Ja und nein. Vieles wächst in diesem Sommer sehr üppig. Ganz im Gegensatz zum vergangenen Sommer, der ja sehr heiß und trocken war. Da war um diese Zeit fasst alles verdorrt. Diese Feuchtigkeit jetzt tut den meisten Pflanzen gut, allerding nicht allen. Es gibt einige Kräuter, die vertragen keine Staunässe. Die Nässe macht außerdem Probleme, wenn man Pflanzen trocknen oder Auszugsöle gewinnen will.
Was lässt sich denn jetzt im August sammeln?
Sehr viel. Wegen des Regens ist es momentan ähnlich wie im Frühjahr, der Hauptjahreszeit für Kräuter. Außerdem hat in diesem Jahr alles etwas später angefangen. Deshalb lassen sich jetzt noch Pflanzen pflücken, deren Haupterntezeit eigentlich vorbei ist. Johanniskraut zum Beispiel.
Wofür oder wogegen ist das gut?
Johanniskraut wirkt entspannend und beruhigend. Gerade Menschen, die gestresst sind von Arbeit und Beruf, können gern ab und an ein Glas Johanniskrauttee trinken.
Den es in Drogerien und Apotheken zu kaufen gibt...
Aber es geht ja gerade darum, rauszugehen in die Natur, zu schauen, was da zurzeit wächst, selbst die Pflanzen zu sammeln, zu bestimmen, sich mit ihnen zu beschäftigen. Sammeln hat ja etwas zutiefst Archaisches. Und es entschleunigt unglaublich.
Was hat jetzt noch Saison und was kann man daraus machen?
Etwas Gängiges oder eher etwas Ausgefalleneres?
Gerne beides.
Momentan wächst in Wald und Garten eigentlich alles, was auch sonst fast immer da ist: Löwenzahn, Brennnessel, Gänseblümchen, Gundelrebe oder Schafgarbe etwa. Außerdem findet man Wiesensalbei, Wilden Oregano und Wilden Sauerampfer. All diese Pflanzen sind essbar, man kann sie als Gewürz nehmen, Salat oder Spinat aus ihnen machen, Suppen oder Desserts mit ihnen garnieren oder sie für Kräutersalz verwenden. Und sie alle haben als Heilpflanzen auch entsprechende Wirkung, die Brennnessel zum Beispiel wird gern zur Entgiftung eingesetzt.
Nun bitte was Ausgefalleneres.
Habichtskraut blüht jetzt noch im August. Es verbessert die Sehkraft, weil es die Durchblutung der feinen Kapillargefäße im Auge fördert. Daher hat es seinen Namen: Man soll davon Augen wie ein Habicht bekommen. Dann gibt es jetzt noch die Braunelle auf den Wiesen. Die kleinen violetten Blüten und die Blätter kann man in Quark oder Suppe rühren oder aufs Butterbrot streuen. Sie hat eine antivirale Wirkung und lässt sich unter anderem gegen Herpes, bei Halsschmerzen und Entzündungen im Rachenraum einsetzen. Früher war sie ein wichtiges Heilmittel gegen Diphterie und Tuberkulose. Oder das Große Hexenkraut…
Der Name klingt ja bezeichnend.
Früher haben Frauen das Hexenkraut verwendet, um schöner zu wirken und Männer zu bezirzen. Es sollte ihre Ausstrahlung steigern, sie von Innen leuchten lassen. Tatsächlich leitet sich der lateinische Name des Großen Hexenkrauts Circaea lutetiana von Homers Odyssee ab und der Zauberin Circe, die mit ihren Dienerinnen versucht, Odysseus und seine Mannen zu verführen.
Apropos Risiko: Empfiehlt es sich denn, unbedarft irgendwelche Blumen und Pflanzen zu futtern oder zu trinken?
Zu viel ist nie gut, egal wovon. Bei Pflanzen, die der Körper nicht kennt, sollte man erst einmal eine geringere Menge probieren. Die Empfindlichkeit und Allergiebereitschaft der Menschen nimmt immer mehr zu, da muss man viel individueller testen, was wir vertragen und was nicht. Bei bestimmten Therapien nimmt man heute oft nur die halbe oder viertel Dosis von dem, was sich die Leute früher einverleibt haben.
Zurück zum Sommer: Falls es doch noch knackig heiß wird, was taugt zur Erfrischung?
An erster Stelle steht natürlich die Minze. Man kann sie einer Kräuterlimo zufügen oder einfach ein paar Blätter in Apfelsaft oder Wasser werfen. Gleiches gilt für Rosenblüten und fast sämtliche Blüten. Die gehen auch in der Bowle.
Und was hilft gegen die unangenehmen Seiten des Sommers, etwa Insektenstiche oder Sonnenbrand?
Bei Stichen helfen Spitz- und Breitwegerich. Gut ist außerdem der Stinkende Storchenschnabel, auch nach Zeckenbissen. Das ist eine entgiftende Pflanze, die die Toxine über die Lymphe aus dem Körper zieht. Sonnenbrand und Verbrennungen kann Johanniskraut lindern, ansonsten hilft vor allem Aloe Vera – was jetzt keine einheimische Pflanze ist. Auch aus Dick-, Dach- und Hauswurz lässt sich ein kühlendes Gel gewinnen.
Noch ein Kräuter-Tipp für die Ferien, bitte.
Rausgehen in die Natur und einfach mal schauen, welche Pflanze einen gerade anspricht. Das ist wirklich im kommunikativen Sinne gemeint: Jeder liest etwas Bestimmtes aus einem Gewächs. Man kann sich dann überlegen, warum das so ist, man kann die Pflanze bestimmen, sie sammeln, ihre Blüten probieren. Das entschleunigt, man kommt zu sich selbst.
Interview: Meike Kolodziejczyk