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Kampf um Bleiberecht in Hessen: „Ich tue doch alles“

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Von: Gregor Haschnik

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Amanda Krasniqi und ihr Lebenspartner Nurlan Kratz würden liebend gerne heiraten, können aber nicht, weil der Pass fehlt.
Amanda Krasniqi und ihr Lebenspartner Nurlan Kratz würden liebend gerne heiraten, können aber nicht, weil der Pass fehlt. Rolf Oeser (2) © Rolf Oeser

Amanda Krasniqi ist in Hessen geboren, arbeitet hier, hat Familie – und dennoch weder einen deutschen Pass noch eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Schlüchtern - Viele Familienfotos, auch großformatige, hängen an den Wänden und ein Schild, auf dem für Amanda Krasniqi nicht nur ein Spruch steht, sondern ihr Lebensprinzip: „Family is where life begins and love never ends.“ Zu ihren Eltern, ihrer Schwester und ihren beiden Brüdern pflegt die 26-Jährige ein enges Verhältnis: „Sie sind mir sehr wichtig“, betont sie und bietet Tee und Kekse an. Mittlerweile hat Krasniqi eine eigene Familie gegründet, wohnt mit ihrem Lebensgefährten Nurlan Kratz, der in der boomenden Wohnmobilbranche arbeitet, und der gemeinsamen dreijährigen Tochter in einer ruhigen, aber zentralen Wohnung in Schlüchtern. Sie mögen die Natur in der Umgebung, die Nachbarn seien auch nett. Ein zweites Kind, ein eigenes Haus, reisen– das wäre schön, sagt Amanda Krasniqi.

Sie könnte voller Zuversicht in die Zukunft schauen, kann es aber nicht. Denn sie hat keinen Pass, keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und keine deutsche Staatsbürgerschaft. Muss alle sechs Monate auf eine Verlängerung ihres Aufenthalts hoffen, mit Ängsten und erheblichen Einschränkungen leben – obwohl sie in Bad Soden-Salmünster im Main-Kinzig-Kreis geboren wurde, zur Schule gegangen und aufgewachsen ist, hier arbeitet und ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit hat. „Das schränkt unsere Möglichkeiten ein und belastet uns“, sagt Kratz.

„Wir können unser Leben nicht planen, weil meine Zukunft ungewiss ist“, fügt die gelernte Zahnarzthelferin hinzu, die derzeit als Verkäuferin arbeitet. Wie gerne würde sie ihren Partner heiraten: „Wir sind schließlich eine Familie.“ Ohne Pass geht das allerdings nicht, ebenso wenig wie den Führerschein zu machen. Schon beim Freischalten des Handys gibt es Probleme. „Das ist Ausgrenzung. Ich kann vieles nicht tun, weil mir ein Stück Papier fehlt.“ Das war schon in ihrer Kindheit und Jugend so, als sie zum Beispiel bei Klassenreisen außen vor blieb.

Hessen: 2019 sollten die Eltern nach fast 30 Jahren abgeschoben werde

Krasniqis Mutter ist Romni, ihr Vater Aschkali, er gehört einer muslimischen Gruppe der Rom:nja an. Im Jahr 1990 sind sie vor Verfolgung geflüchtet, aus einem Teil des damaligen Jugoslawien, der heute zum Kosovo gehört. Die älteste Tochter kam dort zur Welt, die beiden Söhne und Amanda in Hessen. Die Asylanträge der Krasniqis wurden abgelehnt, sie wurden nur geduldet. 2019 sollten die Eltern nach fast 30 Jahren abgeschoben werden, obwohl sich die hessische Härtefallkommission aus humanitären Gründen klar für einen Verbleib ausgesprochen hatte. Die FR machte den Fall damals öffentlich. Letzten Endes wurde den Eheleuten doch eine Duldung zugesprochen, auch aufgrund der Erkrankungen der Mutter.

Die Eltern und ein Sohn wurden schon mehrfach zur Ausreise aufgefordert und mehrere Kinder von der Ausländerbehörde angezeigt, weil sie ihrer sogenannten Mitwirkungspflicht angeblich nicht nachkamen. Wie bei den Eltern und Geschwistern füllen bei Amanda Krasniqi die Dokumente dicke Aktenordner. Im Kern geht es seit Jahren darum, dass sie einen kosovarischen Pass beschaffen soll oder einen Nachweis darüber, dass dies nicht möglich ist. Beim Konsulat hat sie schon mehrfach mit Zeugen vergeblich vorgesprochen und der Ausländerbehörde davon berichtet. Demnächst soll sie sich auf den Weg in den Kosovo machen und dafür einen vorläufigen Reiseausweis bekommen.

Es mutet absurd an. „Ich war noch nie dort, kenne niemanden und spreche die Sprache nicht.“ Das Land fühlt sich nicht zuständig für sie, weil es nicht existierte, als ihre Eltern mit jugoslawischen Pässen flohen, und Amanda Krasniqi 1997 in Deutschland zur Welt kam. Ein anderes Ergebnis in Pristina ist kaum zu erwarten. Krasniqis Schwester hat nach vielen Jahren einen kosovarischen Pass erhalten, nachdem sie im Kosovo eine Geburtsurkunde besorgt hatte. Ihr Fall ist jedoch nicht vergleichbar, eben weil sie dort zur Welt kam.

