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Bewaffnet vom Lübcke-Mörder

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Von: Joachim F. Tornau

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Ehemaliger Arbeitskollege des Neonazis Stephan Ernst zu Bewährungsstrafe verurteilt

Auf dem Stuhl, der an diesem Donnerstagmorgen im Kasseler Amtsgericht die Anklagebank ersetzt, sitzt der 50-Jährige wie ein viel zu groß geratener Schuljunge. Den Blick zu Boden gerichtet, knetet der massige Mann die Hände im Schoß, bei jedem Satz überschlägt sich vor Aufregung seine Stimme. „Ich möchte alles sagen, was Sie mich fragen wollen“, erklärt Jens L. gleich zu Beginn. Treuherzig, reuig und mit einer geradezu flehentlichen Bitte: „Ich bitte darum, dass das alles vernichtet wird! Das muss vernichtet werden. Bitte!“

Es geht um Nazidevotionalien: Bücher, Orden, Dolche. Vor allem aber geht es um Waffen. Viele Waffen. Jens L. steht vor Gericht, weil er sich von Stephan Ernst, dem Kasseler Neonazi und Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke, hat bewaffnen lassen. Am Ende wird ihn das Schöffengericht wegen etlicher Verstöße gegen das Waffengesetz zu einer sehr glimpflichen Bewährungsstrafe von zwölf Monaten verurteilen. Als Bewährungsauflage muss der Mann 2000 Euro zahlen.

Mehrere Pistolen, eine Schrotflinte, ein Wehrmachtskarabiner, historische Vorderlader, aber auch zwei Springmesser und ein Schlagring wurden im Juni 2019 bei dem Angeklagten gefunden. Und fast 150 Schuss Munition. Das allermeiste, sagt der Bauschlosser aus Fuldabrück, habe ihm sein damaliger Arbeitskollege Stephan Ernst verkauft. Aber wofür? Ernst hat behauptet, dass Jens L. ein Gesinnungsgenosse gewesen sei, der sich wie er für einen „Bürgerkrieg“ gegen Geflüchtete habe rüsten wollen. Und er hat den Kollegen sogar bezichtigt, Schmiere gestanden zu haben beim Vergraben der Tatwaffe nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten.

Dennoch hat das Gericht darauf verzichtet, den im Januar vom Frankfurter Oberlandesgericht verurteilten Neonazi als Zeugen zu laden. Es glaubt dem Angeklagten, der seit der Durchsuchung seines Hauses immer wieder seine Harmlosigkeit beteuert hat und das auch jetzt wieder tut: „Ich hatte nichts vor“, sagt er. Ja, er habe mit Ernst zwar auch mal über Politik und über die „Flüchtlingskrise“ gesprochen. „Aber deshalb habe ich keine Waffen gekauft, um da Schaden anzurichten.“

Waffen in Messiewohnung

Doch warum dann? Er habe Bilder gesehen von Wehrmachtssoldaten mit ihren Waffen, erzählt Jens L. „Da habe ich gedacht, es wäre schön, so was auch mal zu haben. In echt.“ Als „fanatischen Sammler“ beschreibt sich der Angeklagte, schon seit Jugendtagen sammele er „so Sachen vom zweiten Weltkrieg“. Aber auch Schallplatten und CDs. Und „dies und das“.

Die Fotos, die bei der Razzia gemacht wurden, zeigen, wie man sich das vorstellen muss: Fast jeder Quadratzentimeter des Hauses ist mit irgendetwas bedeckt, fast überall stehen Kisten und Kartons, liegen alte Kleidungsstücke und andere Habseligkeiten seiner vor Jahren gestorbenen Eltern. Und mittendrin fanden sich verstreut die Waffen.

Von einer „Messiewohnung“ spricht ein Polizist, von Chaos. Ob er den Eindruck eines politisch radikalisierten Haushalts gewonnen habe, fragt ihn die Verteidigerin. „Auf den ersten Blick nicht“, antwortet der Beamte. Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt ist davon allerdings noch nicht ganz überzeugt: Sie ermittelt gegen Jens L. nach wie vor wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

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