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Bad Homburg: Wo der Reichskanzler spazieren ging

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Archivar Andreas Mengel sammelt für das Bad Homburger Stadtarchiv historische Postkarten. Bild: Jürgen Streicher
Archivar Andreas Mengel sammelt für das Bad Homburger Stadtarchiv historische Postkarten. Bild: Jürgen Streicher © Jürgen Streicher

Das Stadtarchiv in der Bad Homburger Villa Wertheimber bietet dezente Einblicke in private Postkarten-Grüße aus zwei Jahrhunderten

Wetter schön, Hotel gut, Essen prima. Sonnige Grüße!“ Die SMS der analogen Zeit wurde, von Hand geschrieben, als Postkarte verschickt. Mit Vorsicht formuliert, man konnte ja nie wissen, wer sie auf dem Weg vom Absender zum Adressaten lesen würde. Möglichst unverfänglich die Botschaft, Kurzkommunikation auf persönlicher Ebene über ein Grußmedium, das seit den späten 60er Jahren des 19. Jahrhunderts die postalische Welt bereicherte. „Sind dem Reichskanzler auf der Louisenstraße begegnet“, keine Fake-Botschaft, sie lasse sich lückenlos belegen, sagt Andreas Mengel, der Verwalter der Postkartensammlung im Stadtarchiv zu Bad Homburg.

Die Einladung zu einer Zeitreise durch die Kurstadt liegt vor, das Archiv in der einst mondänen Bankiersvilla Wertheimber präsentiert Grüße aus Bad Homburg, bunte und schwarz-weiße Postkartenschätze aus 150 Jahren Zeitgeschichte. Auf Correspondenz- und Feldpostkarten kam die „SMS der Frühzeit“, wie auch Andreas Mengel sie nennt, anfangs noch zensiert daher, etwas später als Ansichts- und Bildpostkarte, das hat sie für Sammler:innen so wertvoll gemacht. Und bei den Empfänger:innen so beliebt. Freundschaftliche Grüße in kurzen formelhaften Floskeln, hier bin ich, ich denke an euch. Ein schönes Lebenszeichen. Am ersten Verkaufstag im Sommer 1870 in Berlin gingen schon mehr als 45 000 Exemplare über den Tisch, vor allem auf Reisen wurden die Karten schnell zum absoluten Renner. Und sind es bis heute geblieben, trotz der digitalen Konkurrenz.

„Gruss aus Bad Homburg“ ist die Ausstellung überschrieben, solide zur Schau gestellt mit Abbildungen von Schloss und Kurbezirk, als Erinnerung und offizielle „Festkarte“ zu Ereignissen wie der Einweihung der Russischen Kapelle 1899 mit Aufnahmen des „Königlichen Hofphotographen T.H. Voigt“, kunstvoll zierlich inszeniert als Jugendstilvariante der Schmetterling mit weiblichem Körper, in dessen vier Flügeln Bilder von Schloss und Kurhaus, Kaiser-Wilhelms-Bad und Kurpark schimmern, garniert mit dem schlichten Vierzeiler: „Ich komme von Homburg geflogen/und bringe Grüsse daher/Bleibe immer mir gewogen/und nächstens schreibe ich mehr“.

Das Stadtarchiv in der historischen Villa ist der passende Ort für die Zeitreise durch das alte „Bad Homburg vor der Höhe“. Nicht weit entfernt vom „Luftkurort Dornholzhausen“ mit der „Pension Herzberg“ und Blick auf den Taunus am Rand des Villenviertels entlang der elektrischen Saalburg-Bahn. Auch das ist im Postkartenformat festgehalten.

Im einstigen Frühstückszimmer der Bankiers kann man zurückgezogen in großformatigen Reproduktionen jener alten Postkarten blättern. Kann stöbern in Bildern vom früheren Kurhaustheater, Hotel Minerva, Sanatorium Villa Hermine oder im Tagtraum der Überfahrt eines Zeppelins auf der Linie Friedrichshafen–Homburg–Memel folgen.

Noch näher dran und quasi mit dem Geruch der Zeit verbunden sind die Besucher:innen im Lesesaal, da können sie sich von Andreas Mengel wertvolle Objekte im Original vorlegen lassen: Jede Menge Postkarten von den großen Ausflugszielen im Umfeld, vom legendären Gordon-Bennett-Autorennen 1904 und anderen Ereignissen, die alte Homburger Welt im Zeitraffer; und am Ende ein Geschenk mitnehmen, eine neue Ansichtskarte mit der Villa Wertheimber auf der Vorderseite nach einem Motiv der Malerin Evelin Schmied.

Mit Glück kann man das Gefühl bei besonderen Veranstaltungen wie der Kulturnacht in den Lagerräumen des Archivs bei einer speziellen Führung vertiefen. Ein paar Tausend Postkarten lagerten dort vor der Jahrtausendwende, heute sind es um die 20 000 Exemplare. Gewachsen ist die Sammlung vor allem durch Ankäufe aus Privatsammlungen, aber auch durch Bürgerspenden, Zukäufe von professionellen Anbietern und die „Beobachtung des Markts im Internet“, so der Postkartenexperte Mengel, für den Signatur, Archivierung und inzwischen auch Digitalisierung Lebensaufgabe geworden ist.

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