„NSU 2.0“-Drohungen nehmen kein Ende: Landtagsabgeordnete kritisieren Polizei scharf

Woher haben die rechtsextremen Täter die neue Anschrift einer bedrohten Rechtsanwältin? Und warum hat der hessische Innenminister Beuth die Abgeordneten nicht darüber informiert?
- Die hessische Polizei steht weiterhin im Zusammenhang mit Drohbriefen der NSU 2.0.
Bedrohungen gegen bekannte Frauen durch rechte Täter nehmen stetig zu.
In drei Fällen führt die Spur zur hessischen Polizei.
Wiesbaden – Die Bedrohung prominenter Frauen durch extrem rechte Täter nimmt kein Ende. Am Donnerstag (03.09.2020) wurde bekannt, dass der Absender von Drohschreiben unter dem Absender „NSU 2.0“ die neue Wohnanschrift der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz verwendet, die für die Öffentlichkeit gesperrt ist. Entsprechende Angaben der Tageszeitung „taz“ wurden der Frankfurter Rundschau aus informierter Quelle bestätigt.
Hessische Polizei soll an den Bedrohungen der NSU 2.0 beteiligt gewesen sein
Bei früheren Fällen besteht der dringende Verdacht, dass „NSU 2.0“ geschützte persönliche Daten nutzte, die von Polizeicomputern abgerufen wurden. So wurden solche Daten unmittelbar vor der ersten Bedrohung von Basay-Yildiz im August 2018 abgegriffen, aber auch vor Drohungen gegen die Kabarettistin Idil Baydar, die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler und die Journalistin Hengameh Yaghoobifarah. In drei Fällen führt die Spur zu hessischen Polizeicomputern, außerdem stehen Polizistinnen und Polizisten in Berlin und Hamburg unter Verdacht. Die Entwicklung vom Donnerstag löste die Frage aus, ob die neuen Daten im Fall von Basay-Yildiz aus einer weiteren Polizeiabfrage stammen.
Innenminister Peter Beuth (CDU) antwortete im Landtag, bisher wisse die hessische Polizei lediglich von den drei bisher bekannten unbefugten Abfragen, die im Zusammenhang mit Drohschreiben stehen könnten. Das sei ihm noch am Donnerstag von Landespolizeipräsident Roland Ullmann bestätigt worden.
Das Schreiben mit den neuen Daten von Basay-Yildiz ist nach FR-Informationen schon viele Wochen alt und stammt jedenfalls aus der Zeit vor der Sondersitzung des Innenausschusses im Juli. Dort hatte Innenminister Beuth die Abgeordneten nicht darüber informiert. „Wir erfahren es aus der Zeitung, vom Minister erfahren wir nichts“, klagte der Linken-Innenpolitiker Hermann Schaus. Sein SPD-Kollege Günter Rudolph sprach von einem „handfesten Skandal“, wenn erneut Daten über Basay-Yildiz abgefragt worden sein sollten. „Offensichtlich geht doch das ganze Theater weiter“, fügte er entnervt hinzu.Dr
„NSU 2.0“-Drohungen befeuern Debatten über Fehlverhalten der Polizei in Hessen
Die neue Information platzte mitten in eine ohnehin angesetzte Debatte über Fehlverhalten von Polizistinnen und Polizisten, die von der Linken beantragt worden war. Auch darin hatten die „NSU 2.0“-Drohungen und die unbefugten Datenabfragen eine zentrale Rolle gespielt.
Der CDU-Innenpolitiker Alexander Bauer nannte die Abfragen „schlicht ungeheuerlich“. Er betonte aber, seine Fraktion habe Vertrauen, dass der Täter gefasst und die Datenabfragen aufgeklärt und gestoppt würden. Immerhin arbeite ein Ermittlerteam von mehr als 30 Beamtinnen und Beamten daran, die im engen Kontakt mit Behörden im In- und Ausland stünden.
Die Grünen-Abgeordnete Eva Goldbach vertrat die gleiche Position und berief sich dabei auf die bedrohte Rechtsanwältin. Basay-Yildiz hatte gesagt, sie glaube, „dass alles dafür getan wird, die Täter zu ermitteln, nicht nur in meinem Interesse, sondern auch im Interesse der Polizei“. Goldbach zitierte diese Worte und fügte an: „Ich glaube das auch.“
Bauer, Goldbach, aber auch die SPD-Abgeordnete Karin Hartmann betonten, dass die große Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten ein besonderes Interesse an einer Aufklärung der Drohungen und der Abfragen hätten. „Wir dürfen nicht zulassen, dass diejenigen, die verantwortlich ihren Dienst versehen, wegen korrupter Kollegen so in Misskredit geraten“, sagte Hartmann.
Linken-Politiker Schaus schlug einen größeren Bogen. Er stellte die illegalen Abfragen und die rechtsextremen Verdachtsfälle in der Polizei in eine Reihe mit „geplünderten Asservaten-Kammern, rechtswidrig abgeführten Journalisten bis hin zu mehreren Vorkommnissen von schwerer und rechtswidriger Polizeigewalt“. Viel zu oft kehre Minister Beuth solche Vorkommnisse unter den Teppich.
Das trug der Linken den Vorwurf von CDU, FDP und AfD ein, sie stelle die Polizei unter Generalverdacht. „Die Absicht ist erkennbar, die Polizei soll in ein schlechtes Licht gerückt werden“, sagte der AfD-Innenpolitiker Klaus Herrmann. „Das Ansehen der Polizei darf nicht länger unter dem Fehlverhalten Einzelner leiden“, forderte CDU-Politiker Bauer. Der FDP-Abgeordnete Stefan Müller beklagte, dass die Linke Angriffe auf Polizeibeamte mit keinem Wort erwähne. (Von Pitt von Bebenburg)