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Trotz geistiger Behinderung Vollzeit in Arbeit bei Kelsterbacher Firma

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Von: Annette Schlegl

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Christopher Eckhardt (re.) und Michael Stolte sind zwei der Angestellten mit geistiger Beeinträchtigung.
Christopher Eckhardt (re.) und Michael Stolte sind zwei der Angestellten mit geistiger Beeinträchtigung. © Renate Hoyer

Die Fluggepäck-Reparaturfirma „Dolfi 1920“ in Kelsterbach ist beispielgebend: Sie hat acht Menschen mit Beeinträchtigungen fest angestellt.

Geistig beeinträchtigt, aber trotzdem wie du und ich in Brot und Arbeit: Christopher Eckardt hat den Sprung in den regulären Arbeitsmarkt geschafft. In der Firma „Dolfi 1920“ in Kelsterbach sind Koffer sein Metier; dort ist er einer der Männer, die beschädigtes Fluggepäck reparieren. Seit einem Monat arbeitet der 30-Jährige in Vollzeit und ist damit einer von acht Beschäftigten mit Beeinträchtigung, die in dem Unternehmen mit 61 Mitarbeitenden fest angestellt sind – viel mehr, als der Gesetzgeber fordert. Dazu kommen auch noch fünf Mitarbeiter mit Assistenzbedarf, die dort betriebsübergreifende Praktika absolvieren.

Trotz UN-Behindertenrechtskonvention und Bundesteilhabegesetz bleibt vielen Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen der erste Arbeitsmarkt weitgehend verschlossen. Umso bemerkenswerter sind die Chancen, die die Firma „Dolfi 1920“ diesem Personenkreis bietet. Schon seit Jahren arbeitet das Unternehmen, das sich auf die Reparatur und den Ersatz von beschädigtem Fluggepäck spezialisiert hat, mit der Behindertenhilfe des Evangelischen Vereins für Innere Mission in Nassau (Evim) zusammen. Der Träger ist an sechs Standorten im Rhein-Main-Gebiet präsent und bietet Behinderten in seinen Werkstätten Beschäftigungen, die an ihre Fähigkeiten angepasst sind – etwa in der eigenen Bäckerei, der Gärtnerei, der Fahrradwerkstatt, der Druckerei oder im Café. Darüber hinaus vermittelt er Praktika und weitergehende Beschäftigungen außerhalb der Werkstatt.

Christopher Eckardt kam 2011 nach der Förderschule und dem vergeblichen Versuch, den Hauptschulabschluss zu erlangen, zur Evim-Werkstatt Schlockerhof in Hattersheim. 2016 führte ihn sein Weg zur Firma „Dolfi 1920“, wo er eine betriebsintegrierte Beschäftigung fand – ein betriebsübergreifendes Praktikum mit Betreuung von Evim-Fachkräften, das immer wieder verlängert wurde. Anfang 2020 sollte die Anstellung im ersten Arbeitsmarkt über das Budget für Arbeit beantragt werden, „aber dann kam Corona, und es wurde nicht mehr geflogen“, sagt Ralf Thies, Bereichsleiter Berufliche Integration im Evim-Werkstättenverbund.

Eckardts Festanstellung verzögerte sich bis Februar dieses Jahres. Für den 30-Jährigen ist die Vollzeitarbeit in der Kofferreparatur der Schritt in die Unabhängigkeit. „Ich verdiene nicht mehr Mindestlohn, sondern das normale Gehalt wie jeder andere Mitarbeiter hier“, sagt er bei der Vorstellung des Erfolgsmodells stolz. Er habe den Sprung aus der Evim-Werkstatt heraus geschafft, könne aber jederzeit dorthin zurückkehren, „wenn es nicht funktioniert“, so Thies.

Die Firma Dolfi schätze die große Arbeitsbereitschaft der Menschen mit Beeinträchtigungen sehr, sagt Personalleiterin Kerstin Zentner. Sie seien „sehr zuverlässig und immer freundlich“. Das Unternehmen beschäftigt auch Autisten und körperlich Beeinträchtigte, macht mit allen schon seit 2007 beste Erfahrungen. So wie etwa auch mit dem geistig behinderten Michael Stolte, der seit mehr als zehn Jahren in Vollzeit im Lager arbeitet und dort die beschädigten Koffer scannt.

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