Ärger um Rundfunkbeitrag: Menschen mit Behinderung müssen plötzlich zahlen

Wegen einer Gesetzesänderung werden Menschen mit Behinderung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk plötzlich zur Kasse gebeten. Die hessische Landesregierung sieht keinen Handlungsbedarf.
Frankfurt – Martina Baab sitzt im Rollstuhl. Seit einem Unfall vor zwanzig Jahren ist sie von der Brust an abwärts querschnittsgelähmt. Tetraplegie heißt ihre Behinderung. Für die Frankfurterin wäre es sehr schwierig, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Zu viel Zeit nimmt die Suche nach Personal und die Organisation ihres Alltags in Anspruch.
Heute bekommt die ehemalige Justizangestellte eine kleine Rente, von der sie ihren Alltag bestreitet, und zusätzlich finanzielle Unterstützung, um ihre Pflege rund um die Uhr zu bezahlen. Bis vor zwei Jahren bekam Baab diese „Hilfe zur Pflege“ vom Sozialamt.
Frankfurt: Frau mit Behinderung erlebt bei Rundfunkgebühren böse Überraschung
Um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu verbessern, verabschiedete die Bundesregierung 2020 das Bundesteilhabegesetz, das die finanzielle Unterstützung für die Pflege neu regelt. Unter anderem dürfen Betroffene nun mehr Geld dazuverdienen, ohne dass es ihnen vom Amt wieder abgezogen wird. Da Martina Baab aber ohnehin nicht arbeitet, dachte sie nicht, dass sich durch das Gesetz für sie viel verändern würde: „Weil ich nichts selbst verdiene, lag ich schon vorher unter den Grenzen für das Einkommen. Ich bekomme immer noch genauso viel Geld wie vorher, nur dass die Hilfe zur Pflege jetzt nicht mehr vom Sozialamt kommt, sondern vom Landeswohlfahrtsverband.“
Im Sommer 2021 erlebte die 52-Jährige aber eine böse Überraschung. Wie in den Jahren zuvor stellte sie einen Antrag, um vom Rundfunkbeitrag befreit zu werden. Eine Befreiung ist für Menschen mit Behinderung möglich, die nicht viel Geld haben. Doch plötzlich wurde Baabs Antrag, der vorher immer nur eine Formsache war, abgelehnt. Das Problem: Die Hilfe zur Pflege war durch die Reform plötzlich in einem anderen Gesetzbuch gelandet. Der Staatsvertrag, in dem die Bundesländer die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks regeln, wurde nach Einführung des neuen Teilhabegesetzes aber nicht angepasst.
Als Grund für die Befreiung vom Rundfunkbeitrag gilt weiterhin nur, dass Menschen „Hilfe zur Pflege“ nach dem Zwölften Sozialgesetzbuch erhalten. Nach dem neuen Gesetz steht die Hilfe aber im Neunten Sozialgesetzbuch. Ein kleines bürokratisches Detail mit erheblichen Auswirkungen. Denn obwohl sich Martina Baabs finanzielle Situation nicht verbessert hat, hat sie nun monatlich weniger Geld zur Verfügung. „Das Geld ist bei mir und bei vielen anderen Menschen mit Behinderung ohnehin immer knapp“, beklagt sie. Wenn nun der Rundfunkbeitrag auch noch abgehe, mache sich das im Geldbeutel schmerzhaft bemerkbar.
Frankfurt: Gesetzt bringt Verschlechterung bei Befreiung vom Rundfunkbeitrag
Ein Problem, das alle Menschen mit „Hilfe zur Pflege“ betrifft, die keine anderen Sozialleistungen beziehen. „Das Bundesteilhabegesetz sollte eigentlich ein Fortschritt werden. Man hatte aber leider nicht daran gedacht, die Gesetze und Verordnungen anzupassen, die darauf Bezug nehmen“, berichtet Hannes Heiler vom Frankfurter Selbsthilfeverein „selbst e. V.“. Die Folge: Bei der Befreiung vom Rundfunkbeitrag gibt es eine Verschlechterung. Im Gesetz selbst deutet nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber wollte, dass Menschen wie Martina Baab plötzlich weniger Geld haben. Die Vermutung liegt nahe, dass einfach übersehen wurde, welche Auswirkungen die Gesetzesänderung auf den Rundfunkbeitrag haben würde.
Doch mit einer Anpassung ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Das Teilhabegesetz wurde auf Bundesebene verabschiedet, der Rundfunkbeitrag ist aber Ländersache. Änderungen am Staatsvertrag müssen von allen 16 Ministerpräsident:innen unterzeichnet und von allen 16 Landesparlamenten bestätigt werden.
Die Hessische Landesregierung plant derzeit keine solche Initiative, um Menschen wie Martina Baab wieder eine Befreiung zu ermöglichen, sagt Regierungssprecher Michael Bußer auf Anfrage der FR. Er gibt zu bedenken, dass eine Behinderung noch kein ausreichender Beweis dafür sei, dass eine Person finanzielle Hilfe benötige: „Die Befreiungs- und Ermäßigungstatbestände knüpfen an den Umstand an, dass jemand aufgrund seiner wirtschaftlichen Hilfsbedürftigkeit auf Sozialleistungen angewiesen ist […], nicht aber an den Umstand der Behinderung an sich.“
Frankfurt: Betroffene denkt bei Gesetzt zu Rundfunkgebühren über Klage nach
Was der Regierungssprecher meint: Viele Menschen mit Behinderung haben so wenig Geld zur Verfügung, dass sie zusätzlich zu den sogenannten Fachleistungen wie der „Hilfe zur Pflege“ auch noch sogenannte existenzsichernde Leistungen wie Grundsicherung oder Hartz IV beziehen. Alle Menschen, auch ohne Behinderung, die diese Leistungen erhalten, sind vom Rundfunkbeitrag befreit. Bei vielen Menschen, die ihre Hilfe zur Pflege jetzt von einer anderen Stelle bekommen, wirkt sich die Gesetzesänderung also nicht auf den Rundfunkbeitrag aus, weil sie noch einen anderen Befreiungsgrund vorweisen können. Martina Baabs Rente liegt aber ganz knapp über dem Niveau der Grundsicherung. Und so soll sie den Beitrag plötzlich zahlen.
Sofern sich keine der 16 Landesregierungen entscheidet, sich um die Änderung des Staatsvertrags zu bemühen, hat Martina Baab also nur zwei Alternativen: bezahlen oder klagen. Beides ist schwierig. Über eine Klage denke sie nach, scheue aber den bürokratischen Aufwand: „Ich müsste zunächst Prozesskostenhilfe beim Gericht beantragen und das dann durchfechten. Doch wahrscheinlich bleibt mir nichts anderes übrig.“ Denn aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten habe sie nicht wirklich etwas von ihrer Rente übrig, um den Rundfunkbeitrag zahlen zu können. (Jana Ballweber)