Heusenstamm: Technikschätze von Weltrang im Industriegebiet

Vor 150 Jahren begann die kurz zuvor gegründete Reichspost, alles zum Thema Kommunikation zusammenzutragen. Die bis heute erhaltenen Bestände gelten als älteste und größte Sammlung dieser Art weltweit. Ein Besuch im Museumsdepot in Heusenstamm, einem wahren Schatzhaus der Ingenieurskunst.
Nur ein kleines Schild weist den Weg zu der wohl ältesten technischen Sammlung weltweit. Hinter einer schlichten Fassade im Industriegebiet von Heusenstamm im Kreis Offenbach öffnen sich Hallen über Hallen voller Schätze, die auch international ihresgleichen suchen. Hier hat das Frankfurter Museum für Kommunikation sein großes, klimatisiertes und gut gesichertes Depot, hier bewahrt es Hunderttausende Stücke auf, die Sammlerinnen oder Händlern den Atem stocken ließen, dürften sie einmal stöbern.
Vor 150 Jahren, 1872, begann das damals neu gegründete Reichspostmuseum zu sammeln. Die Bestände überlebten das Ende des Kaiserreichs, die Inflation, die Bombenangriffe, die deutsche Teilung und die Privatisierung des Unternehmens. Heute gehören Postkutschen und frühe Telefonzellen, avantgardistische Fernsehapparate und die bedeutendste Sammlung von Telefonen weltweit der Museumsstiftung Post und Telekommunikation, die von der Deutschen Post und der Deutschen Telekom getragen wird. Die nicht kommerziell ausgerichtete Stiftung verfügt über einen Ankaufsetat, aber viele Raritäten landen hier als Geschenk, wenn Firmen ihre Kommunikation modernisieren oder pensionierte Postmitarbeiter ihre Sammlungen auflösen. „Viele Privatleute bieten uns etwas an. Aber davon sind höchstens fünf Prozent interessant für uns“, sagt Kustos Joel Fischer. Neben Berlin ist Heusenstamm zweites Hauptdepot der Stiftung, betreut vom Frankfurter Museum für Kommunikation am Schaumainkai und gefüllt mit geschätzt 375 000 Objekten auf 15 000 Quadratmetern.
Mögen Zahlen wie diese schon beeindruckend sein, ist der Blick, der sich bietet, wenn man in die selten zugänglichen Lagerhallen kommt, schlichtweg überwältigend. Am Sonntag, dem Internationalen Museumstag, bietet sich übrigens die Gelegenheit, die Depots zu erkunden.
Der erste Saal schaut aus wie ein historisches Parkhaus oder ein Filmstudio. Dicht an dicht stehen Postkutschen, alte Omnibusse, Motorräder oder auch ein quietschgelbes Gogomobil, die einst im Dienste der Post in West- wie Ostdeutschland unterwegs waren. Dass vieles schon mal da gewesen ist, zeigen etwa elektrische Omnibusse, die aus den 1920er Jahren stammen. „Das war damals tatsächlich weit verbreitet in den Städten“, berichtet Fischer.
Rechts und links öffnen sich weitere Hallen, und die Kellergeschosse, unter anderem mit Dinosauriercomputern, Steinzeitfernsehern, Requisiten für die Dreharbeiten zum DDR-Sandmännchen und einer umfangreichen Kunstsammlung, sind nochmals ähnlich weitläufig. 150 Jahre Technikgeschichte aus mehreren deutschen Staaten und Bundesländern – hier kommt wirklich sehr, sehr viel zusammen. Kustos Fischer, 37, studierter Kunsthistoriker, zeigt das Problem der schieren Masse an einem gewaltigen Schrank, dessen Türen er öffnet.
Museumstag am 15. Mai - eine Auswahl
Am kommenden Sonntag, 15. Mai, wird der Internationale Museumstag gefeiert, den der Internationale Museumsrat ICOM ausgerufen hat. Das Angebot ist gewaltig, ausführliche Hinweise finden sich online unter www.museumstag.de.
Das Museum für Kommunikation am Schaumainkai 53 ist eines der interessantesten Häuser am Frankfurter Museumsufer, mit fantasievollen Ausstellungen und dem vielleicht besten Kinderprogramm. Weltweit zählt es zu den großen technischen Sammlungen für Kommunikationsgeschichte, von der Briefmarke über die Postkutsche bis zum Smartphone. Die riesigen Archive in einer alten Industriehalle in Heusenstamm im Kreis Offenbach sind normalerweise nur zu wissenschaftlichen Zwecken zugänglich. Am kommenden Sonntag allerdings beteiligt sich das Depot, Philipp-Reis-Straße 4-8, in Heusenstamm von 10 bis 17 Uhr mit einem Tag der Offenen Tür am Museumstag. Unter anderem gibt es Führungen, Postkutschenrundfahrten und eine Bastelwerkstatt.
