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Hessen: Rechtes Kadertreffen in Altenstadt – Lokalpolitik machtlos

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Von: Hanning Voigts

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Die NPD-Parteizeitung „Deutsche Stimme“ lädt zu einer Strategiekonferenz ins mittelhessische Altenstadt ein. Die Lokalpolitik ist wenig begeistert.

Altenstadt – Es soll ein Vernetzungstreffen der ganz besonderen Art werden. Am 13. Mai wollen rechtsextreme Kader aus ganz Deutschland ins beschauliche Altenstadt in der Wetterau reisen, um am dritten „Netzwerktag“ der „Deutschen Stimme“ teilzunehmen, der Parteizeitung der rechtsextremen NPD. Der NPD-Bundesvorsitzende Frank Franz und sein Stellvertreter Sebastian Schmidtke werden erwartet, die rechte Szeneanwältin Nicole Schneiders, der bundesweit bekannte Neonazistreamer Patrick Schröder, die Neonaziaktivistin Melanie Dittmer und Martin Kohlmann von den rechtsextremen „Freien Sachsen“, die aus den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen hervorgegangen sind. Man wolle „über Partei- und Organisationsgrenzen hinweg“ über die Schaffung einer „heimattreuen Gegenkultur“ diskutieren, kündigt Peter Schreiber begeistert an, der Chefredakteur der „Deutschen Stimme“.

Das Stelldichein rechtsextremer Akteure aus der ganzen Republik soll im „Gemeinschaftshaus Waldsiedlung“ stattfinden, einem Bürgertreff im ruhigen Altenstädter Ortsteil Waldsiedlung. Dass die „Deutsche Stimme“ ausgerechnet nach Mittelhessen einlädt, nachdem ihre ersten beiden Netzwerktage in Thüringen und Brandenburg über die Bühne gegangen sind, ist dabei kein Zufall: Stefan Jagsch, Landesvorsitzender der NPD Hessen und einer ihrer wenigen verbliebenen Köpfe, wohnt selbst in der Waldsiedlung. Im Herbst 2019 hatte Jagsch für bundesweites Aufsehen gesorgt, nachdem der 36-Jährige dort überraschend zum Ortsvorsteher gewählt und wenig später wieder geschasst worden war.

Wenn die Rechtsextremen nach Altenstadt kommen, ist auch mit Gegenprotest zu rechnen. Foto: Imago
Wenn die Rechtsextremen nach Altenstadt kommen, ist auch mit Gegenprotest zu rechnen. © Michael Schick/Imago

Hessen: „Politische Kräfte dieser Art brauchen wir hier nicht“

Norbert Syguda, SPD-Bürgermeister von Altenstadt, ist von der bevorstehenden NPD-Veranstaltung in seiner Stadt alles andere als begeistert. „Politische Kräfte dieser Art, die brauchen wir hier nicht“, sagte Syguda der Frankfurter Rundschau. Dass die „Deutsche Stimme“ mit ihrer Konferenz ausgerechnet nach Altenstadt kommen wolle, ärgere ihn, so Syguda. „Wir rücken als Altenstadt natürlich immer in den Fokus als der Ort, wo solche Veranstaltungen stattfinden.“ Dabei sei Altenstadt eine hessische Kommune wie alle anderen, nur dass hier mit Jagsch eben ein relevanter NPD-Politiker lebe. „Wir sind nicht undemokratischer oder rechtsradikaler als andere Kommunen“, betonte Syguda.

Für die Kommune Altenstadt bedeutet der „Netzwerktag“ vor allem eins: zusätzlichen Stress. Es brauche ein Sicherheitskonzept in Abstimmung mit der Polizei, das Gemeinschaftshaus müsse abgesperrt und der Verkehr vor Ort geregelt werden, erläuterte Syguda. Für solche „Sonderveranstaltungen“ und die Arbeit, die sie mit sich brächten, habe man eigentlich gar nicht genug Personal. Außerdem müsse man mit antifaschistischen Protesten vor Ort rechnen, die ebenfalls begleitet werden müssten.

