Lebensmittelskandal in Hessen: Tödliches Gemüse aus dem Kreis Groß-Gerau

In einem Betrieb in Gernsheim-Allmendfeld im Kreis Groß-Gerau sind gravierende Hygienemängel festgestellt worden. Durch geschnittene Gurken wurde Krankenhausessen mit Listerien verseucht. Ein Mensch starb im Sana-Klinikum in Offenbach. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat ein Ermittlungsverfahren gegen den Inhaber des Betriebs bestätigt.
Update vom Dienstag, 19.04.2022, 14.00 Uhr: Nach Bekanntwerden der Hygienemängel in einem Lebensmittelbetrieb in Südhessen mit einem Todesfall hat die Staatsanwaltschaft Darmstadt am Dienstag ein Ermittlungsverfahren gegen den Inhaber der Firma bestätigt. Nach einer Anzeige der Kreisverwaltung Groß-Gerau vor knapp einem Monat werde wegen des Verdachts einer Straftat nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ermittelt, teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Es gehe um den möglichen Ausbruch von Listerien in dem Betrieb.
Der Kreis und das für eine Task-Force Lebensmittelsicherheit zuständige Regierungspräsidium in Darmstadt sprachen am Montag von vier Infizierten. Einer soll in Folge der Infektion gestorben sein, ein weiterer später, aber nicht wegen der Hygienemängel. «Ob der Ausbruch ursächlich für das Versterben von Menschen war, kann aktuell noch nicht abschließend beurteilt werden», hieß es dagegen am Dienstag bei den Ermittlern.
Kreis Groß-Gerau: Gravierende Hygienemängel in Schnittbetrieb in Gernsheim
Erstmeldung vom Montag, 18.04.2022, 17.27 Uhr: Nach dem Verzehr von mit Keimen belastetem Gemüse, das in einem Betrieb in Gernsheim-Allmendfeld im Kreis Groß-Gerau geschnitten und für Krankenhausspeisen weiterverarbeitet worden war, ist ein Mensch im Sana-Klinikum in Offenbach gestorben.
Insgesamt seien zwischen Oktober 2021 und Januar 2022 vier Menschen aufgrund einer Infektion mit Listerien erkrankt, teilte Guido Martin, Sprecher des Darmstädter Regierungspräsidiums (RP), am Ostermontag mit. Neben zwei Infektionsfällen im Offenbacher Klinikum im November 2021 habe es einen weiteren Fall im Januar 2022 im Frankfurter Markus-Krankenhaus gegeben. Ein vierter Patient sei zwar auch gestorben. Der Tod sei jedoch auf eine „schwerwiegende Grunderkrankung“ und nicht auf die Listeriose zurückzuführen, sagte der RP-Sprecher. Zuerst hatte die „Welt am Sonntag“ über den neuen Lebensmittelskandal berichtet.

Lebensmittelskandal: Betrieb im Kreis Groß-Gerau wurde zuletzt 2019 kontrolliert
Auslöser für die Erkrankungen waren offenbar gravierende Hygienemängel im Schnittbetrieb eines Obst- und Gemüsegroßhändlers in Gernsheim-Allmendfeld, in dem auch Gurken geschnitten wurden. Die Kliniken und ein Küchenbetrieb in der Wetterau sollen hingegen in einem einwandfreiem Zustand gewesen sein.
Das hessische Verbraucherschutzministerium in Wiesbaden teilte mit, es sei sofort gehandelt worden. Durch Ermittlungen nach dem Ausbruch hätten weitere Infektionen verhindert werden können. Der Schnittbetrieb sei Mitte Februar geschlossen worden, teilte Christian Schulze, der Leiter des Groß-Gerauer Kreisveterinäramts, mit.
GEFÄHRLICHE KEIME
Listerien können Kranken und Kindern erheblich zusetzen. Die häufig vorkommenden Bakterien können in tierische und pflanzliche Produkte geraten – etwa in Hackfleisch, Sushi oder Rohmilchkäse. Listerien sind sehr widerstandsfähig. Sie überstehen Tiefgefrieren und Trocknen. Kochen, Braten, Sterilisieren und Pasteurisieren tötet sie dagegen sicher ab.
Nur wenige Menschen, die Listerien aufnehmen, erkranken auch an Listeriose. Bei gesunden Erwachsenen verläuft die Infektion meist unauffällig oder nimmt einen harmlosen Verlauf mit grippeähnlichen Symptomen wie Erbrechen und Durchfall – oft erst bis zu acht Wochen nach dem Verzehr. Gefährlich ist die Infektion aber für abwehrgeschwächte Menschen. dpa
Lebensmittelskandal in Hessen: Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt
Der Behördenleiter bezeichnete es zugleich als ein „großes Versäumnis“, dass der Betrieb zuletzt 2019 – und nicht, wie vorgeschrieben, jedes Jahr ein bis zwei Mal – kontrolliert worden sei. Bei verschiedenen Kontrollen seien Schimmel, Rattenkot und Pfützen festgestellt worden. Schulze zufolge hat inzwischen auch die Darmstädter Staatsanwaltschaft Ermittlungen zu dem Fall aufgenommen.
Thomas Will (SPD), der Landrat des Kreises Groß-Gerau, kündigte an, unabhängig von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen weitere Konsequenzen ziehen zu wollen. „Das alles ist höchst belastend“, sagte der Landrat, der zugleich einräumte, nur unzureichend über den Fall informiert gewesen zu sein.
Neuer Lebensmittelskandal: SPD fordert Rücktritt von Ministerin Hinz
Der SPD-Landtagsabgeordnete Knut John forderte unterdessen Hessens Verbraucherschutzministerin Priska Hinz (Grüne) auf, persönliche Konsequenzen zu ziehen. Er verweist auf den Skandal um den nordhessischen Wursthersteller Wilke und wirft Hinz „Tatenlosigkeit und das bewusste Inkaufnehmen von Menschenleben“ vor. Die Firma Wilke wurde im Oktober 2019 geschlossen, nachdem in Produkten Listerienkeime nachgewiesen und 37 Fälle von Listerioseerkrankungen den Gesundheitsämtern gemeldet worden waren.
Die FDP-Landtagsabgeordnete Wiebke Knell kritisierte, Hinz habe es „versäumt, darauf hinzuwirken, dass die Lebensmittelkontrollen verstärkt werden“. mit dpa