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Wohnen mitten in der Natur

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Von: Jutta Rippegather

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Lediglich eine Glaswand trennt das Wohnzimmer vom Garten.
Lediglich eine Glaswand trennt das Wohnzimmer vom Garten. © Peter Löwy

Vor 50 Jahren hat der Architekt Richard J. Neutra in Walldorf ein einzigartiges Zeugnis der Nachkriegsmoderne geschaffen. Die Bewohner pflegen ihre denkmalgeschützten Häuser mit viel Liebe zum Detail.

Für jüngere Walldorfer war sie schon immer da – die Neutra-Siedlung, durch den Bahndamm vom alten Ortskern getrennt. Ein ruhiges Wohnviertel der Betuchten mit viel Grün und kleinen Wohngassen, in dem so mancher mächtige Baum an die Zeiten erinnert, als das Gelände südlich von Frankfurt ein riesiger Wald war. Seit einigen Jahren genießen nicht mehr nur Anwohner das Ambiente. Immer öfter schlendern Fremde durch Finkenweg, Meisenweg und Drosselweg.

Die Bewobau-Siedlung, wie sie offiziell heißt, wird 50 Jahre alt. Sie hat sich zu einer Pilgerstätte für Studenten und Architekturinteressierte entwickelt. Zur Orientierung für die Besucher hat die Richard J. Neutra-Gesellschaft mit finanzieller Unterstützung des Landes und der Stadt Mörfelden-Walldorf jetzt zwei Stelen aufgestellt. In Deutsch und Englisch ist dort die Philosophie des Architekten festgehalten, der zu den wichtigsten des 20. Jahrhunderts zählt:

„Man stelle den Menschen in eine Verbindung zur Natur. Dort hat er sich entwickelt, und dort fühlt er sich besonders zu Hause.“ Eine Aussage, die Hildegard Nimmesgern hundertprozentig unterschreiben kann.

14 Jahre ist es jetzt her, dass sie mit Harald Lüders den teilunterkellerten Bungalow im Fasanenweg 8 zog. Mit viel Liebe zum Detail und ausgesuchten Handwerkern hat das Ehepaar ihn behutsam in den ursprünglichen Zustand zurückgebaut, mit hellen Holzdecken und hellem Parkett. Nach längerer Suche fand sich in der Schweiz ein Spezialist, der einen Prototyp der großen Schiebefenster mit den typischen schmalen Profilen baute.

Blickachsen in den Garten

Der rechteckige Teich neben der großen Terrasse spiegelt die großen Eichen und den Himmel wider, das Nachbarhaus verschwindet fast völlig hinter einer Buchenhecke, vor dem bis vor kurzem der Rhododendron blühte.

Stolz und bewegt führen die beiden den Gast durch ihr helles und großzügiges Haus. Die großen Fensterflächen sind das augenfälligste. Im Wohnzimmer und Schlafzimmer nehmen sie eine komplette Längswand ein.

Wer hier sitzt, blickt sommers wie winters direkt in die Natur – nur durch Glas von der Terrasse getrennt. Die Blickachsen in den Garten setzen sich im gesamten Wohnbereich fort. Minimalistisch sind die Einrichtung, das Holz der Einbauschränke und des Treppenabgangs mit viel Aufwand in den Originalzustand zurückversetzt.

Als ultramodern galt das Werk Neutras vor 50 Jahren – und ist es bis heute. Hildegard Nimmesgern und ihr Mann sind nicht die einzigen, die Neutras Erbe schätzen, pflegen und wachhalten. „Es gibt eine steigende Lust, Dinge richtig zu machen“, hat Hilmer Goedeking, der Vorsitzende der Neutra-Gesellschaft, beobachtet, der mit seiner Familie zwei Häuser weiter wohnt. Goedeking ist Architekt in Frankfurt und hat das Haus von Peter Härtling und seiner Frau Mechthild im Finkenweg 1 energetisch saniert.

Seit dem Jahr 1967 wohnt das Schriftsteller-Ehepaar in dem zweistöckigen Flachdach-Gebäude, das mit 41 weiteren Neutra-Bauten unter Ensembleschutz steht. Zwölf der Gebäude tragen zusätzlich den Titel Einzelkulturdenkmal. Im vergangenen Jahr erhielten die beiden den hessischen Denkmalschutzpreis – „für die kontinuierliche Pflege und sensible energetische Sanierung“.

Acht Typen von Bungalows und einen zweigeschossigen Typ hatte Neutra Anfang der 60er Jahre im Auftrag der Bewobau im Walldorfer Oberwald zwischen Bundesstraße B 44 und einer Bahntrasse realisiert. Dort, eine Viertelstunde mit dem Auto von Frankfurt entfernt, sollten ursprünglich 104 Häuser nach dem Entwurf des österreichisch-kalifornischen Architekten entstehen. Mangels Interesse wurden lediglich 42 Bauten realisiert – auf großzügigen Grundstücke mit Größen zwischen 800 und 1000 Quadratmetern. In einem weiteren Bauabschnitt entstand wenig später der Rest der Siedlung – basierend auf dem städtebaulichen Konzepts Neutras, nach Entwürfen der Firma: L-förmige Bungalows mit großen Glasfronten in schmalen Stichstraßen.

Einzigartiges Zeugnis

Die Offenheit der Architektur der Neutra-Häuser pflegen auch ihre Bewohner. Zum jährlichen Tag des Denkmals im September öffnen einige ihre Türen – „beim jüngsten Mal waren 400 Besucher da“, sagt Goedeking.

Die regelmäßigen Führungen der 2006 gegründeten Neutra-Gesellschaft seien auch immer schnell ausgebucht. Aus dem In- und Ausland kämen Interessierte, sagt der Vorsitzende und stellt die Besonderheit der Siedlung heraus: „Die Gruppe der Walldorfer Neutra-Bauten stellt innerhalb der europäischen Nachkriegsmoderne ein einzigartiges Zeugnis einer städtebaulichen und architektonisch durchgängig konzipierten Wohnanlage dar.“

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