Flüchtlingspolitik in Hessen: Ruf nach Rückkehr zur Sachlichkeit

Die Grünen appellieren an die demokratischen Fraktionen im Landtag. Anlass ist eine hitzige Debatte mit gegenseitigen Schuldzuweisungen.
Die hessischen Grünen haben die demokratischen Fraktionen im Landtag aufgefordert, die Flüchtlingspolitik aus dem Wahlkampf auszuklammern. Das habe in Wiesbaden seit 2015 Tradition und sollte fortgesetzt werden, sagte Fraktionschef Mathias Wagner am Montag in Wiesbaden. Ein Missbrauch für parteipolitische Zwecke diene weder der Demokratie noch den Menschen, die hier Zuflucht suchten, betonte Wagner im Gespräch mit der Presse. Er forderte die Rückkehr zur Sachlichkeit: „Wir wollen die Herausforderungen bewältigen statt gegenseitige Schuldzuweisungen.“
Anlass ist eine hitzige Debatte zur Flüchtlingspolitik in der vergangenen Landtagssitzung. CDU und SPD hatten sich heftig darüber gestritten, wer die Verantwortung dafür trägt, dass die Kommunen in Brandbriefen mehr Hilfe von Land und Bund einfordern. Es sei richtig, dass es Probleme mit der Unterbringung und Betreuung gebe, räumte Wagner ein. Doch die gesamte Kraft sollte darauf verwendet werden, Lösungen zu finden und nicht, mit dem Finger auf die politische Konkurrenz zu deuten. Die Landtagsdebatte habe am Ende auch einen falschen Eindruck erweckt. Denn Bund und Land unternähmen erhebliche Kraftanstrengungen. Wagner appellierte: „Bloß weil die Bundesinnenministerin eine der Spitzenkandidat:innen für die Landtagswahl ist, darf das Thema Geflüchtete nicht zum Gegenstand von unsachlichen Wahlkampfdebatten durch CDU oder SPD werden.“ In der Sitzung hatte die CDU Nancy Faeser von der SPD vorgeworfen, sich nicht genug um Rückführungen zu kümmern, was die Sozialdemokraten erzürnte. Die AfD begrüßte die Aussagen der Union.
Geflüchtete in Hessen
In Hessen sind zwei verschiedene Ministerien für Geflüchtete zuständig. Das Innenministerium für die Menschen aus der Ukraine. Das Sozialministerium für alle anderen, denn diese müssen einen Antrag auf Asyl stellen.
In diesem Jahr wurden bis einschließlich 22. Februar laut Sozialministerium 2776 Asylsuchende für Hessen registriert. Die Hauptherkunftsländer waren (Stand Januar)
Afghanistan (46 Prozent), Türkei (15 Prozent), Syrien (12 Prozent), Iran (6 Prozent), Eritrea (3,5 Prozent), Algerien (2,5 Prozent) Somalia (2 Prozent), Russische Föderation (2 Prozent), Äthiopien (2 Prozent), Irak (1,5 Prozent), Sonstige (7 Prozent).
Aus der Ukraine waren im Ausländerzentralregister (Stand 12. Februar) 81 103 Personen in Hessen gemeldet, die vor dem Hintergrund des Krieges kamen. Darunter 37 958 Frauen, 21 023 Kinder (bis 13 Jahre) sowie 6318 Jugendliche (14 bis 17 Jahre).
Im ersten Monat nach Kriegsbeginn, dem März, suchten 35 797 Ukrainerinnen und Ukrainer Zuflucht in Hessen. Die Zahl stieg kontinuierlich bis auf 81 472 im Oktober und nahm dann wieder leicht ab. Quelle ist auch hier das Ausländerzentralregister. jur
Dass Flüchtlingspolitik trotz hoher Zugänge funktioniert, erläuterte Frankfurts Sozialdezernentin Elke Voitl. Die Grünen-Politikerin beschrieb am Montag in Wiesbaden, wie die Stadt vor einem Jahr die Erfahrungen aus der großen Migrationsbewegung 2015 nutzen konnte. Wie es gelang, in Kooperation mit dem Land das Erstversorgungszentrum in der Messe aufzubauen, damit die Ukrainer:innen nicht nach Gießen zur Erstaufnahme mussten. Wie tatsächlich noch Unterbringungsmöglichkeiten organisiert werden konnten – teils in Wohnungen, die sonst monatelang leerstehen würden. Wichtig sei, nun mehr Integrationskurse mit Kinderbetreuung anzubieten. Sozialdezernent Kai Klose wies darauf hin, dass die Zulassungshürden für Lehrer:innen von Sprachkursen gesenkt werden müssten. Die Kommunen bräuchten Kontinuität bei der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Integration. Dafür werde er sich als amtierender Vorsitzender der Integrationsministerkonferenz beim Bund einsetzen.
Um die Debatte zu versachlichen, haben die Grünen ein Thesenpapier erstellt. „Humanität und Ordnung gehören zusammen“ steht dort an erster Stelle. Es wird aber auch festgestellt, dass Rückführungen in Herkunftsstaaten sich schwierig gestalten. Und dass CDU wie SPD aus ihrer Regierungszeit dies wissen müssten. Die Grünen fordern legale Zuwanderung nach dem Modell der sogenannten Westbalkan-Regelung – das würde auch unbegründete Asylanträge reduzieren. Geld vom Bund sei nötig, löse aber die Probleme fehlender Baugebiete nicht, heißt es weiter in dem Papier. Und dass die Ausländerbehörden entlastet werden müssten. Pro Asyl habe dazu gute Vorschläge, die auf Bundes- und Landesebene umgesetzt werden sollten. In Hessen sei dies bislang daran gescheitert, dass das Innenministerium zuständig sei, sagte Wagner auf Nachfrage. Dort hat bekanntlich mit Peter Beuth ein CDU-Mann das Sagen.