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Kämpferin für Betroffene

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Von: Gregor Haschnik

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Pärssinen wuchs in Frankfurt auf, wo sie „die Repräsentation von Menschen aus verschiedenen Communities im Stadtbild“ schätzt. P. Jülich
Pärssinen wuchs in Frankfurt auf, wo sie „die Repräsentation von Menschen aus verschiedenen Communities im Stadtbild“ schätzt. P. Jülich © Peter Jülich

Liisa Pärssinen, Leiterin von „Response“, setzt sich mit ihrem Team für Menschen ein, die rechte, rassistische und antisemitische Gewalt erlebt haben.

Als ein Rassist am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen ermordete, lebte Liisa Pärssinen in München, und doch war alles ganz nah. „Als Woman of Color und selbst von Rassismus betroffene Person ist mir nach dem Anschlag bewusst geworden, dass es auch mich hätte treffen können. Dass ich nie zu 100 Prozent sicher sein kann“, sagt Pärssinen.

Intensiv verfolgte sie die politische und gesellschaftliche Diskussion nach den Attentaten, auch die Versuche, den Terror zu verharmlosen. Die Tat dürfe nicht auf den „Einzeltäter“ reduziert werden. „Die Tatortauswahl zum Beispiel hängt auch mit rassistischen Debatten zusammen“, mahnt Pärssinen. Sie weiß: „Rechtsextremistische Anschläge sind Botschaftstaten.“ Der Täter suchte bewusst migrantisierte Orte wie eine Shisha-Bar auf. Orte, die oft das Ziel von Hetze sind.

Nach dem Terroranschlag, der für sie eine Zäsur war, sah Pärssinen eine Stellenanzeige der Beratungsstelle Response für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt – und bewarb sich. Sie wollte unbedingt in diesem Bereich arbeiten, auch die Überlebenden und Hinterbliebenen unterstützen und nach Frankfurt, wo sie aufgewachsen war, zurückkehren. Im Juni 2020 fing Pärssinen, die bis 2009 die Elisabethenschule besucht und später soziale Arbeit studiert hatte, bei Response an. Im Herbst 2020 übernahm sie die Leitung. Vorher war sie in München und Berlin tätig, unter anderem für schutzbedürftige geflüchtete Frauen, in der feministischen Mädchenarbeit sowie Beratung.

Response bietet den Betroffenen psychosoziale Beratung. Außerdem kommunizieren Pärssinen und ihre Kolleg:innen mit Behörden, begleiten zu Terminen, helfen, Leistungen etwa nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) zu bekommen, vermitteln Anwält:innen und weitere Hilfsangebote. Wenn alles von einem auf den anderen Tag zusammenbreche, sei zunächst die finanzielle Versorgung wichtig, um die laufenden Kosten zu decken. Betroffen seien meist ganze Familien, so Pärssinen.

Als weitere wichtige Aufgabe betrachtet sie, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. „Wir versuchen, die Betroffenenperspektive in die Gesellschaft zu tragen. Die Anliegen werden oft bagatellisiert oder vergessen – auch wenn es nach Hanau und Halle ein paar Fortschritte gegeben hat.“

Pärssinen erhebt ihre Stimme, weist auf Missstände hin. Sie ist überzeugt: Es reicht nicht aus, Betroffenen zu helfen, wenn sich an rassistischen und antisemitischen Strukturen nichts ändert. „Dann bleiben wir in einem Kreislauf stecken.“

Das Angebot von Response ist auf Menschen, die rechtsextreme Gewalt erlebt haben, zugeschnitten, und die Mitarbeitenden sind entsprechend ausgebildet. Der Anschlag von Hanau hat rund 100 Menschen direkt und indirekt getroffen. In den vergangenen drei Jahren wurden mehr als 70 Beratungen bei Response begonnen. Derzeit unterstützt die Einrichtung mit Sitz in Frankfurt 34 Betroffene, wovon etwa die Hälfe einen hohen Beratungsbedarf habe.

Die Betroffenen und ihre Unterstützer:innen stoßen immer wieder auf hohe Hürden, beispielsweise beim OEG. Dieses „ist sehr kompliziert und wird restriktiv angewandt“, kritisiert Pärssinen. Bei den Sachbearbeitenden mangele es auch an einer traumasensiblen, rassismuskritischen Perspektive.

Nur ein relativ kleiner Teil der Anträge auf Leistungen nach dem OEG – etwa eine Rente oder eine Übernahme von Behandlungskosten – wird bewilligt, von 2010 bis 2019 waren es in Hessen lediglich 29,9 Prozent. Die Reform des Gesetzes, die ab 2024 greift, bringe Fallmanager:innen und höhere Sätze, die jedoch nach wie vor keine angemessene Hilfe darstellten, sagt die Response-Leiterin.

Ein Umdenken fordert sie auch bei der Ausstattung der Helfenden: „Es muss mitgedacht werden, dass es wieder zu einem Anschlag kommen kann und die Ressourcen kurzfristig deutlich ausgebaut werden müssen – auch direkt vor Ort, in den betroffenen Kommunen.“

Darüber hinaus brauche es eine stabile Basisfinanzierung. „Die Unterstützung der Betroffenen ist eine jahrzehntelange Aufgabe.“ Response sei bereits vor dem Anschlag an der Belastungsgrenze gewesen: „Die Zahl der Anfragen ist kontinuierlich gestiegen.“ Der Bedarf sei weiterhin höher als die Kapazitäten.

Nach dem Anschlag konnte Response Anfragen zum Teil nur verzögert oder gar nicht annehmen. Die für ganz Hessen zuständige Einrichtung, die auch in Kassel vertreten ist, verfügt über eine Handvoll Vollzeitstellen. Auf andere Anlaufstellen zu verweisen, ist nicht immer möglich, auch weil die Kapazitäten der spezialisierten Berater:innen in anderen Bundesländern ebenfalls mitunter erschöpft sind.

Was Pärssinen motiviere? Besonders wichtig sei ein gut funktionierendes Team. „Wir stützen uns gegenseitig. Das ist notwendig, um die Arbeit professionell zu machen und gesund zu bleiben.“ Darüber hinaus „motiviert mich jeder kleine Erfolg in der Beratung – und vor allem die Rückmeldung von Betroffenen, dass sie unseren Ansatz schätzen.“ Response gebe ihnen einen Raum, in dem sie über das Erlebte sprechen können, „auf Augenhöhe und ohne infrage gestellt zu werden“. Letzteres erlebten sie leider oft bei anderen Stellen oder im Bekanntenkreis.

Drei Jahre sind mittlerweile seit dem rassistischen Terroranschlag vergangen: „Die Überlebenden und Hinterbliebenen von Hanau haben unglaublich viel Kraft nach diesem unfassbar schrecklichen Ereignis entwickelt“, sagt Liisa Pärssinen. Einerseits sei das bewundernswert. Andererseits „ist es frustrierend, dass sie so kämpfen müssen, weil Gesellschaft und Politik zu wenig tun“.

Wie weit der Weg noch ist, habe die Debatte nach den sogenannten Silvester-Krawallen gezeigt. „Jeder muss etwas gegen Rassismus und Antisemitismus tun. Sonst ändert sich nichts“, appelliert Pärssinen.

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