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Drohung durch „NSU 2.0“: Gutachter bestätigt Anspruch von Basay-Yildiz gegenüber dem Land Hessen

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Von: Pitt von Bebenburg

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 Die Schreiben enthalten Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind, aber kurz vor dem ersten Drohfax von einem Computer im 1. Revier in Frankfurt abgerufen worden waren.
Die Schreiben enthalten Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind, aber kurz vor dem ersten Drohfax von einem Computer im 1. Revier in Frankfurt abgerufen worden waren. © Renate Hoyer

Juraprofessor Frankenberg gibt dem hessischen Innenministerium im Fall „NSU 2.0“ kontra: Land Hessen muss für Schutz der von „NSU 2.0“ bedrohten Anwältin Basay-Yildiz zahlen.

Frankfurt – Die bedrohte Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz hat einen Anspruch auf Geld vom Land Hessen, um Rechnungen für ihren Schutz zu begleichen. Zu diesem Ergebnis kommt der Juraprofessor Günter Frankenberg in einem Gutachten, das er im Auftrag der Anwältin erstellt hat und das der Frankfurter Rundschau vorliegt.

Es stehe Basay-Yildiz ein Amtshaftungsanspruch zu „für den rechtswidrigen und schuldhaften Abruf persönlicher Daten durch Amtsträger von einem polizeilichen Computer in einer polizeilichen Dienststelle während der Dienstzeit“, heißt es in Frankenbergs Expertise. Die Höhe ihres Anspruchs bemesse sich daran, „dass das LKA (Landeskriminalamt, Red.) die Rechtsanwältin Basay-Yildiz als ,gefährdete Person’ einstufte und zur Sicherheit von ihr und ihrer Familie ,flankierende Schutzmaßnahmen’ anordnete, die sich auf über 5000 Euro beliefen“.

Mit dem Kürzel „NSU 2.0“ schicken bis heute Unbekannte Morddrohungen per Fax

Die Anwältin war das erste Opfer von Drohungen bisher unbekannter Täter, die unter dem Kürzel „NSU 2.0‘“ firmieren, angelehnt an den rechtsterroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU), der zehn Menschen tötete. Seit 2018 erhält sie Faxe und Mails mit Todesdrohungen gegen sich und ihre Tochter. Die Schreiben enthalten Daten, die nicht öffentlich zugänglich sind, aber kurz vor dem ersten Drohfax von einem Computer im 1. Revier in Frankfurt abgerufen worden waren.

Das LKA riet Basay-Yildiz dazu, sich besser zu schützen, etwa ihre Wohnung und ihr Auto. Im Dezember teilte die Anwältin im FR-Interview mit, dass sie die Rechnung dafür an Innenminister Peter Beuth (CDU) schicken werde. Im Februar antwortete Landespolizeipräsident Roland Ullmann, dass das Land die Kosten nicht tragen werde. Zwar bedaure das Innenministerium, dass Basay-Yildiz und ihre Angehörigen sich „bedroht fühlen“ und ihr „aufgrund der Schutzvorkehrungen ein erheblicher Kostenaufwand entstanden“ sei. Einen Anspruch auf Erstattung habe sie aber nicht. Es lägen nämlich „keine Anhaltspunkte“ dafür vor, dass die rechtswidrige Datenabfrage „in Ausübung eines öffentlichen Amtes“ erfolgt sei und sie damit „hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen“ sei.

„NSU 2.0“: Personendaten wurden nachweislich von Polizeicomputer abgerufen

Diese Argumentation zerpflückt der Frankfurter Rechtswissenschaftler Frankenberg. Der Zugriff auf Personendaten und Meldeadresse sei „nachweislich während der Dienstzeit in den Diensträumen des Frankfurter Polizeireviers mit Hilfe eines Polizeicomputers, mithin hoheitlich“ erfolgt, schreibt er. Das mache ihn zu einer polizeilichen Anfrage.

„Folglich ist es nicht nur abwegig, sondern nachgerade absurd darzutun, die amtsmissbräuchliche, rechtswidrige Erlangung und Verwendung der persönlichen Daten sei nur ,bei Gelegenheit’ der polizeilichen Tätigkeit der bis dato identifizierten und suspendierten Polizeikräfte geschehen“, formuliert der Gutachter.

„NSU 2.0“: Gutachter nimmt auf Basis des Grundgesetzes den Staat in die Pflicht

Als Privatpersonen wäre diesen Polizeikräften schließlich der Online-Zugang zu Datenbanken verwehrt. „Dass sie sich zum gravierenden Nachteil der Rechtsanwältin Basay-Yildiz im Dienst und unter Zuhilfenahme des Polizeicomputers eine hoheitliche Aufgabe und hoheitliche Kompetenzen anmaßten, muss sich die Anstellungskörperschaft zurechnen lassen, auch wenn sie den Vorgang und die Zielsetzung – die wiederholten Morddrohungen – missbilligen mag.“

Frankenberg verweist auf das Grundgesetz. Dort heißt es in Artikel 34: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.“ (Pitt v. Bebenburg)

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