Hessische Tierheime fürchten sich vor der Zeit nach Corona

Tierheimleiterin Nicole Werner befürchtet, dass nach der Pandemie mehr Tiere im Heim landen werden. Die Nachfrage nach Haustieren sei deutlich gestiegen.
Das Gebell bei Prinz, Bär, Chappy, Bronco und Gringo ist an diesem Tag groß, als sie Besuch bekommen. Ist es aus Freude, Aufregung oder doch Angst? Vielleicht eine Mischung aus allem. Mit wedelnden Schwänzen stehen die meisten am Gitter ihrer Zwinger und beobachten das Geschehen genau. Etwa 30 Hunde gibt es momentan im Tierheim in Oberursel. Dazu noch 20 Katzen und eine Handvoll Kleintiere. Keine außergewöhnlichen Zahlen – die Corona-Pandemie lässt die Tierheime nicht überborden.
Noch nicht, glaubt Nicole Werner, die Leiterin des Tierheims. „Das Gros wird kommen, wenn Pandemie, Einschränkungen und Homeoffice wieder vorbei sind“, befürchtet die 48-Jährige. Dann, wenn die Zeit der Menschen wieder knapper wird und man tagsüber nicht mehr für das Tier da sein kann. Werner bestätigt damit die Einschätzungen der anderen Tierheime in der Region.
„Allein wenn ich auf dem Waldweg vor unserem Tierheim sehe, wie viele Welpen und kleine Hunde dort zurzeit spazierengehen: Da graut mir tatsächlich vor dem was noch kommt“, sagt Werner. Denn was jetzt noch klein und niedlich ist, wird in vielen Fällen größer als so manche Besitzerin und mancher Besitzer ahnt, die dann schnell überfordert sind. Ein häufiger Grund dafür, dass Hunde im Tierheim landen.
Das Heim in Oberursel gibt es seit 1964. Es liegt unweit der U-Bahn-Haltestelle Waldlust. Vorbei am Schützenhaus, dann ist man fast da. Die abgelegene Lage kommt den Tieren zugute. Hinter dem Tor liegt das Bürogebäude, rechts daneben befinden sich die ersten Käfige. Peanut, ein Staffordshire-Mischling, steht dort und betrachtet die Besucherinnen und Besucher. Die kommen wegen Corona nur noch mit Einzelterminen auf das Gelände. Die Zeiten, in denen es samstags so voll war, dass man kaum hinterherkam, sind vorbei. Vielleicht für immer? „Für die Tiere ist das ganze viel stressfreier und ruhiger“, sagt Werner. Der Futterbedarf sei dadurch gesunken – Stressfressen ade.
Weiter geht es zum Gebäude auf der linken Seite. Dort leben die Katzen. Zwei sind gerade zur Pension da. „Ja, die Leute verreisen tatsächlich noch“, sagt die Leiterin. Aber der Anteil an Pensionstieren sei deutlich geringer geworden. Im Katzenraum selbst sieht es zum Teil aus wie in einem Kinderzimmer am späten Nachmittag: Überall liegen Spielzeuge auf dem Boden. An den Seiten stehen zahlreiche Katzenbäume. Aus einem Körbchen kommt, noch etwas verschlafen, Kater Ratz hervor. Er beäugt den Besuch und macht sich danach erst mal durch die Katzenklappe nach hinten davon.
Die Katzen merken die Veränderungen, die mit dem Virus einhergehen, noch am ehesten. „Die Katzenstreicheldamen dürfen vorerst nicht mehr kommen“, sagt Werner. Man wolle das Risiko nicht eingehen, dass sich eine der meist älteren Frauen anstecke.
Im Gebäude gegenüber den Katzen sind die Kleintiere untergebracht. Aktuell gibt es dort nur ein paar Wellensittiche und Kaninchen. Etwas abgelegener auf dem Gelände stehen Ställe. Denn auch Schweine und Schafe habe man im Tierheim schon beherbergt. Hinter dem Hauptgebäude sind die Hundezwinger, deren Bewohner mit Gebell auf sich aufmerksam machen.
Verglichen mit den Katzen geht es den Hunden zumindest in einem Punkt besser: Das Angebot, dass Freiwillige mit ihnen Gassi gehen, wird aufrecht erhalten. Allerdings nimmt das Tierheim keine neuen Ehrenamtlichen auf. So gehen die „Alteingesessenen“, wie die Leiterin sagt, täglich zwischen 9 und 12 sowie 14 und 16 Uhr mit den Hunden raus.
Dass sich in den zurückliegenden Monaten immer mehr Menschen für Haustiere interessierten, hat Werner an der deutlich gestiegenen Anzahl an Anfragen gemerkt. Der Großteil sei aber nicht für eine Adoption infrage gekommen, sagt sie. Zu merken, dass es keine dauerhafte Beziehung werden würde, war nicht immer schwer: „Manche haben sogar explizit nach einem Tier für drei Monate gefragt.“
Wer sich wirklich für ein Tier interessiert, dem empfiehlt die 48-Jährige, nicht nach dem Aussehen, sondern nach der Eignung zu gehen. Hunde aus dem Tierheim seien beispielsweise auch für Menschen geeignet, die sich zum ersten Mal einen Hund anschaffen. Im Vorfeld schaue man stets, ob es zwischen Zwei- und Vierbeiner passe.

