Transportkanal der Römer? Forscherteam untersucht Landgraben

Eine archäologische Untersuchung soll Alter und Entstehung des Landgrabens im Ried untersuchen. Er könnte 1500 Jahre älter sein als angenommen.
Der Landgraben, ein unscheinbares, auf weiten Strecken schnurgerade verlaufendes Fließgewässer zwischen Darmstadt und Trebur, geriet in jüngster Zeit vor allem wegen seiner Schadstoffbelastung in die Schlagzeilen. Doch nun wirft ein Forscher:innenteam des Landesamts für Denkmalpflege Hessen und der Unis Frankfurt, Mainz und Kiel einen ganz anderen Blick auf das Gewässer. Der Abschnitt zwischen Trebur und Groß-Gerau wird derzeit mit allerhand technischem Gerät untersucht. Ziel ist zu beweisen, dass der Landgraben nicht wie bisher angenommen erst im 16. Jahrhundert von Landgraf Georg I. von Hessen-Darmstadt (1547-1596) als Entwässerungskanal angelegt wurde, sondern gute 1500 Jahre älter ist.
„Wir gehen davon aus, dass er als künstlicher Kanal von den Römern bereits im 1. Jahrhundert angelegt wurde“, sagt der Darmstädter Bezirksarchäologe Thomas Becker. Auf einem Acker westlich von Wallerstädten, einem Ortsteil von Groß-Gerau, wurde das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekts kürzlich vorgestellt.
Landgraben im Ried: Von den Römern angelegt?
Becker, der seit 2015 Bezirksarchäologe ist, hatte den Anfangsverdacht. Er habe sich gefragt, wie es den Römern gelungen sein konnte, Baumaterial, das gar nicht vor Ort existierte, in das Ried zu bringen – etwa für die Errichtung der Kastellbads auf Esch mit Kalkstein.
Wenn der Beweis gelingt, wäre dies das erste Mal, dass in Deutschland solch ein römischer Kanalbau nachgewiesen werden konnte, sagt Landesarchäologe Udo Recker. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben mit 370 000 Euro. Sie ist die größte nationale fächerübergreifende Forschungsförderungseinrichtung Europas und wird durch Bund und Länder finanziert. Laut Becker ist die Untersuchung des Landgrabens das erste archäologische Projekt seit 30 Jahren, das die DFG in Südhessen fördert.

Landgraben im Ried: Forschende der Unis Mainz, Frankfurt und Kiel vor Ort
Vor Ort sind die Forschenden bereits damit beschäftigt, den antiken Verlauf des Landgrabens zu suchen. Auch Studierende der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz und der Goethe-Universität Frankfurt sind vor Ort aktiv. Sie messen zum Beispiel gerade den elektrischen Widerstand des Flussbett-Untergrunds. Dazu verlegen sie orangefarbene Kabel entlang des Landgrabens und schicken über Elektroden elektrische Impulse in den Boden.
Auf einem Monitor wird in blau und rot dargestellt, ob der Boden mehr oder weniger leitfähig ist. Je nachdem handelt es sich um ein natürliches Flussbett mit angeschwemmten sandigen Sedimenten oder um Schlick und Tuff, was darauf hinweist, dass der Graben ausgehoben wurde, erklärt Andreas Vött, Professor für Geomorphologie an der Universität Mainz. Um die genau Lage des historischen Grabens zu bestimmen, wird deshalb nicht nur entlang des heutigen Gewässers gemessen, sondern auch in die Außenbereiche hinein.

