Abschied von Volker Bouffier: Am Ende klingt er versöhnlich

Skandale pflastern die politische Laufbahn von Volker Bouffier. Doch es ist ihm gelungen, alle Affären durchzustehen – und den Zeitpunkt seines Abgangs weitgehend selbst zu wählen.
Wiesbaden - Der hessische Ministerpräsident wirkt gelöst. „Jeden von Ihnen möchte ich jetzt umarmen, aber das geht nicht“, sagt Volker Bouffier (CDU) zu den Menschen, die in der Frühlingssonne auf ihn gewartet haben. Angst vor einer Corona-Infektion müsse man bei ihm zum Glück nicht haben, scherzt der 70-Jährige. Er sei vierfach geimpft und frisch getestet.
An einem Mittwoch im April ist Volker Bouffier ins Wiesbadener Nerotal gekommen, um in der idyllischen Parkanlage eine Rotbuche zu pflanzen. Es geht um Aufmerksamkeit für den vom Klimawandel geplagten Wald, es gibt Häppchen und ein Hornquartett, ein harmloser Fototermin. Und doch wird Bouffier aufmerksam beobachtet, denn nach fast zwölf Jahren im Amt will er sich aus der aktiven Politik zurückziehen.
Hessen verabschiedet Volker Bouffier: Skandale pflastern seine politische Laufbahn
Als der CDU-Politiker über die Bedeutung des Waldes spricht, wird klar, dass auch er seinen Rücktritt vor Augen hat. Der Klimawandel, die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, all das belaste die Menschen, sagt Bouffier. Die Gesellschaft sei „immer schwerer zusammenzuhalten“. Umso richtiger sei es, einen Baum zu pflanzen: „Ein Symbol unserer Verantwortung für die, die kommen, ein Symbol der Hoffnung.“ Später sagt Bouffier noch, mit etwas mehr Abstand erkenne man, dass das politische Tagesgeschäft, die Jagd um Stimmen und Schlagzeilen, letztlich „Kinderkram“ seien. Und man erkennen müsse, dass keine Regierung allein die großen Probleme lösen könne, „keine Partei, keine Organisation, das ist doch albern“.
Volker Bouffier hat nicht immer so versöhnlich geklungen wie in diesen Tagen, da er sich zum Rücktritt entschlossen hat. Und es hätte viele gute Gelegenheiten für ihn gegeben, mit Anstand zurückzutreten. Etwa nachdem sein skandalöser Umgang mit den NSU-Morden und der Anwesenheit eines hessischen Verfassungsschützers am Tatort des Mordes an Halit Yozgat in Kassel offenkundig geworden war. Oder auch schon viel früher. Denn Skandale pflastern die politische Laufbahn des hessischen Ministerpräsidenten. Doch der Jurist aus Gießen hat es vermocht, alle Affären durchzustehen und den Zeitpunkt seines Abgangs noch weitgehend selbst zu wählen. Das gelingt nicht vielen.
Volker Bouffier Als hessischer Ministerpräsident um einen „neuen Stil“ bemüht
Der Christdemokrat Bouffier verabschiedet sich zu einem Zeitpunkt, da er sich den Ruf eines moderierenden Regierungschefs mit Präsidententouch erarbeitet hat. Erst im Jahr 2013 durch die Bildung einer schwarz-grünen Koalition, die zwei in Hessen besonders miteinander verfeindete Parteien in ein gut funktionierendes Bündnis brachte. Dann in Zeiten der Zuwanderung vieler Geflüchteter, in der er dem humanitären Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel folgte. Und schließlich während der Corona-Pandemie, als Bouffier niemals im Markus-Söder-Stil vorpreschte, sondern sich um eine einheitliche Linie der Bundesländer über Parteigrenzen hinweg bemühte.
Als Bouffier vor zwölf Jahren direkt nach seiner Amtsübernahme von Roland Koch ankündigte, er wolle jetzt einen „neuen Stil“ einführen, konnte sich das kaum einer vorstellen bei diesem engen politischen Weggefährten des Hardliners Koch. Doch Bouffier hat tatsächlich einen anderen Stil gepflegt als sein Vorgänger.
