Ewigkeitschemikalien im Grundwasser in Kelsterbach

Kelsterbach ist laut einer Recherche ein Hotspot für PFAS-verunreinigtes Grundwasser. Das Trinkwasser sei aber nicht belastet, erklärt die Stadt.
Sie werden als „Jahrhundertgifte“ bezeichnet: PFAS oder PFC sind industriell produzierte Chemikalien, die möglicherweise Krebs verursachen, unfruchtbar machen und das Immunsystem schwächen. NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung haben im Verbund 1500 Orte in Deutschland recherchiert, an denen sich PFAS nachweisen lassen. Im Kreis Groß-Gerau liegt demnach ein Hotspot: In Kelsterbach wurden im Vorjahr 1305,4 Nanogramm PFAS im Grundwasser gemessen. Schon bei einer Messung im Jahr 2016 fanden sich dort 319 Nanogramm PFAS im Rheingraben.
Kelsterbach wusste nichts von der PFAS-Belastung
Kelsterbach hat auf diesen Medienbericht nun reagiert. In einer Pressemitteilung heißt es, der Stadt sei bislang nicht bekannt gewesen, dass vor Ort das Grundwasser womöglich mit PFAS belastet sei. Genauso wenig wisse man, von wem, wo genau und in welcher Weise im Vorjahr die Probe entnommen wurde. Die Stadt werde sich mit der zuständigen Unteren Wasser- und Bodenschutzbehörde beim Kreis Groß-Gerau in Verbindung setzen, um nähere Erkenntnisse zu erlangen, und dann über entsprechende Schlussfolgerungen informieren.
Das Wasser, das aus dem Wasserhahn fließt, könne aber bedenkenlos getrunken werden. Das Kelsterbacher Trinkwasser werde nämlich vom Vorlieferanten Hessenwasser bezogen, stamme im Regelfall aus dem Hessischen Ried und werde in einem akkreditierten Zentrallabor fortlaufend überwacht. Die Stoffgruppe der PFAS werde nach Auskunft von Hessenwasser bereits seit vielen Jahren regelmäßig auf freiwilliger Basis in den Roh- und Trinkwässern untersucht, die für die Versorgung von Kelsterbach genutzt werden.
PFAS oder PFC
PFAS oder PFC sind die Abkürzungen für per- und polyfluorierte Alkylverbindungen. Die Stoffgruppe umfasst etwa 10 000 organische Substanzen, von denen einige giftig sind.
Natürlicherweise kommen diese Stoffe, die auch Ewigkeitschemikalien genannt werden, nicht vor. Sie werden erst seit den späten 1940ern hergestellt und reichern sich immer mehr in der Umwelt an. Sie sollen in der EU weitestgehend verboten werden.
Die extrem stabilen Chemikalien kommen in der Industrie zum Beispiel in Pfannen, Outdoorjacken, Kosmetika, Backpapier, Skiwachs oder Feuerlöschern zum Einsatz. Sie sind wasserresistent, weisen Schmutz, Fette und Öle ab und überstehen sogar die Temperaturen in der Müllverbrennung.
1500 Orte in Deutschland sind laut NDR, WDR und SZ mit PFAS/PFC belastet. Als Quelle für die Recherche nennt die SZ das Forever Pollution Project (foreverpollution.eu).
Der Eintrag von PFAS erfolgt auf unterschiedliche Weise. Die Substanzen sind in Böden, Trinkwasser, Futtermitteln und Verpackungen nachweisbar.
Ein Mensch sollte nicht mehr als 4,4 Nanogramm dieser PFAS pro Kilogramm Körpergewicht aufnehmen. Pro Liter Wasser oder pro Kilogramm Boden gilt eine Konzentration von mehr als 100 Nanogramm als problematisch. ann
Der Kreis Groß-Gerau erklärt auf FR-Anfrage, er sei für die Erfassung von PFAS-Fundorten nicht zuständig. „Warum die betroffenen Kommunen nicht informiert wurden, müsste beim Land erfragt werden.“ Durch Vergleich der SZ-Karte mit einer Standardkarte habe man aber feststellen können, dass der gemessene hohe PFAS-Wert in Kelsterbach nicht im Ort liege, sondern an der südwestlichen Gemarkungsgrenze direkt am Flughafen.
Löschschäume der Flughafen-Feuerwehr könnten für PFAS-Belastung ursächlich sein
Der Fundort sei auch nicht verwunderlich, da diese Stoffe oftmals im Umfeld von Textil- und Plastikindustrie, bei der Metallveredelung, rund um Flughäfen, Deponien und Kläranlagen zu finden seien. In einem Bericht des hessischen Umweltministeriums aus dem Jahr 2021 ist beispielsweise zu lesen, dass spezielle Löschschäume, die bei Flugzeugbränden eingesetzt werden, hohe PFC-Konzentrationen zur Folge haben.
Der Kreis Groß-Gerau habe sich bereits in den Jahren 2019/2020 intensiv mit dem Thema befasst, als die Fraport AG für den Erdaushub von Terminal 3 ein Bodenlager plante und dabei hohe Konzentrationen an PFC gefunden wurden. In Gesprächen sei damals erreicht worden, dass Fraport die Böden, die durch Löschschaum mit PFC belastet waren, nicht vor Ort lagerte, sondern auf geeignete Deponien brachte.
Messstellen des Landesgrundwassermessnetzes untersuchen seit 2010 jährlich rund 300 Grundwasserproben auf PFC. An rund 40 Prozent der untersuchten Grundwässer seien sie in Spuren zu finden, heißt es in einem Bericht des Umweltministeriums.