Hessen: Die Zivilgesellschaft wird zum Protest mobilisieren

Seit einiger Zeit gibt es in Altenstadt eine parteiübergreifende „Initiative für Vielfalt und Demokratie in Altenstadt“, die sich selbst anlässlich eines NPD-Treffens in der Stadt gegründet hat. Der Verein setzt sich für Demokratie und Zivilcourage und gegen Rassismus und Antisemitismus ein und dürfte es sich kaum nehmen lassen, vor Ort ein Zeichen gegen die rechten Ideolog:innen zu setzen. Außerdem gibt es in der Wetterau auch andere aktive zivilgesellschaftliche Kräfte, die am 13. Mai nach Altenstadt mobilisieren könnten.

Bürgermeister Syguda hat nach eigenen Angaben geprüft, ob es eine Möglichkeit geben könnte, das Treffen ganz zu verhindern. Er habe sich letztlich aber dazu entschieden, es nicht auf einen Rechtsstreit ankommen zu lassen, sagte der Sozialdemokrat. Als Partei habe die NPD gute Chancen, die Vermietung eines öffentlichen Gebäudes gerichtlich zu erzwingen. Syguda ist mit dieser Einschätzung nicht alleine: Viele Kommunen ächzen seit dem letzten gescheiterten NPD-Verbotsverfahren von 2017, dass sie die NPD etwa bei der Anmietung kommunaler Säle wie andere Parteien behandeln müssen.

Hessen: Die NPD ist verfassungsfeindlich, aber nicht verboten

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte entschieden, dass die NPD verfassungswidrig sei und eine Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus aufweise, aber politisch mittlerweile so unbedeutend sei, dass sie keine ernsthafte Gefahr für die demokratische Ordnung in der Bundesrepublik darstelle. Deshalb wurde die NPD nicht verboten und genießt trotz abnehmender Bedeutung bis heute alle Privilegien einer Partei.

Für die Hessen-NPD ist das Treffen Mitte Mai ein kleiner politischer Lichtblick. Der seit Jahren sieche Landesverband spielt politisch schon lange keine Rolle mehr, zur hessischen Landtagswahl am 8. Oktober will die NPD nicht einmal mehr antreten. Sie hat in Hessen nur noch ein paar kommunale Mandate und etwa ein Dutzend aktiver Kader, neben Stefan Jagsch sind das etwa Daniel Lachmann aus Büdingen und Thassilo Hantusch aus Wetzlar. In Altenstadt wollen sie dann aber wenigstens für einen Tag wieder jemand in der rechtsextremen Szene sein und sich als Gastgeber in der Anwesenheit prominenter Szenegrößen sonnen.

Hessen: Die extreme Rechte diskutiert ihre Strategien

Inhaltlich soll es auf dem „Netzwerktag“ um eine strömungsübergreifende Diskussion über die Zukunft der extremen Rechten gehen. Die beiden geplanten Diskussionsrunden stehen unter den Überschriften „Zwischen Tradition und Moderne – Wie schaffen wir eine Gegenkultur?“ und „Viele Wege führen nach Rom – Wie retten wir die Heimat?“. Die „Deutsche Stimme“ versucht, die NPD damit an andere rechte Akteur:innen anzubinden und sie im rechtsextremen Lager wieder attraktiver zu machen.

Denn seit den Wahlerfolgen der in Teilen rechtsextremen AfD spielt die NPD, die vor zehn Jahren immerhin noch in Fraktionsstärke in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen vertreten war, bundesweit kaum noch eine Rolle. Viele Wähler:innen hat sie an die AfD verloren, die militante Neonaziszene orientiert sich eher an radikaleren Parteien wie dem klassisch nationalsozialistisch orientierten „Dritten Weg“. Seit langem gibt es Debatten in der NPD, ob man sich offiziell in „Die Heimat“ umbenennen sollte. Doch dieser Vorstoß der Bundesspitze war zuletzt im Mai 2022 knapp gescheitert. Der entsprechende Bundesparteitag fand damals in Mittelhessen statt: in Altenstadt. (Hanning Voigts)

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