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Hessen: Neonazi-Anführer erhebt schwere Vorwürfe - Kannte die AfD seine Vergangenheit?

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Von: Hanning Voigts, Delia Friess

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18.08.2018, Berlin: Ein Teilnehmer der Neonazi-Demonstration anlässlich des 31. Todestages von Rudolf Heß trägt einen Hitlerbart.
18.08.2018, Berlin: Ein Teilnehmer der Neonazi-Demonstration anlässlich des 31. Todestages von Rudolf Heß trägt einen Hitlerbart. (Symbolbild) © -

Der langjährige Neonazi-Anführer Christian Wenzel sollte bei der hessischen Kommunalwahl im Landkreis Kassel für die AfD antreten. Nun erhebt er schwere Vorwürfe.

Update von Samstag, 30.01.2021, 17.00 Uhr: Die Kasseler AfD hatte mit Christian Wenzel einen langjährigen Kader der militanten Neonaziszene als Kandidaten für die Kreistagswahl am 14. März aufgestellt. Nach den Enthüllungen um den Kandidaten distanzierte sich die Partei von ihm. Wenzel jedoch sagt, dass die AfD von seiner Vergangenheit in der Neonazi-Szene gewusst habe. Der 43-jährige Mann aus Helsa (Kreis Kassel) behauptet von sich, ein ehemaliger Rechtsextremer zu sein. „Ich mache nie einen Hehl daraus, wo ich herkomme. Man hat wissen müssen, dass ich mich in der rechten Szene bewegt habe“, sagte Wenzel gegenüber der HNA.*

AfD: Neonazi könne wiedereintreten, wenn „Gras über die Sache“ gewachsen ist

Der AfD-Kreisvorsitzende Florian Kohlweg habe Wenzel per Whatsapp gefragt, ob er kandidieren wolle. Nach den Enthüllungen habe er ihm den Parteiaustritt nahegelegt und ihm angeboten, er könne wieder eintreten, wenn „Gras über die Sache“ gewachsen ist, so Wenzel. Kohlweg behauptet, er habe alle Mitglieder per Whatsapp gefragt, ob sie kandidieren wollten, da Personalnot herrsche. Kohlweg bestreitet die Vorwürfe und behauptet, Wenzel habe seine Vergangenheit verschwiegen.

Kommunalwahl in Kassel: Neonazi-Anführer kandidiert für AfD

Erstmeldung vom Montag. 25.01.2021, 17.00 Uhr: Kassel – Die AfD im Landkreis Kassel hat einen langjährigen Kader der militanten Neonaziszene als Kandidaten für die Kreistagswahl am 14. März aufgestellt. Auf Platz 15 des Wahlvorschlags des AfD-Kreisverbands Kassel-Land steht Christian Wenzel aus dem nordhessischen Helsa. Der 1977 geborene Lokführer war um das Jahr 2000 Mitbegründer und Anführer der militanten „Kameradschaft Kassel“ und nahm an rechtsextremen Aufmärschen und Rechtsrock-Konzerten teil. Damals unterhielt Wenzel zudem intensive Kontakte zu Thüringer Neonazis und zum Netzwerk „Blood and Honour“, das zu den Unterstützern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) gezählt wird und im Jahr 2000 verboten wurde.

Mitglieder der rechtsetremen Gruppierung „Blood and Honour“ bei einer Demonstration (Symbolbild).
Mitglieder der rechtsetremen Gruppierung „Blood and Honour“ bei einer Demonstration (Symbolbild). © Laszlo Beliczay

Neonazi-Anführer tritt bei Kommunalwahl in Kassel für die AfD an

Wegen seiner Vergangenheit in der gewaltbereiten Neonaziszene war Christian Wenzel* im Juni 2017 sogar als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtages zur NSU-Mordserie vernommen worden. Dort hatte Wenzel von seiner Zeit in der rechten Szene seit Ende der 1990er Jahre berichtet und eingeräumt, dass er „Supporter“ von Blood and Honour gewesen sei, also eine Art Anwärter auf eine Mitgliedschaft. „Einmal im Monat mindestens“ habe er sich mit Neonazis aus dem thüringischen Rudolstadt getroffen, sagte Wenzel. Rudolstadt war zu der Zeit eine der Hochburgen des „Thüringer Heimatschutzes“, aus dem später der NSU hervorging.

Die Mitglieder des NSU-Ausschusses waren auch deshalb an Wenzel interessiert, weil sein Halbbruder Benjamin G. ebenfalls in der Neonaziszene aktiv war und es als V-Mann „Gemüse“ zu bundesweiter Bekanntheit gebracht hatte. Als V-Mann war G. vom früheren Verfassungsschützer Andreas Temme geführt worden, der zum Zeitpunkt des Mordes am Internetcafé-Betreiber Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel am Tatort gewesen war und noch kurz zuvor mit G. telefoniert hatte. Temme behauptet bis heute, von dem Mord nichts mitbekommen zu haben. Der Mord an Yozgat wird heute dem NSU zugerechnet.

AfD-Kandidat Christian Wenzel war früher Anführer bei der Kameradschaft Kassel

Eine besonders brisante Tatsache spielte bei Wenzels Befragung 2017 noch keine größere Rolle, nämlich die, dass er aus seiner Zeit als Anführer der „Kameradschaft Kassel“ auch gut mit Stephan Ernst bekannt ist, dem mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU).

Die Bekanntschaft zwischen Wenzel und Ernst, der seit Juni 2019 in Haft ist, scheint dabei über die Jahre gehalten zu haben: Ernst hat selbst angegeben, er habe in seiner Zeit in der Untersuchungshaft einen Brief von Wenzel erhalten.

Christian Wenzel kandidiert für die AfD und löst Entsetzen im Hessischen Landtag aus

Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Linken im Hessischen Landtag, zeigte sich von Wenzels Kandidatur entsetzt und forderte, die AfD Kassel-Land müsse ihren gesamten Wahlvorschlag zurückziehen. Wenzel sei ein führender Neonazi gewesen und sogar zeitweilig als Mitwisser im NSU-Komplex in Betracht gezogen worden. „Einmal mehr zeigt sich jetzt: Die AfD ist ein Sammelbecken für völkische Nationalisten, Rassisten und sogar für Neonazis, die klare Bezüge zum Rechtsterror aufweisen“, sagte Schaus. Schaus dankte auch der Kasseler Antifa-Recherchegruppe „Task“, die zuerst auf Wenzels Kandidatur hingewiesen hatte.

Klaus Herrmann, Landessprecher der hessischen AfD, teilte der Frankfurter Rundschau auf Nachfrage mit, der Landesvorstand habe sofort die Annullierung von Wenzels Parteimitgliedschaft beschlossen, nachdem dessen Aktivitäten am Montag erstmals bekanntgeworden seien. Blood and Honour stehe auf einer Unvereinbarkeitsliste der AfD, Wenzel hätte daher eigentlich nie Mitglied der AfD werden können. Dass er dennoch Mitgliedsrechte ausgeübt habe, sei auf „seine Täuschungshandlung der AfD gegenüber zurückzuführen“, so Herrmann.

Auf dem Wahlzettel im Landkreis Kassel wird Christian Wenzel bei der Kommunalwahl im März wohl trotzdem stehen. (Hanning Voigts) *hna.de ist Teil des bundesweiten Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks.

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