Landgraben im Ried: Römisches Kastell bei Wallerstädter
Bei Wallerstädten liegt laut Markus Scholz, Professor für Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen der Universität Frankfurt, „ein neuralgischer Punkt für die Datierung“. Hier wurde 2011 ein Römerkastell entdeckt, das bereits in den 40er-Jahren bis in die 70er-Jahre des ersten Jahrhunderts nach Christus existierte und damit ein Vorläufer des schon lange bekannten und dokumentierten Kastells Auf Esch bei Groß-Gerau war. Dies bewies, dass die Römer sich die strategisch wichtige Gegend südlich der Mainmündung – als Vorfeld der Metropole Mogontiacum/Mainz – nicht erst unter Kaiser Vespasian (69–79) einverleibten, sondern bereits zu Zeiten von Claudius (41–54) und Nero (54–68) den ersten ernsthaften Schritt über den Rhein auf hessisches Gebiet unternahmen.
Die Frage sei, ob die Römer hier mit der Infrastrukturidee eines Kanals anfingen oder ob das Kastell bei Wallerstädten ein reines Aufmarschlager war, sagt Scholz.
Ried, Römer und Landgraben
Bisher geht man davon aus, dass der Landgraben die älteste künstliche Anlage zur Entwässerung des Hessischen Rieds ist und in den Jahren 1567 bis 1596 unter Landgraf Georg I. von Hessen-Darmstadt erbaut wurde.
Der Landgraben bildete nie einen geschlossenen Lauf, sondern setzt sich aus verschiedenen Teilgräben vom Fuß des Melibokus bei Zwingenberg bis nach Trebur zusammen. Diese fließen Weschnitz, Winkelbach, Modau und Schwarzbach zu. Telweise folgt er auch dem ehemaligen Neckarbett. Den größten Zufluss erhält der Landgraben vom Darmbach aus Darmstadt.
Die jetzt gestarteten archäologischen und geophysikalischen Untersuchungen konzentrieren sich auf den Burgus bei Astheim, die Vicus (Siedlung) Trebur, Dammerslache, Villa Rustica und Kastell bei Wallerstädten, Osterbruch, Kastell Auf Esch Groß-Gerau und Villa Rustica bei Büttelborn.
Das Hessische Ried war nur dünn besiedelt, als die Römer kurz vor der
Zeitenwende die Garnisonsstadt Mogontiacum/Mainz gründeten. Vollständig erschlossen wurde das Gebiet erst durch die zivile Besiedlungsphase im frühen zweiten Jahrhundert mit der Gründung von Dörfern und zahlreichen Gutshöfen. Nach dem rheinischen Kohleabbaugebiet ist das Ried die am intensivsten erforschte Landschaft im römischen Deutschland. cka
Der Landgraben würde nach derzeitigem Kenntnisstand genau durch die frühere Militäranlage führen, was ungewöhnlich wäre, so Becker. Jedoch wurden auf beiden Seiten des Landgrabens antike Funde gemacht. Vermutet wird, dass durch das Ausheben des Landgrabens Material mit antiken Spuren auf die andere Seite geschaufelt wurde. Auch dies sollen die Untersuchungen klären.
Landgraben im Ried: Elektromagnetische lnduktionsmessung des Geländes
Bereits am Morgen hatten Geowissenschaftlerinnen der Christian-Albrechts-Universität unter Leitung von Dennis Wilken, Professor für Angewandte Geophysik, eine Elektromagnetische lnduktionsmessung (EMI) des Geländes vorgenommen. Dabei wird mithilfe eines langen Rohres, das waagerecht über den Boden getragen wird, durch eine Senderspule ein Magnetfeld erzeugt, das durch Induktion Wirbelströme im Untergrund hervorruft. Über die so entstehenden Magnetfelder können Mauerverläufe, Gruben und Gräben lokalisiert werden.
Mauerreste im Boden gebe es zwar nicht, da es sich bei der Anlage um reine Holz- und Lehmbauwerke gehandelt habe, so Scholz. Aber die Umrisse des Kastells könnten dennoch nachgezeichnet werden.
Zudem finden sich auch jetzt noch zahlreiche antike Scherben auf dem landwirtschaftlich bearbeiteten Areal. Viele Scherben wurden vermutlich erst beim letzten Pflügen des Landwirts nach oben befördert, erklärt Vött. Seit 1999 wurden mehr als 1000 Funde auf der Ackeroberfläche geborgen, wie der Dienst Archäologie-online berichtet.

Landgraben im Ried: Messungen bis 30 Meter in die Tiefe
Laut Vött sollen in der Umgebung auch Bohrungen bis in sieben Meter sowie Injektionsmessungen bis in 30 Meter Tiefe vorgenommen werden, um die Beschaffenheit des Untergrunds zu analysieren und damit die Funktion und Entstehung des Landgrabens zu untersuchen.
Hinweise auf eine künstliche Anlage des Landgrabens durch die Römer gibt es laut Becker bereits durch archäologische Untersuchungen eines Burgus, also einer flussnahen Landestelle, aus dem vierten Jahrhundert am Schwarzbach bei Astheim. Der Schwarzbach ist Teil des Landgrabens. Zudem stieß man bei der Sicherung eines frühmittelalterlichen Gräberfeldes bei Büttelborn auf Spuren eines römischen Gutshofs – auch dieser saß am Landgraben, so Becker.
So verdichten sich laut den Forschenden die Hinweise, dass ein künstlich angelegter Kanal mindestens 300 Jahre in Betrieb gewesen wäre.