Im Archäologischen Museum in der Karmelitergasse in Frankfurt können Besucher:innen von 12 bis 14 Uhr Brett-, Gedulds- und Geschicklichkeitsspiele aus römischer Zeit ausprobieren. Eine Führung um 11 Uhr befasst sich unter anderem mit der Frage, ob Kelten im römischen Frankfurt lebten. Der Eintritt ist kostenlos, die Führung kostet sieben Euro. Anmeldung online unter fuehrungen.archaeologie@stadt-frankfurt.de
Im Weltkulturen-Museum , Schaumainkai 29-37, in Frankfurt führt Museumsdirektorin Eva Raabe von 15 Uhr an durch die Sonderausstellung „Grüner Himmel, Blaues Gras. Farben ordnen Welten“. Anhand von Beispielen wird sie unter anderem die Aufgaben ethnologischer Museen erläutern. Wer mitgehen möchte, meldet sich über das Onlinebuchungssystem des Museums an: www.weltkulturenmuseum.de
Im Deutschen Ledermuseum , Frankfurter Straße 86, in Offenbach wird das Frankfurter Designer-Duo Esther und Dimitrios Tsatsas von 15 Uhr durch die Sonderausstellung „Tsatsas. Einblick, Rückblick, Ausblick“ führen. Zudem bietet das Museum für Kinder von 11 bis 13 Uhr einen Workshop an, in dem sie Täschchen und Schlüsselanhänger fertigen können. Für Führung und Workshop ist jeweils eine Anmeldung erforderlich (E-Mail: info@ledermuseum.de). Teilnehmende müssen lediglich den an diesem Tag um die Hälfte reduzierten Eintrittspreis zahlen.
Das Landesmuseum Darmstadt , Friedensplatz 1, stellt sein jüngst aus den USA zurückgekehrtes Skelett des Mastodons in den Mittelpunkt des Museumstags. Kleine und große Besucher:innen treffen auf „Live-Speaker“, die mit ihnen in Kontakt treten, sie können Info-Stände besuchen und bei Kreativaktionen und Führungen mitmachen. Daneben spielt das „Christian Seeger-Trio“ Jazz . www.hlmd.de
Im Stadt- und Industriemuseum der Stadt Rüsselsheim, Hauptmann-Scheuermann-Weg 4, wird der Museums- zu einem Feuerwehr-Erlebnistag. Zwischen 11 und 15 Uhr bieten örtliche Kinderwehren parallel zur Mitmach-Ausstellung „Wer rennt, wenn’s brennt“ Spiel- und Mitmachstationen an, an denen der Ernstfall geprobt werden kann. Von 14 Uhr an ist darüber hinaus eine Showübung zu sehen. Der Museumseintritt ist frei. lad/aph
Darin stehen Dutzende eindrucksvoller Telefonapparate von 1905 mit kaiserlichem Wappen, jeder einzelne wahrscheinlich die Attraktion einer Auktion oder der ganze Stolz seiner Besitzerin oder seines Besitzers. Die Vielzahl dieser „Multibletten“, wie Fischer sie analog zu Dubletten nennt, ist beeindruckend, erschlägt einen aber auch. „Bei uns kommt ja nichts weg“, sagt Fischer schmunzelnd. Bewahrt und gepflegt werden alle gesammelten Stücke, die Sammlung beschäftigt dazu eigene Restauratorinnen und Restauratoren.
Nur ein winziger Bruchteil der Dinge im Depot Heusenstamm, das im Jahr 2000 eingerichtet wurde, wird wohl jemals in einem der Museen der Stiftung in Frankfurt, Berlin oder Nürnberg ausgestellt werden. Bei Kunstmuseen befinden sich um die 90 Prozent der Sammlung im Depot, beim Museum für Kommunikation dürfte der Anteil weit höher liegen.
Kustoden wie Fischer und seine Kolleg:innen müssen auswählen, was gezeigt werden kann. „Wir wollen aber so viel wie möglich zugänglich machen und nutzen dazu auch neue Möglichkeiten der Publikation, etwa im Internet. Die Sammlung ist ein Repertoire für alle Häuser, sie ist eine Einheit.“
Fischer faszinieren vor allem Gegenstände, die im Bezug stehen zu Menschen, die sie benutzt haben, die Gebrauchsspuren tragen oder auch beschädigt sein können. Das wird, falls möglich, auf den Inventarkarten der Sammlung vermerkt. „Die Nutzungsgeschichte interessiert uns sehr. Wir hatten zum Beispiel mal Besuch von einer alten Dame, die in den 1950er Jahren als ‚Fräulein vom Amt‘ unter anderem Telefongespräche für Elvis Presley in Bad Nauheim vermittelte und uns erklärt hat, wie das alles funktionierte“, berichtet er. Denn hier stehen neben vielen anderen, rätselhaft erscheinenden Geräten auch dutzendweise längst überflüssig gewordene Vermittlungsschränke für Ferngespräche.
Aktuell trägt Fischer, der seit 2017 am Museum arbeitet, Mobiltelefone zusammen, Ergebnis eines überaus fruchtbaren Sammlungsaufrufs des Museums im vorigen Jahr. Ja, auch die sind inzwischen schon historisch und sammlungswürdig, und manche Geschichte dazu könnte fast aus einem Roman stammen. „Mit einem Handy, das heute in unserer Sammlung ist, hatte die Besitzerin ein so trauriges Gespräch geführt, dass ihre Tränen das Gerät beschädigten“, erzählt Fischer. „Objekte und ihre Geschichte zu sammeln, kann sehr aufwendig sein.“
Allein wie sich das Nutzungsverhalten in den vergangenen Jahren rasant verändert hat, ist schon erstaunlich, Palmtops etwa, kleine Handcomputer, waren vor noch nicht allzu langer Zeit begehrte Innovationen und sind heute schon Antiquitäten.
Eine echte Rarität hat Fischer unlängst ein früherer Telekom-Mitarbeiter vorbeigebracht: Ein Vorführgerät von 1992, das zeigen sollte, welches Potenzial im mobilen Internet liegen könnte. „Das ist ein einzigartiges Stück, eine Versuchsstation“, vermutet Fischer. „Der frühere Besitzer will noch mal vorbeikommen und mir genau erklären, wie es funktioniert hat. So etwas ist dann ein besonders schöner Moment im Leben eines Kustos.“