Rom:ja in Hessen: Unverschuldet pass- und staatenlos

So wie Krasniqi geht es vielen Angehörigen der Minderheit der Rom:nja, auch in Hessen. Sie sind unverschuldet pass- und staatenlos und stehen deshalb vor vielen, schier unüberwindbaren Hürden. Krasniqis Unterstützer:innen sind überzeugt, dass ihr ein unbefristeter Aufenthalt und die deutsche Staatsbürgerschaft zustehen. Das Aufenthaltsgesetz biete die entsprechenden Möglichkeiten, erst Recht, wenn die zuständigen Ämter ihren Ermessensspielraum nutzen würden. Zwei wesentliche Argumente: Die 26-Jährige sei bestens integriert und habe jetzt auch ein „deutsches“ Kind. Krasniqi verweist darüber hinaus auf ein Verwaltungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2015.

Demnach sollte zumindest ein sogenannter Fremdenpass wohlwollend geprüft werden, wenn es nicht gelingt, einen kosovarischen Pass zu besorgen. Für einen deutschen hat sie 2019 beim Regierungspräsidium Darmstadt einen Antrag gestellt, aber dieser wird nicht bearbeitet, weil das Verfahren beim Main-Kinzig-Kreis nicht geklärt ist. „Ich tue doch alles – und bekomme so gut wie nichts. Ich habe alles vorgelegt, was ich vorlegen kann.“ Krasniqi drängt sich der Eindruck auf, man wolle ihr den Weg verbauen.

Welche Haltung herrscht in solchen Ämtern? Es gibt beim Main-Kinzig-Kreis gute Sachbearbeitende – aber auch das Gegenteil. Der FR liegt eine E-Mail vor, in der eine Beschäftigte einer Kollegin erklärt, wie sie „Ausländern“ Steine in den Weg legt. Sie schreibt, dass sie bei vermeintlich fehlenden Bemühungen um einen Pass stets auch Anzeige erstatte. Das werde strafrechtlich verfolgt und habe „den Nebeneffekt“, dass später Ausschlussgründe vorliegen könnten. Dann nennt sie in abfälligem Ton ein paar Fallbeispiele.

Main-Kinzig-Kreis weist im Fall von Krasniqi Kritik zurück

Der Main-Kinzig-Kreis weist auf FR-Anfrage im Fall von Krasniqi Kritik zurück. Zwar mache der Kreis „zu personenbezogenen Daten und individuellen Fällen“ grundsätzlich keine Angaben. Es sei aber festzuhalten, dass die Ausländerbehörde „die Möglichkeiten und Mitwirkungspflichten für Bürgerinnen und Bürger im direkten Austausch“ aufzeige. Das geschehe „strikt im Rahmen der geltenden und bindenden Gesetze mit den entsprechenden juristischen Widerspruchsmöglichkeiten für die Personen, die eine Unrechtmäßigkeit vermuten“.

Willi Hausmann, der sich ehrenamtlich für Geflüchtete einsetzt, kann darüber nur den Kopf schütteln. Er kritisiert, dass „dieser Familie immer wieder zugesetzt und vermittelt wird, unerwünscht zu sein – statt sie zu unterstützen.“ Die Krasniqis leiden seit Jahrzehnten darunter. Lange lebten sie zudem unter schlechten, beengten Bedingungen in großen Unterkünften. „Abends legten wir die Matratzen zum Schlafen auf den Boden, morgens stellten wir sie auf, um mehr Platz zu haben.“ Die Eltern sind zermürbt von der ewigen Ungewissheit.

„Ich bin mit Duldungen und Fiktionsbescheinigungen aufgewachsen – und der Angst vor Abschiebung. Schon ein Brief des Kreises löste lange Furcht bei mir aus“, blickt Amanda Krasniqi zurück. Mit den Bescheinigungen wird ein vorläufiger Aufenthalt nachgewiesen, Krasniqi erinnert sich daran, wie sie von Kindheit an darauf achten musste, ihre Papiere dabeizuhaben. Auch heute ist sie darauf angewiesen, um arbeiten zu können. Im Februar bangte sie wieder, weil die Verlängerung, die von der Ausländerbehörde per Post verschickt wird, lange nicht kam.

„Es ist nicht immer leicht, aber ich lasse mich nicht unterkriegen“

Vielleicht hänge alles auch damit zusammen, dass sie aus einer Rom:nja-Familie komme. Sie habe mit dem Kosovo nichts zu tun, fühle sich als Deutsche, betont Amanda Krasniqi. Doch auch sie versuchte, „nicht aufzufallen“, sprach nicht über ihre Wurzeln, weil sie befürchtete, ausgegrenzt zu werden.

Krasniqi erhebt ihre Stimme, wehrt sich, auch in Briefen an die Behörde. „Warum schreiben Sie wieder, dass ich meine Passpflicht nach § 3 AufenthG nicht erfüllen würde. Das kann ich doch nicht und das wissen Sie. Ich kann nicht die Gesetze der Republik Kosovo ändern. Sie können aber, nach dem Gesetz der Bundesrepublik, meinen Antrag positiv entscheiden“, schreibt sie an einer Stelle. „Es ist nicht immer leicht, aber ich lasse mich nicht unterkriegen“, sagt Amanda Krasniqi. (Gregor Haschnik)

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