Corona in Hessen: Weiter warten auf die Operation

Die Covid-Fälle sinken. Doch vor den Kliniken liegt eine Bugwelle verschobener Eingriffe. Und im Herbst die nächste Herausforderung.
Auch wenn ein Blick in Restaurants, Supermärkte oder Sportstudios anderes vermuten lässt: Die Pandemie ist bei weitem nicht vorbei. Nicht in den Köpfen der Politiker, die mit einem Déjà-vu im Herbst rechnen; nicht für das medizinische Personal. Allein auf der Warteliste des Klinikums Darmstadt stehen mehr als 80 Menschen, deren planbare Eingriffe wegen Corona verschoben wurden. „Das ist viel und muss abgearbeitet werden“, sagt Cihan Çelik, Oberarzt und Leiter der Covid-Station an dem Krankenhaus. Das geschehe, sobald die zweite Corona-Station nicht mehr benötigt werde.
Für Impfpflicht ab 60 Jahre
Auf Einladung des Hessischen Gesundheitsministers Kai Klose (Grüne) ist der Lungenexperte am Mittwoch nach Wiesbaden gereist, um über die aktuelle Situation zu berichten und um die Aufmerksamkeit der Bevölkerung wachzuhalten, die so gerne nichts mehr von Corona, Masken und dem ganzen Kram hören würde. „Das muss in der Diskussion bleiben“, sagt Minister Klose. „Das ist umso wichtiger, nachdem die Rahmenbedingungen mehr auf Eigenverantwortung setzen.“ Für enge Situationen empfiehlt er den Gebrauch eines Mund-Nase-Schutzes. Wie Çelik erteilt auch Klose jenen eine Absage, die jetzt ein Ende der Quarantänepflicht für Infizierte fordern.
Bei bundesweit mehr als 200 Todesfällen am Tag könne von dem Ende der Pandemie nicht die Rede sein. Spätestens für den Herbst erwartet der Minister die nächste Welle. Wie sie bewältigt wird, hänge von der Gefährlichkeit der dann vorherrschenden Variante ab und von dem Impfschutz, der mit der Zeit nachlasse, was eine Auffrischung erfordere. „Schon im Spätsommer muss es eine Wiederaufnahme der Impfkampagne geben“, ergänzt Çelik. Und davon, dass der Bund das Infektionsschutzgesetz so ändert, dass die Länder bei Bedarf wieder schnell eingreifen können.
Für Impfpflicht ab 60 Jahre
Aktuell empfiehlt die Ständige Impfkommission die vierte Impfung für Menschen über 70 Jahre. Nach Ansicht des Ministers ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch Jüngere dazu aufgefordert werden, sich ein zweites Mal boostern zu lassen; mit einem auf die Omikron-Variante angepassten Serum. Das Thema Impfpflicht sei nach dem Scheitern in Berlin noch nicht abgehakt. Das Bundesgesundheitsministerium müsse eine Pflicht ab 60 Jahre durchsetzen, eine Forderung, die die Kolleg:innen aller anderen Bundesländer mittrügen.
Die Orientierung am Alter lässt sich begründen. Es sind überwiegend Ältere, die derzeit mit einer Corona-Infektion auf der Darmstädter Intensivstation liegen und die daran sterben. Die meisten sind geimpft, sagt Çelik. Aber nicht ausreichend. „Ihnen fehlt der Booster.“ Oft handele es sich um Hochbetagte Bewohner:innen von Pflegeheimen, die nicht in der Lage seien, sich selbst um eine Auffrischung zu kümmern. „Da gibt es strukturelle und organisatorische Probleme.“ Die beiden Corona-Normalstationen seien seit Februar voll besetzt, darunter auch von Jüngeren ohne jeden Impfschutz. Die Lage entspanne sich langsam und erst seit einigen Tagen. Noch vor wenigen Wochen habe die Klinik kurz davor gestanden, eine dritte Covid-Station zu eröffnen. „Trotz relativ leichter Verläufe“, wie der Arzt betont.
Mit Sorge blickt der Lungenexperte auf den Herbst. Und auf den Personalmangel, der sich in der Pandemie noch einmal verschärft habe. Pflegekräfte würden regelmäßig aus den freien Tagen geholt, das stehe der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Wege. „Darauf brauchen wir eine Antwort.“ Zeitnahe Verbesserungen kann Gesundheitsminister Klose nicht in Aussicht stellen. „Die Personalfrage lässt sich nur langfristig lösen.“ Hessen habe die Schulgeldfreiheit in den Pflegeberufen eingeführt. Andere Schritte müssten im Chor mit den anderen Bundesländern gegangen werden. „Wir setzen auf die Bundesregierung.“