Wahlentscheidung zu treffen, dürfe man ihnen ihr „demokratisches Existenzminimum“, also das Wahlrecht, nicht länger vorenthalten.
Der Chemnitzer Politikwissenschaftler Arndt Leininger sagte, Studien zeigten, dass es zwischen 16- und 18-Jährigen keine relevanten Unterschiede im Wahlverhalten gebe. Die Beschäftigung mit politischen Themen steige aber deutlich an, wenn junge Menschen wählen dürften. Zudem machten gerade junge Wähler:innen oft von ihrem Stimmrecht Gebrauch und motivierten teils sogar ihre Eltern, so Leininger. „Erstwähler wählen häufiger als bis zu 30-Jährige.“
Anders argumentierte der Marburger Staatsrechtler Steffen Dellerbeck: Obwohl Altersgrenzen „immer irgendwas Willkürliches“ hätten, sei er überzeugt, dass nur Erwachsene die intellektuelle Reife zum Wählen hätten, und zwar auf allen politischen Ebenen.