Rücktritt von Volker Bouffier von vielen früher erwartet
Inhaltlich hat er sich im Laufe der Jahre immer deutlicher vom Erbe Kochs losgesagt, der den Staat wie ein Unternehmen führen wollte und zahlreichen Privatisierungen den Weg bahnte. Die Privatisierung des Uniklinikums Gießen-Marburg etwa hätte Bouffier vermutlich im Nachhinein gerne ungeschehen gemacht, doch 2006 hatte er sie mitgetragen. Gerade in Zeiten der Unterbringung vieler Flüchtlinge ging er deutlich auf Distanz zum rechten Diskurs seines Vorgängers und orientierte sich eher am legendären sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn (1950-1969), dessen Satz er zitierte: „Hesse ist, wer Hesse sein will.“ Auch sonst zeigten politische Entscheidungen oft den Einfluss der mitregierenden Grünen – insbesondere bei den günstigen Dauerkarten für den öffentlichen Nahverkehr, die Bouffiers Vize Tarek Al-Wazir (Grüne) auf den Weg gebracht hatte. Mittlerweile feiert sich auch die CDU dafür.
Viele hatten Bouffiers Ausscheiden früher erwartet und das nicht nur aus politischem Kalkül. Kurz nach der Landtagswahl 2018 wurde bei ihm Hautkrebs an der Nase diagnostiziert. Der Ministerpräsident musste sich einer anstrengenden Strahlentherapie unterziehen und überließ zeitweise Al-Wazir das Führen der Regierungsgeschäfte. Viele fragten sich damals, ob Bouffier wieder auf die Beine komme.
Zitate
„Volker Bouffier hat als Ministerpräsident von Hessen das Land ruhig und verbindlich geführt. Er hat die CDU zur Zusammenarbeit mit den Grünen hin geöffnet, in dieser Konstellation war er allerdings meist ein Getriebener und kein Treibender in Sachen einer zukunftsweisenden Natur- und Umweltschutzpolitik.“ Jörg Nitsch, Landeschef des Bundes für Umwelt und Naturschutz
„Aus Sicht der Bildungsgewerkschaft hinterlässt er (Bouffier) seinem Nachfolger - das muss man leider konstatieren – zahlreiche Baustellen und Probleme, insbesondere einen großen Fachkräftemangel an Kitas und Schulen, marode Schulbauten und fehlende Bildungsgerechtigkeit.“ Thilo Hartmann, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
„Volker Bouffier ist ein konservativer Mensch, der emotional Politik macht und damit auf seine Weise Erfolg hat. Aber er hat das Land inhaltlich nicht geprägt. Es gibt kein Projekt, das man mit ihm verbindet. Bei jemandem, der zwölf Jahre im Amt war, muss einen das nachdenklich stimmen.“ René Rock, FDP-Fraktionschef im Hessischen Landtag
Bouffier war „derjenige, der versuchte, große Teile der Gesellschaft mitzunehmen, als es um die Flüchtlingsaufnahme im Jahr 2015 ging. Leider ist Hessen in den letzten Jahren, vor allem unter Innenminister Peter Beuth, wieder auf eine sehr harte Linie in der Flüchtlings- und Abschiebungspolitik eingeschwenkt.“ Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des hessischen Flüchtlingsrats
Immerhin hatte der damals 67-Jährige ohnehin seit Jahrzehnten mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Im Alter von 22 Jahren war Bouffier bei der Rückfahrt aus einem Skiurlaub schwer mit dem Auto verunglückt. Lange war unklar, ob der sportliche junge Mann, der von einer Zukunft als Basketballprofi träumte, jemals wieder würde laufen können. Er litt unter Lähmungserscheinungen, jahrelang plagten ihn Schmerzen. Doch wie damals kam Bouffier auch nach der Krebsbehandlung wieder auf die Beine. Und machte weiter.
So ganz freiwillig ist der Zeitpunkt seines Abgangs am 31. Mai nun aber auch nicht, allerdings aus ganz anderen Gründen. Seit der für die Union verkorksten Bundestagswahl 2021 war der innerparteiliche Druck auf Bouffier enorm gewachsen. Der Hesse hatte als Strippenzieher entscheidend dazu beigetragen, dass Armin Laschet zum CDU-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten erkoren wurde. Daher wurde ihm auch das Scheitern der Laschet-CDU bei der Bundestagswahl zu Recht mit angelastet.
