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Hessen: Trauer um Ilse Werder

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Von: Gregor Haschnik

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2018 stellte Werder in Schloss Philippsruhe ihr „demokratisches Lesebuch“ vor. Titel: „Neues von gestern - Frisches für morgen.“
2018 stellte Werder in Schloss Philippsruhe ihr „demokratisches Lesebuch“ vor. Titel: „Neues von gestern - Frisches für morgen.“ M. Müller © Monika Müller

Die langjährige Hanauer FR-Redakteurin, Autorin und Aktivistin, die für viele ein Vorbild bleibt, ist am Sonntag im Alter von 97 Jahren gestorben.

Vor einigen Monaten schickte Ilse Werder mir eine Postkarte, mit einer Nachricht in ihrer schönen Handschrift und einem Motiv des African National Congress, sowie einen Brief. Die Hanauerin blickt darin zurück, erklärt, wie wichtig aktive Friedenspolitik und Naturschutz sind, und kritisiert auch die SPD und deren OB Claus Kaminsky.

Aufmerksam, sensibel, kämpferisch, kritisch, auch und vor allem mit der Partei, der sie selbst angehörte – so war die in Kassel geborene Mutter von vier Kindern bis zuletzt. Mit ihrem Rollator nahm sie in den vergangenen Jahren immer wieder an Demonstrationen und Kundgebungen teil. Am Sonntag ist Werder im Alter von 97 Jahren gestorben.

In den 1960er Jahren baute sie in Hanau die Lokalredaktion der Frankfurter Rundschau auf, wurde schon bald zu einer wichtigen Stimme und deckte viele Missstände in der Region auf. Vor und nach ihrem Ruhestand 1986 engagierte sich Ilse Werder auf vielfältige Weise. Sie gründete – gegen heftige Widerstände – das Hanauer Frauenhaus und die Beratungsstelle von Pro Familia mit. Schuf das Archiv „Frauenleben im Main-Kinzig-Kreis“, um Frauen und deren Verdienste sichtbarer zu machen. In Katholisch-Willenroth, einem Teil von Bad Soden-Salmünster, gestaltete sie ein Bauernhaus zur vielbeachteten „Kulturscheune“ um. Zudem wirkte sie als Friedensaktivistin, Sachverständige für Pilze und Heilkräuter und nicht zuletzt als Buchautorin.

Am Montag würdigten Kaminsky und Stadtverordnetenvorsteherin Beate Funck (SPD) Werder als „herausragende Persönlichkeit, die in unserer Gesellschaft viel bewirkt und eindrucksvolle Spuren hinterlassen hat“. Sie habe sich durch ihr „breit gefächertes berufliches wie ehrenamtliches Engagement für unsere Gesellschaft insgesamt und für Hanau im Besonderen“ ausgezeichnet. Die Autorin und Aktivistin wurde vielfach geehrt. Sie erhielt etwa das Bundesverdienstkreuz, die August-Gaul-Plakette der Stadt Hanau und die Willy-Brandt-Medaille, die höchste Auszeichnung der SPD.

Vielfältiges Werk

Doch viel mehr sagen die Begegnungen mit ihr und das Werk, das sie hinterlässt, über sie aus. Wenn wir bei ihr am Tisch saßen, umgeben von vielen Büchern und Manuskripten, ging sie immer auf die aktuelle Kommunal- und Bundespolitik ein, aber auch auf die Erfahrungen, die sie gemacht hatte. Sie berichtete von den Verbrechen des Nazi-Regimes, den Bombenangriffen auf Kassel, mangelnder Aufarbeitung der NS-Zeit und von der Friedensbewegung, warnte vor Geschichtsvergessenheit. Es gab Kaffee und Kuchen, Hinweise zu Themen – etwa zu Rechtsextremen im Osten des Main-Kinzig-Kreises – und meistens etwas Selbstgeschriebenes von Ilse Werder auf den Weg, so wie das Buch „Sie war eine von uns“ über Ilse Wolf. Die Mitinhaberin von Seifenfabriken in Schlüchtern und Steinau wurde 1933 als Jüdin beraubt und vertrieben. Nach dem Krieg half sie Menschen in Not.

Viel erzählte Ilse Werder auch von ihrem Garten in Bad Soden-Salmünster und ihrer Familie, die für sie am wichtigsten war. Kurz vor ihrem 95. Geburtstag sagte sie, ihr Wunsch sei, noch etwas Zeit mit ihren Lieben zu haben.

An öffentlichen Debatten beteiligte sie sich weiterhin, so wie in einem Leserbrief in der FR zu häuslicher Gewalt und der Not der Frauenhäuser: „Wird denn mal der Gesetzgeber wach? Mit Worten und Laufveranstaltungen, an denen auch gutwillige Männer beteiligt sind, werden höfliche Erinnerungen bewirkt, sonst nichts“, schrieb sie. „So kann es nicht weitergehen. Hier sind die Gesetzgeber der neuen Regierung gefragt und die vielen anständigen Männer, die Gewalt nicht unterstützen.“

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