Im Rathaus sicher verwahrt
Der Verbleib zweier Stolpersteine zum Gedenken an eine jüdische Familie in Rüsselsheim war lange unklar. Nun gibt die Stadt den Blick frei auf ihren Verwahrort.
Es rumorte Anfang November in Rüsselsheim: Die zwei zum Gedenken an die jüdische Familie Nachmann verlegten Stolpersteine waren verschwunden. Bei Bauarbeiten am Parkplatz auf der Ecke Ludwigstraße/Mainzer Straße wurden die Gedenksteine aus dem Pflaster des Bürgersteigs entfernt – Verbleib zunächst unbekannt. Der sogleich erhobene Vorwurf lautete, die Stadt habe bei der Maßnahme zum Umsetzen einer öffentlichen Toilette vom Gemeindeplatz an diese Ecke die Gedenksteine außer Acht gelassen, die Bauarbeiter hätten sie in Unkenntnis ihres Wertes womöglich achtlos auf den Bauschutt geworfen.
Die Stolperstein-Initiative um Rolf Strojec wollte nicht direkt unterstellen, dass das Rathaus das Verschwinden der beiden Steine aus Mangel an Aufmerksamkeit gebilligt habe. Ihr Vorwurf zielte vielmehr darauf ab, dass der unsensible Umgang mit der Geschichte auf der Platzierung eines Klohäuschens an diesem Ort beruhe. Denn seit dem Tag der Verlegung am 21. Mai 2011 im Rahmen einer gut besuchten öffentlichen Veranstaltung hätte klar sein müssen, dass das Gelände mit heutigem Parkplatz bis 1938 der Wohnort der jüdischen Familie Nachmann gewesen sei und daher als Standort einer Toilette auf keinen Fall in Frage komme. Die jüdische Familie hatte hier ein Wohn- und Geschäftshaus, war von den Nationalsozialisten deportiert und 1942 ermordet worden.
Die Stadtverwaltung gab nun den Blick frei auf den Verwahrort der beiden Steine, ein Kämmerchen im Rathausneubau. Dort liegen die Stolpersteine gereinigt und frisch poliert, wenngleich sie Gebrauchsspuren aufwiesen vom Fußgängerverkehr auf dem Bürgersteig an der Mainzer Straße.
An den Verwaltungsverantwortlichen bleibt nunmehr der Ruch der Unsensibilität bei der Auswahl eines neuen Standorts für die Toilettenanlage hängen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass auch von Seiten der Bürgerschaft und mehr noch aus dem Kreis der Stolperstein-Initiative niemand das Vorhaben rechtzeitig angeprangert hatte. Denn spätestens mit dem Hinweis Mitte Oktober, dass das „anrüchige“ Örtchen vom Gemeindeplatz an jene Straßenecke umplatziert werden soll, hätten die Alarmglocken schrillen müssen.
Jetzt bedarf es eines Gerichtsurteils, um dieses seit der ersten Verlegung von Stolpersteinen im Oktober 2008 einmalige Zerwürfnis zu beenden. Dabei aber hat Justitia nur über die Klage von Anwohnern zu entscheiden, die ein öffentliches Klo in ihrer Nachbarschaft für unzumutbar halten. Erst dann will die Stolperstein-Initiative entscheiden, ob die Gedenksteine an gleicher Stelle wieder verlegt werden. (eda)