Heute nur Notbetreuung für die Kinder

Die Gewerkschaft Verdi ruft Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst zum Streik auf. Die Eltern sind noch verständnisvoll.
Es brodelt. Die Verhandlungen stocken. Die Gesichter der Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst werden immer länger, den Eltern stockt der Atem. Für heute ruft die Gewerkschaft Verdi wieder mal zum Streik in Kitas und Sozialeinrichtungen auf. „Wir kämpfen seit vielen Jahren für die Aufwertung der sozialen Arbeit“, sagt Verdi-Vize Christine Behle. Die Forderung nach 10,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, hat die Arbeitgeberseite zuletzt abgelehnt.
Dabei geht es nur vordergründig ums Geld. Also schon auch, als Wertschätzung der erbrachten Leistungen. Aber vorrangig fordern die Beschäftigten Entlastung, mehr Personal für die Einrichtungen und mehr Zeit für Qualität in der pädagogischen Arbeit. Etwa Vor- und Nachbereitungszeiten, wie sie für Lehrerinnen und Lehrer schon lange selbstverständlich seien. Die existierten nur auf dem Papier, schimpfen Erzieher:innen.
Viele seien auch schlicht erschöpft, erzählen Betroffene. Nach zwei Jahren Corona mit unglaublichem Mehraufwand im Tagesgeschäft gebe es kein Durchschnaufen, keine langsame Rückkehr zur Normalität. Stattdessen ist als Zusatzaufgabe hinzugekommen, Kinder und Jugendliche aus der Ukraine zu integrieren.
Sanaz Faraji klingt allerdings eher beschwingt am Telefon. Zwar erschöpft von der Arbeit, aber irgendwie auch kämpferisch. Sie arbeitet als Erzieherin in Rödermark. „Es ist jetzt der dritte Tag, an dem wir streiken“, sagt sie, und dass sie tatsächlich Fortschritte wahrnehme: „Wir werden gesehen.“ In Rödermark seien alle Kolleginnen und Kollegen in allen Einrichtungen am Streik beteiligt. Sie selbst setze aber aus. Faraji ist kein Verdi-Mitglied, erhält also kein Streikgeld. Heute wird sie in der Notbetreuung aushelfen, wenn auch nicht im gewohnten Umfeld. „Bei uns hat sich noch niemand angemeldet.“ Darum springe sie wohl in einer anderen Kita ein.
Auch in Frankfurt organisieren viele Einrichtungen eine Notbetreuung. Zumindest die 148 in kommunaler Trägerschaft. Die genauen Zahlen, wo und wie viele Beschäftigte in Streik träten, könnten die Leitungen aber schwer einschätzen, sagt Ramona Pistone von der Pressestelle von Kita Frankfurt. „Das können die Mitarbeitenden am Tag des Streiks entscheiden.“
Warnstreiks in Hessen
In Nordhessen streiken die Beschäftigten in Kitas, Jugendhäusern, Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD), Jugendgerichtshilfe, also Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen in kommunalen Einrichtungen. Außerdem aufgerufen sind die Kolleg:innen der Lebenshilfe Waldeck-Frankenberg und des Bad Emstaler Vereins (Psychiatrie). Auch die Streikenden des Sozial- und Erziehungsdiensts aus den Landkreisen Hersfeld-Rotenburg nehmen teil. Demo ab 10 Uhr am Opernplatz in Kassel.
In Mittelhessen aufgerufen sind Tarifbeschäftigte, Auszubildende, Praktikant:innen und Studierende im Sozial- und Erziehungsdienst aller Dienststellen der Kommunalverwaltungen. Auch die freien Träger im Anwendungsbereich des TVöD, etwa AWO und Lebenshilfen. Dies betrifft die Landkreise Gießen, Marburg/Biedenkopf und Lahn-Dill. Die Streikenden reisen nach Marburg. Demo um 9 Uhr ab Georg-Gaßmann-Stadion zum Erwin-Piscator-Haus in Marburg.
In Hanau sind die Beschäftigten in den Bereichen der Sozialen Arbeit und Bildung, also Kitas einschließlich Hauswirtschaftskräfte, Behindertenhilfe BWMK / Kompass Lebenshilfe, innerhalb der Stadtverwaltung Hanau die Familien- und Jugendarbeit/KSD auch das Amt für Senioren und Ehrenamt, das Stadtschulamt und die Volkshochschule, bei der Kreisverwaltung Main-Kinzig das Jugendamt und Teile des Gesundheitsamts. Auch die streikenden Beschäftigten im Sozial – und Erziehungsdienst des Landkreis Fulda nehmen in Hanau teil. Sammeln um 10 Uhr auf dem Freiheitsplatz in Hanau, kurzer Zug am Klinikum und am Marktplatz vorbei, gegen 11 Uhr zur Abschlusskundgebung zurück auf dem Freiheitsplatz.
