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Corona-Sondervermögen in Hessen ist verfassungswidrig

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Von: Peter Hanack

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Das Wappen des Landes Hessen in einem Sitzungssaal des Staatsgerichtshofs.
Das Wappen des Landes Hessen in einem Sitzungssaal des Staatsgerichtshofs. © Frank Rumpenhorst/dpa

Der hessische Staatsgerichtshof bezeichnet die Finanzierung der Corona-Nothilfen als verfassungswidrig. Die Opposition spricht von einer „großen Schlappe“.

CDU und Grüne müssen bis 31. März nächsten Jahres neu regeln, wie Corona-Nothilfen in Hessen finanziert werden sollen. Der vergangenes Jahr eingeschlagene Weg, dazu ein zwölf Milliarden Euro großes Sondervermögen einzurichten, ist nicht mit der Landesverfassung vereinbar. Das hat der Hessische Staatsgerichtshof am Mittwoch geurteilt.

Die Koalition habe mit dem sogenannten Gute-Zukunft-Sicherungsgesetz, in dem das Sondervermögen geregelt ist, das Budgetrecht des Landtags verletzt, begründete das Gericht sein insgesamt 103 Seiten umfassendes Urteil. Auch verstoße das Gesetz gegen das Haushaltsverfassungsrecht. Dass die Landesregierung sich ermächtigt habe, Kredite aufzunehmen, widerspreche zudem dem in der Schuldenbremse festgelegten Verbot der Neuverschuldung.

Hilfen haben Bestand

Obwohl das Gesetz und damit das Sondervermögen verfassungswidrig sind, gelten dessen Vorschriften dennoch weiter. Das heißt, dass ausgezahlte Corona-Hilfen nicht zurückgezahlt werden müssen. Auch bereits bewilligte Hilfen dürfen ausgezahlt werden. Das betrifft gut die Hälfte der zwölf Milliarden Euro. Allerdings ist die Landesregierung gehalten, keine weiteren größeren Beträge aus dem Sondervermögen in Anspruch zu nehmen.

Geld und Gericht

Das Corona- Sondervermögen ist einem Dispositionskredit vergleichbar, den die Landesregierung sich selbst eingeräumt hat. Sie darf demnach bis 2030 bis zu zwölf Milliarden Euro neue Schulden machen, weitgehend ohne parlamentarische Kontrolle.

Der Staatsgerichtshof ist so etwas wie das Bundesverfassungsgericht für Hessen. Er hat seinen Sitz in Wiesbaden. pgh

Der Staatsgerichtshof bemängelte vor allem die mit zwölf Milliarden Euro außergewöhnliche Größe und die lange Laufzeit des Sondervermögens bis 2023. Auch seien in weiten Teilen die jeweiligen Zwecke der aufzunehmenden Kredite nicht hinreichend beschrieben worden. Diese müssten direkt auf die Beseitigung der Corona-Notlage und ihrer Folgen abzielen. Der Präsident des Staatsgerichtshofs, Roman Poseck, verwies darauf, dass es für die Nothilfen andere Wege gegeben hätte, etwa das Aufstellen eines Nachtragshaushalts. Auch sei nicht die Möglichkeit genutzt worden, zunächst Rücklagen restlos aufzulösen.

Menschen nicht enttäuschen

Das Gericht setzte der schwarz-grünen Landesregierung eine Frist bis Ende März nächsten Jahres, um eine Neuregelung zu treffen. Diese Übergangszeit sei nötig, um ein „Loch“ zu vermeiden, wie Poseck sagte. Menschen, die auf die Hilfen angewiesen seien, müssten sich darauf verlassen können und dürften nicht enttäuscht werden.

Abgeordnete der SPD- und FDP-Landtagsfraktionen hatten im November 2020 den Normenkontrollantrag gegen das Gesetz gestellt, die AfD-Fraktion im März 2021. SPD-Fraktionsvorsitzende Nancy Faeser nannte das Urteil „eine große Schlappe für die Landesregierung“. Deren „Schattenhaushalt“ habe keinen Bestand. FDP-Chef René Rock sieht durch die Entscheidung das Schuldenmachen eingedämmt. Nun gehe es um die Rückkehr zu einem „gemeinsamen Weg“ zur Lösung der Krise.

Regierung muss nacharbeiten

Finanzminister Michael Boddenberg (CDU) räumte ein, man habe nun „nachzuarbeiten“. Er zeigte sich erleichtert, dass alle bisherigen Regelungen trotz des Urteils Bestand hätten. Mathias Wagner (Grüne) betonte, in einer existenziellen Krise dürften Kredite trotz Schuldenbremse aufgenommen werden. Allerdings müssten diese offenbar „anders ausgestaltet“ werden.

Man habe mit dem Urteil „Neuland“ betreten, sagte Richter Poseck. Es sei in noch keinem Bundesland und auch nicht auf Bundesebene verfassungsrechtlich über den Umgang mit der Schuldenbremse geurteilt worden. Er gehe deshalb davon aus, dass die hessische Entscheidung Maßstäbe setze und mittelbar auch Auswirkungen auf andere Länder habe. Der Gesetzgeber, also die Parlamente, könne und müsse sich daran orientieren.

Siehe dazu den Kommentar „Doch ein guter Tag“

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