Korporierte gegen Korporierte

In Marburg stehen rechte Burschenschafter vor Gericht, weil sie eine liberale Studentenverbindung überfallen haben sollen
Es dürfte eher selten vorkommen, dass man, so wie am Dienstag in Marburg, aus einem Gerichtssaal direkt auf den Tatort schauen kann. Das Justizzentrum der Universitätsstadt steht zu Füßen eines Hangs, auf dem sich, Trutzburgen gleich, die mächtigen Häuser von Studentenverbindungen aneinanderreihen. Und genau dort oben soll sich vor zweieinhalb Jahren abgespielt haben, was jetzt vor dem Amtsgericht verhandelt wird: ein Überfall von extrem rechten Burschenschaftern auf eine liberalere Korporation.
Gemeinschaftliche Körperverletzung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch wirft die Staatsanwaltschaft den drei Angeklagten vor: Nicolas K. (30) und Heinrich M. (26), beide jedenfalls damals Mitglieder der Marburger Burschenschaft Germania, sowie Hans F. (36) sollen im Juni 2020 auf Angehörige der nebenan residierenden Frankonia losgegangen sein. Die zum Schwarzburgbund gehörende Verbindung distanziert sich schon seit vielen Jahren vom Rechtsextremismus. Zu den Mitgliedsbünden der völkisch-nationalistischen Deutschen Burschenschaft besteht ein Kontaktverbot.
An jenem Abend, erinnerten sich Frankonia-Mitglieder im Zeugenstand, seien sie vor ihrem Haus zufällig auf zwei Germanen gestoßen und sofort als „Zecke“, „Schwuchtel“ und „Judensau“ beleidigt worden. Auch die Worte „So was wie dich hätte man früher an die Wand gestellt“ seien gefallen. Dann habe Nicolas K. Verstärkung herbeitelefoniert, worauf umgehend rund zehn weitere Burschenschafter aufgetaucht seien. Es habe Schläge und Geschubse gegeben. „Ich habe in ihren Augen eine Aggression gesehen, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe“, sagte ein 27-jähriger Frankone. „Das werde ich nicht vergessen.“
Als zufällig zwei Streifenwagen vorbeigefahren seien, hätten ihre Widersacher von ihnen abgelassen, heißt es. Während die Frankonen daraufhin ihren geplanten „Bummel“ zu einer befreundeten Korporation fortsetzten, sollen die Angeklagten zusammen mit ihren unbekannt gebliebenen Mittätern in das Haus der Frankonia eingedrungen sein und das Erdgeschoss regelrecht verwüstet haben. „Es war Chaos“, sagte ein 26 Jahre Frankone. „Ein Scherbenmeer.“ Der Schaden: gut 30 000 Euro.
Hans F. soll draußen dann noch einen Mann, der die Polizei rufen wollte, mit einem Teleskopschlagstock bedroht haben. Ihm wird deshalb auch versuchte Nötigung zur Last gelegt. Dass er nicht wie die anderen Angreifer entkommen konnte, lag wohl nur an einem weiteren Passanten, der ihn am bereits zum Schlag erhobenen Arm gepackt und zu Boden gezogen haben soll.
Seine Beteiligung an der Tat mochte er jedoch ebenso wenig einräumen wie die beiden anderen Angeklagten. Alle drei Männer, ausnahmslos vertreten von Szeneanwälten aus dem extremen rechten Burschenschaftermilieu, machten beim Prozessauftakt von ihrem Schweigerecht Gebrauch.
Doch nicht nur Hans F., sondern auch der auffällige Glatzkopf und Vollbartträger Nicolas K., dessen Konterfei dank antifaschistischer Recherchen in Marburg schon lange stadtbekannt ist, darf wohl als identifiziert gelten - wenn das Gericht denn den Aussagen der Frankonen noch glaubt. Denn wie ihr Anwalt Michael Terwiesche, selbst Alter Herr der Verbindung, am Ende des ersten Prozesstags etwas zähneknirschend einräumen musste, hat er seinen jungen Bundesbrüdern just am Vorabend der Verhandlung ermöglicht, ihre polizeilichen Vernehmungen nachzulesen. Abgesprochen worden, beteuerte er, sei aber nichts.
Heinrich M. dagegen, den Dritten im Bunde, erkannte freilich trotzdem bislang kein Zeuge wieder. Dabei ist auch er so etwas wie ein rechtsextremer Prominenter: Zeitweilig firmierte der Germane als Regionalleiter der „Identitären Bewegung“ in Hessen.
Am 28. Februar wird der Prozess fortgesetzt.