In Frankfurt und Umgebung streiken die Tarifbeschäftigten in Kitas und den Einrichtungen der Sozialen Arbeit aller kommunalen Dienststellen. Dies betrifft auch die Kreiskommunen Hochtaunus, Main-Taunus und Wetteraukreis, den Landkreis Offenbach und den EKO Offenbach. Außerdem sind aufgerufen Oberurseler Werkstätten, Praunheimer Werkstätten, Werkstätten Haimbachtal, AWO Kreis-Verband FFM, AWO Perspektiven GmbH, Frankfurter Verein soziale Heimstätten, VzF–Taunus.Um 13 Uhr beginnt gemeinsam mit dem Feministischen Streikkollektiv Frankfurt ein Care-Walk vor dem DGB-Haus. Unter anderem wird die Linken-Bundesvorsitzende Janine Wissler angekündigt. Sie soll Grußworte an die Demonstrierenden sprechen. Zug durch die Innenstadt mit einzelnen Stationen. Geplantes Ende gegen 16 Uhr.
In Wiesbaden streiken die Beschäftigten des Sozial- und Erziehungsdienstes der Stadt und die AWO sowie die Jugendhilfe in Kiedrich der AWO-Perspektive. Demo um 9 Uhr ab Hauptbahnhof.
In Limburg streiken Beschäftigte des Sozial- und Erziehungsdienstes der Stadt, die Lebenshilfen Limburg/Diez und Rheingau-Taunus. Demo: 10 Uhr
ab Verdi-Büro, Im großen Rohr 8. Kundgebung ab 12 Uhr auf dem Europaplatz.
In Darmstadt ab 14 Uhr am DGB-Haus Darmstadt, Rheinstraße 50, Demo zum Luisenplatz, 15 Uhr Kundgebung auf dem Luisenplatz zusammen mit dem feministischen Streikbündnis. (prmk)
Jede Einrichtung bemühe sich, so früh wie möglich die Eltern zu informieren. Besonders jene Familien, in denen beide Elternteile berufstätig und im Job unabkömmlich sind. Am Streiktag selbst ist auch eine Telefonhotline für Fragen eingerichtet (069 / 212 414 00).
Bislang seien die kommunalen Kitas jedenfalls mit der Notbetreuung durch Streiktage gekommen, sagt Pistone. „Es war selten der Fall, dass wir eine Einrichtung ganz schließen mussten.“ Aber auch die Erfahrungswerte seien nur bedingt belastbar. Der jüngste Streik fand am 17. Februar statt. Aber wer wisse schon, wie viele Menschen danach in die Gewerkschaft eingetreten seien oder neu mobilisiert werden.
„Die Eltern machen sehr gut mit“, lobt Sanaz Faraji derweil. Bislang habe sich noch niemand wegen der Streiks beschwert. Das ist in Frankfurt wohl ähnlich. „Noch gibt es keinen Aufschrei“, sagt Thomas Krohn vom Gesamtelternbeirat der städtischen Kinderzentren in Frankfurt. Gleichwohl sei die Elternschaft zwiegespalten, schränkt er ein. Auf breiter Front herrsche Zustimmung, was die Anliegen der Beschäftigten angehe: dass mehr Personal notwendig sei, dass Fachkräfte besser bezahlt werden sollten, dass der Beruf schlicht attraktiver sein könne. Wenn allerdings die Betreuungszeit eingeschränkt werde, reagierten viele Eltern kritisch. Der Konflikt dürfe nicht auf ihrem Rücken ausgetragen werden, heiße es dann.
Heute müssen die Eltern improvisieren, sagt Krohn, pauschal könne man nicht sagen, wie die Familien den Betreuungsengpass am Streiktag überbrücken werden. „Viele sind noch im Homeoffice, können die Kinder also zu Hause lassen.“ Was natürlich nicht ideal sei, weder für die Kinder noch für die Arbeit. „Manche haben den Vorteil, die Großeltern einspannen zu können.“ Andere hätten massive Probleme.
Noch überwiege bei den Eltern das Verständnis, sagt Krohn. Wie sich das entwickele, „hängt vom Verlauf der Verhandlungen ab“. Zumal die Eltern auch die Verhandlungen zum Frankfurter Haushalt aufmerksam verfolgten. Wenn dort in Sachen Kinderbetreuung der Etat gekürzt werde, schlage das womöglich auf das Betreuungsangebot durch.