Volker Bouffier: Das „rote Hessen“ mit Roland Koch erobert
Bouffiers Karriere hätte auch schon sehr viel früher enden können, zum Beispiel im Jahr 1999. Soeben hatte die CDU von Roland Koch und Volker Bouffier geschafft, was im „roten Hessen“ lange undenkbar erschienen war: Sie hatte die SPD in der Staatskanzlei abgelöst, der Beginn von fast 25 Jahren CDU-Herrschaft.
Daraus wäre nichts geworden, wenn Bouffier bereits wenige Monate nach seiner Inthronisierung als Innenminister hätte zurücktreten müssen. Dabei gab es guten Grund dazu. Kaum im Amt, kam heraus, dass er vorher als Rechtsanwalt ein schwerwiegendes Delikt begangen haben soll. Es heißt Parteiverrat, hat aber nichts mit politischen Parteien zu tun, sondern bedeutet, dass ein Anwalt in einem zivilrechtlichen Streit beide Seiten berät.
Volker Bouffier: Als ein Skandal ihn fast die Karriere kostete
Bouffier räumte ein, mit beiden Beteiligten eines scheidungswilligen Ehepaars gesprochen zu haben. Er verneinte aber, dass das auch im Fall des Mannes juristische Beratungen gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft war hingegen von einer Straftat überzeugt. Sie stellte das Verfahren nur gegen eine Geldbuße von 8000 D-Mark ein, die Bouffier zahlte. Das kam aus Sicht der Opposition einem Schuldeingeständnis gleich.
Im einschlägigen Untersuchungsausschuss kamen haarsträubende Details ans Licht. So war aus dem CDU-geführten Justizministerium versucht worden, auf die Staatsanwaltschaft zugunsten Bouffiers einzuwirken. Während das Verfahren gegen ihn lief, verabredete sich der Innenminister mit der Vizechefin der gegen ihn ermittelnden Gießener Staatsanwaltschaft für ein „Kennenlerngespräch“, das sie als Beförderungsangebot wahrnahm.
Es haben schon Politiker:innen wegen geringfügigerer Skandale das Handtuch geworfen. Aber nicht so bei der Hessen-CDU, die sich in Jahrzehnten der erbitterten Opposition gegen die Sozialdemokraten zu einem „Kampfverband“ entwickelt hatte und darauf stolz war. So überstand Bouffier später auch weitere Skandale.
Volker Bouffier: Rückzug nach mehr als 40 Jahren hessischer Landespolitik
Bouffier stürzte auch nicht über sein Versagen im Fall des Kasseler NSU-Mordes im April 2006. Bouffier war seinerzeit Innenminister gewesen, hatte das Parlament aber bis Mitte Juli 2006 nicht darüber informiert, dass der hessische Verfassungsschützer Andreas Temme kurz vor oder während des Mordes am Tatort war und zeitweise unter Mordverdacht stand. Zudem durfte die Polizei die von Temme geführten V-Leute wegen eines Sperrvermerks von Bouffier nicht vernehmen, auch nicht den rechtsextremen V-Mann. Das war nach Erkenntnissen des NSU-Untersuchungsausschusses des hessischen Landtags ein Fehler, wie das Gremium sogar mit den Stimmen der CDU 2018 feststellte. Aber natürlich kein Grund für einen Rücktritt vom Amt.
Der kommt erst jetzt, Jahre später. Mit einer „feierlichen Serenade“ im Wiesbadener Schloss Biebrich. Gleichzeitig mit seinem Rücktritt will Bouffier auch sein Landtagsmandat zurückgeben. Nach mehr als 40 Jahren in der hessischen Landespolitik wird er dann nur noch Privatperson sein. Aber das politische Geschehen wird er weiter verfolgen, wie er selbst bei der Pflanzaktion im Nerotal sagt: „Ich werde immer ein politischer Mensch bleiben.“ (Pitt von Bebenburg, Hannig Voigts)