Jungalternativ, rechtsextrem und AfD

Wieder konnte ein Aktivist der "Identitären Bewegung" zum Funktionär in der AfD-Jugend werden.
Propagandistisch war das Video nicht der ganz große Wurf. Zum Tag der deutschen Einheit im vergangenen Jahr veröffentlichten Aktivisten der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ aus Hessen und Thüringen einen Internet-Clip, in dem sie sich über Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Ost und West ausließen. Die Art, die Uhrzeit auszudrücken, versus Heimat, Wald und Gitarrespielen am Lagerfeuer, so etwas. Interessanter als der eher schlichte Inhalt des Youtube-Filmchens ist jedoch der junge Mann, der, untersetzt und seitengescheitelt, darin an der Spitze der hessischen Identitären marschiert: Es ist Carsten Dietrich, Vizevorsitzender des Kasseler Kreisverbands der Jungen Alternative (JA).
Zwar besteht bei der AfD-Parteijugend in Hessen eigentlich ein Unvereinbarkeitsbeschluss, was die vom Verfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“ angeht. Doch allzu ernst nimmt man das bei den Jungalternativen offenbar nicht – sonst könnten nicht immer wieder Mitglieder und Sympathisanten der rechtsextremen Organisation in den Reihen des AfD-Nachwuchses entdeckt werden.
Bekannt sind Fälle aus Marburg-Biedenkopf, aus Wiesbaden, aus Fulda. Und erst Anfang dieses Monats berichtete die FR, dass im JA-Kreisverband Waldeck-Frankenberg mit Tristan Lessing ein Mitglied der neonazistischen Kasseler Burschenschaft Germania und identitärer Aktivist in den Vorstand gewählt worden war – pikanterweise zusammen mit dem Landeschef der Jungalternativen, dem AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte.
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Carsten Dietrich träumt auf Facebook von einem völkisch homogenen Deutschland ohne Ausländer und Ausländerfreunde: „Ich will in einen Deutschland leben in dem die Deutschen leben und das ist mein gutes Recht!“, schrieb der Mann aus Waldkappel vor wenigen Wochen. „Sollen doch die gehen, die gern in einer multikulturellen Gesellschaft leben wollen. Hier geht es um die Existenz des deutschen Volkes.“ Er verharmloste Hakenkreuzschmierereien und beschwerte sich über das „Rumheulen“, wenn in der Region Aufkleber der „Identitären Bewegung“ auftauchen.
Funktionäre flüchteten sich in Standardausrede
Dass nicht nur seine Social-Media-Profile, sondern auch die des Kasseler JA-Vorsitzenden Marius Deuker voll sind mit Bezügen zu Anhängern der „Identitären Bewegung“, darauf hatte die FR bereits am Rande der Berichterstattung über den Fall Tristan Lessing hingewiesen. Doch während die Angst der AfD vor einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz dafür sorgte, dass Lessing hektisch aus der JA geworfen wurde, passierte bei den Kasselern: nichts. Die beiden Funktionäre flüchteten sich in die Standardausrede, dass sie auch nicht so genau wüssten, mit wem sie da in Kontakt stünden. Und blieben im Amt.
Bei Carsten Dietrich steht spätestens mit dem jetzt entdeckten Videoclip fest: Das war gelogen. Aber auch bei Marius Deuker muss man die Ausflucht nicht glauben. Via Facebook betrieb er freundschaftlichen Austausch mit dem Gründer von „Reconquista Germanica“, einer Armee rechtsextremer Internettrolle, die gezielt Shitstorms gegen politische Gegner und kritische Journalisten entfesseln soll. Und als seine Gefällt-mir-Angaben noch öffentlich einsehbar waren, fanden sich darunter auch etliche für Seiten der „Identitären Bewegung“. Auf seiner Freundesliste standen identitäre Aktivisten – wenn auch weniger als bei seinem Stellvertreter Dietrich, unter dessen Social-Media-Freunden sich Hauptprotagonisten der rechtsextremen Organisation regelrecht tummelten.
Gegründet wurde der Kasseler JA-Kreisverband, der Anfang 2016 als erste Dependance der AfD-Jugend in Hessen entstand, übrigens von Michael Werl, heute Chef der AfD-Fraktion im Kasseler Rathaus.
Und Zufall oder nicht: Der Student hat mehr als zwei Jahre lang in einem Haus der Kasseler Burschenschaft Germania gewohnt, jenes braunen Studentenbunds, dem auch der identitäre Ex-JA-Funktionär Tristan Lessing angehört.
Werl behauptet allerdings, niemals Mitglied der Burschenschaft geworden zu sein – auch wenn er seine Zugehörigkeit in einem Facebook-Post selbst offenbarte.
Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels hatten wir Marius Deuker zugeschrieben, bei Facebook mit fast der gesamten Führungsspitze der „Identitären Bewegung“ in Bund und Land befreundet gewesen zu sein. Zwar ist richtig, dass Identitäre auf seiner Freundesliste standen. In größerer Zahl fanden sich Hauptprotagonisten der rechtsextremen Bewegung hingegen unter den Social-Media-Freunden von Carsten Dietrich. Wir bitten, diese Verwechslung zu entschuldigen.
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