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Herr K. kommt nach Bagdad

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Von: Stefan Behr

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Justitia.
Justitia. © Imago

Der Pfeffersprayer von der Zeil hat einen alternativpolitischen Hintergrund, zeigt sich im Prozess am Frankfurter Amtsgericht.

Herr K. ist ein Freund deutlicher Worte, aber er wiederholt sich nur ungern. Laut Anklage fühlte sich der 33 Jahre alte Diplom-Volkswirt aus der Provinz am 20. Oktober 2017 gegen 19 Uhr auf der Frankfurter Zeil fremd im eigenen Land. „Sind wir denn jetzt in Bagdad? Nur noch Scheiß-Kopftücher hier!“, soll Herr K. lautstark gewutbürgert haben. Als ihm zwei Passanten mit Migrationshintergrund daraufhin vorschlugen, mal „die Fresse zu halten“, zog Herr K. seine Tierabwehrpistole, Modell Jet Protector JPX, und pfefferte einen der beiden zu Boden. Und auch ein paar Umstehende. 

Insgesamt wurden sieben Menschen durch das Reizgas verletzt: Lippenschwellung, Augenrötung, Hustenreiz und Atemnot. Nicht alle kamen ins Krankenhaus. Aber alle haben Migrationshintergrund. Das ist vermutlich Zufall: So zielgenau kann niemand sprayen, auch Herr K. nicht. Er sagt auch nichts dazu. Auf der Bank des Amtsgerichts verteidigt er sich gegen die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung schweigend.

Den Gerichtssaal betritt Herr K. allerdings wie der strahlende Sieger eines Sebastian-Kurz-Ähnlichkeitswettbewerbs: dunkler Anzug, rote Krawatte, Manschetten am Hemdsärmel, der Scheitel wie mit dem Lineal gezogen. Vor sich auf dem Tisch drapiert er vor Prozessbeginn seine Accessoires: Mineralwasser, Taschentücher, Portemonnaie, Handy, Lederhandschuhe (nach rechts). All das wirkt nicht aufgesetzt oder blasiert, sondern ziemlich identitär. Der Rest von Herrn K. aber ist Schweigen.

So schweigsam ist Herr K. nicht immer. Glaubt man der FAZ, dann hatte Herr K. sich im Sommer 2014 auf einem internen Forum der AfD über den Halbfinalsieg der deutschen Elf über Brasilien und der zeitgleichen Bombardierung des Gaza-Streifens durch israelisches Militär ein Loch in den Bauch gefreut: „Erst Brasilien abgeschossen und dann auch noch dieses faschistische Islamistenpack: Was für eine großartige Nacht!“ 

Die Zeitung hatte 2015 über Herrn K. geschrieben, weil der damals Schatzmeister der inoffiziellen AfD-Jugend „Junge Alternative“ Hessen war. Herr K. gehört aber wohl nicht zu den Leuten, die der FAZ oder anderen Lügenpresseorganen glauben, und folgerichtig hatte er nach seinem Gespräch mit der FAZ laut dieser „die Veröffentlichung aller Zitate“ anschließend untersagen lassen.

Sieben Zeugen sind zum ersten Verhandlungsvormittag erschienen. Nur zwei davon tragen Kopftuch, und Herr K. wirkt heute auch recht entspannt. Einer der beiden Migranten, die mit Herrn K. aneinandergeraten waren, hatte kurz vor dem Prozess seine Aussage revidiert: Er gesteht jetzt ein, dass sein Kumpel, bevor Herr K. zum Jet Protector gegriffen habe, diesem angedroht hatte, ihm den Kiefer zu brechen – was Herr K. damals auch gegenüber der Polizei angegeben, seine beiden Kontrahenten aber bestritten hatten. 

Sein damaliger Kumpel ist deshalb jetzt ein Ex-Kumpel, aber es sei ihm wichtig gewesen, „dass auch einer wie Herr K. einen fairen Prozess bekommt“, sagt der Zeuge mit Migrationshintergrund. Die Drohung sei aber nur ein Reflex auf Herrn K.s zuvorige Bagdadkritik gewesen. Und man müsse ja auch mal mit Blick auf die Statur des Angeklagten sagen dürfen, „dass Herr K. niemand ist, der eine Bedrohung darstellt“.

Genau diese Einstellung sei ja das Problem, sagt Herr K. Er sagt es nicht vor dem Amtsgericht, da sagt er nichts. Aber er formuliert es 2016 als Raunheimer AfD-Listenkandidat vor der Kreistagswahl doch recht unmissverständlich: „Viele werden nicht von unseren Werten, sondern von unserem Wohlstand, unserer Gutmütigkeit und unserer Verteidigungsunfähigkeit angelockt. Sie sehen lediglich die leichte Beute, ein Schlaraffenland, wo man sich oft nicht einmal nehmen muss, was man will, sondern wartet bis es einem Dank Flüchtlingshilfsindustrie in den Mund fällt.“

Aber noch fällt gar nichts, auch kein Urteil, der Prozess wird fortgesetzt. Solange bewegt sich Herr K. auf dünnem Eis. Der Jet Protector PJX, informiert der Hersteller, sei „in Deutschland ausschließlich zur Tierabwehr erlaubt“, der Einsatz gegen Menschen lediglich „im absoluten Notfall zur Selbstverteidigung“ vertretbar. Für die Verteidigung des Abendlandes gilt das nicht.

Und eines muss man ja auch noch mal sagen dürfen: Die Frauen und Männer, die durch die wilde Sprayerei des jungen Mannes verletzt worden waren, sind Frankfurterinnen und Frankfurter. Herr K. ist als Raunheimer weit davon entfernt. 

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes wurde berichtet, dass Herr K. immer noch Schatzmeister der Jungen Alternative Hessen sei. Nach seinen eigenen Angaben hat Herr K. dieses Amt bereits vor Jahren abgegeben. Er sei zudem aktuell weder Mitglied der JA noch der AfD.

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