Hessen: Ruhe vom Rechtsrock im „Teutonicus“

Der mittelhessische Lahn-Dill-Kreis kauft das baufällige „Teutonicus“ in Leun-Stockhausen. Die rechtsextreme Szene in Hessen verliert damit einen ihrer wichtigsten Treffpunkte.
Auf den ersten Blick ist in Stockhausen überhaupt nichts Wichtiges passiert. Der mittelhessische Lahn-Dill-Kreis hat Ende März lediglich für knapp 100 000 Euro ein heruntergekommenes Haus in dem zu Leun gehörenden Ort gekauft. Auch sonst ist Stockhausen, 15 Kilometer westlich von Wetzlar idyllisch an der Lahn gelegen, knapp 1000 Einwohner:innen, geprägt von Fachwerkhäusern, nicht unbedingt die klassische Bühne für weltbewegende Ereignisse. Und doch läutet der Hauskauf, den der Kreis am Mittwoch öffentlich gemacht hat, zumindest für Hessen so etwas wie das Ende einer Ära ein.
Denn das alte Haus an der Stockhausener Hauptstraße, das sowohl als „Bistro Hollywood“ als auch als „Teutonicus“ bekannt ist, hat eine jahrelange Geschichte als Treffpunkt der rechtsextremen Szene. Mehr als zehn Jahre lang fanden in dem verwinkelten Gebäude, das lange einem lokalen NPD-Politiker gehörte, Treffen seiner rechtsextremen Partei und Rechtsrockkonzerte statt. Bundesweit relevante Nazibands wie „Oidoxie“ aus Dortmund oder „Kategorie C“ aus Bremen sind bereits im Gastraum des „Teutonicus“ aufgetreten, rechtsextreme Kader aus dem gesamten Bundesgebiet kamen nach Stockhausen, um zu trinken und zu feiern.
Hessen: Das „Teutonicus“ war ein Rückzugsort für die Neonazis
Als im März 2018 ein von der NPD geplantes Konzert in der Stadthalle von Wetzlar nicht stattfinden konnte, weil die Stadt den Neonazis trotz einer anderslautenden Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ihre Halle nicht öffnete, wichen die Rechtsextremen am Abend nach Stockhausen aus.
Damit dürfte es nun endgültig vorbei sein. Wie Landrat Wolfgang Schuster (SPD) mitteilte, habe der Landkreis die Möglichkeit ergriffen, das Gebäude samt Grundstück zu erwerben. „Unser Angebot von 99 900 Euro wurde angenommen“, sagte Schuster. Der Preis entspreche dem Gutachten eines Immobiliensachverständigen von Anfang 2021. Der Kauf habe gleich mehrere Vorteile, führt der Landrat aus. Erstens gebe es über die Kreisstraße, die direkt am „Teutonicus“ vorbei durch Stockhausen führt, regen Durchgangsverkehr. Wenn man das baufällige Gebäude teilweise abreiße, könnten beidseitig Gehwege und neue Parkstreifen entstehen, um die Verkehrssituation vor Ort zu beruhigen.
Hessen: Der Landrat feiert den Hauskauf als Gewinn für die Demokratie
Außerdem sei der Hauskauf zugleich ein Gewinn für die Demokratie. „Das Gebäude diente Menschen mit nationalsozialistischem und rechtsextremem Gedankengut aus ganz Deutschland als Treffpunkt“, sagt der Sozialdemokrat. „Polizei, Verfassungsschutz und die kommunalen Ordnungsämter beschäftigt dieser Treffpunkt bereits seit Jahren.“
Aktuell stünden der Landkreis und die Stadt Leun in engem Austausch über die Zukunft des berühmt-berüchtigten Gebäudes. Wenn der Zustand des Hauses es zulasse, sei dort sogar die temporäre Unterbringung geflüchteter Menschen denkbar. Björn Hartmann (CDU), Bürgermeister von Leun, sagte dazu, dadurch könnte etwa die Wohnungsnot unter geflüchteten Menschen aus der Ukraine gelindert werden.
Hessen: Das „Teutonicus“ wurde 2018 beinahe zwangsversteigert
Um ein Haar hätte die rechtsextreme Szene ihren Treffpunkt in Leun-Stockhausen übrigens schon früher verloren. Im Mai 2018 hatte der Eigentümer in letzter Sekunde die Zwangsversteigerung des „Teutonicus“ abgewendet, die vom Amtsgericht Wetzlar angesetzt worden war, wohl um Schulden zu begleichen. Schließlich hatten sich Schuldner und Gläubiger doch noch außergerichtlich geeinigt, gerüchteweise war sogar in der NPD und der übrigen rechtsextremen Szene Geld gesammelt worden.
Im November 2018 geriet das Gebäude noch einmal in die Schlagzeilen, weil die Polizei es im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen fünf Männer durchsuchte. Drei der Beschuldigten wohnten damals im „Bistro Hollywood“. Bei der Razzia stießen Spezialeinsatzkräfte der hessischen Polizei unter anderem auf Schusswaffen, NS-Devotionalien wie mit SS-Runen verzierte Dolche und Porträts von Adolf Hitler sowie einen improvisierten Schießstand auf dem Dachboden.
Hessen: Illegale Wurfsterne und NS-Devotionalien
Außerdem wurden Messer, Wurfsterne und ein Bajonett sichergestellt. Letztlich wurde der Eigentümer der Immobilie 2020 zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Anschließend wurde er sogar aus der NPD-Fraktion der Stadtverordnetenversammlung von Leun geworfen.
Von all diesen Umtrieben könnte Leun-Stockhausen in Zukunft verschont bleiben. Dass die NPD einen ihrer wichtigsten Treffpunkte in Mittelhessen verliert, passt ins Bild: Die rechtsextreme Partei will aus Mangel an Personal und funktionierenden Strukturen nicht einmal mehr zur hessischen Landtagswahl im Oktober antreten. (Hanning Voigts)