Haustiere in der Pandemie: „Wir werden überrollt von Anfragen“
Sigrid Faust-Schmidt vom Landestierschutzverband Hessen spricht über den aktuellen Haustier-Boom. Und fürchtet die Zeit nach Corona.
Frau Faust-Schmidt, seit einem Jahr leben wir jetzt mit Corona. Wie geht es Haustieren in der Pandemie?
Oh, ich glaube, den meisten Haustieren geht es grundsätzlich gut in der Pandemie. Sie sind besser betreut, viele Menschen sind mehr zu Hause und verbringen viel bewusster Zeit mit ihnen. Das betrifft in erster Linie Hunde und Katzen, aber auch Kleintiere. Neue Gehege werden gebaut, Ausstattungen erneuert, Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten geschaffen. All diese Dinge kommen den Tieren natürlich zugute.
Viele Menschen kommen derzeit neu zum Tier, von einem regelrechten Haustierboom, gar von „Corona-Tieren“ ist die Rede.
Das ist ein Thema, das uns seit einiger Zeit sehr bewegt. Corona hat tatsächlich dazu geführt, dass sich viele Haushalte Tiere angeschafft haben, die vorher keine hatten. Was ja nicht unbedingt negativ sein muss. Manche Familien haben vielleicht schon länger mit dem Gedanken gespielt, sich zum Beispiel einen Hund zuzulegen, aber organisatorisch und beruflich sprach einiges dagegen. Nun sagen sie sich: Im Homeoffice und Homeschooling hätten wir die Zeit, uns um einen Welpen zu kümmern und ihn zu erziehen. Und zwar so, dass wir das Tier auch später in unser Leben integrieren können. Das sind die guten Geschichten. Wenn es so läuft, spricht nichts dagegen, sich jetzt ein Haustier zu holen.
Und wenn es nicht so gut läuft ?
Problematisch wird es, wenn man sich nicht überlegt, was nach der Zeit der Pandemie kommt. Ein Hund lebt zwölf bis 15 Jahre, Katzen werden noch älter, auch Kleintiere haben eine gewisse Lebenserwartung. Wenn ich mir jetzt ein Tier anschaffe, muss ich mich auch fragen, was da zeitlich und finanziell auf mich zukommt und was passiert, wenn ich irgendwann wieder öfter ins Büro gehe. Das Tier muss ja trotzdem versorgt und betreut werden. Ich sollte also ehrlich beantworten, warum ich ein Tier haben will. Will ich das wirklich dauerhaft? Oder ist das nur eine spontane Idee, weil es wegen Corona gerade ins Leben passt?
Welche Tiere sind denn besonders gefragt?
Vor allem Hunde und Katzen. Die Tierheime werden geradezu überrollt mit Anfragen, das Interesse insbesondere an Hunden hat sich teilweise verdoppelt. Aber auch Kleintiere wie Kaninchen, Meerschweinchen, Hamster oder Mäuse sind beliebt. Ein Frankfurter Tierheim hat mir kürzlich berichtet, dass es eine besorgniserregende Zunahme an Anschaffungen von Exoten wie Schlangen oder Bartagamen beobachtet.
Wie gehen die Mitarbeiter:innen der Tierheime mit dieser Nachfrage um?
Sie beraten bei der Neuanschaffung, sie klären auf, welche Bedürfnisse Tiere haben. Über Gespräche und speziell entwickelte Fragebögen versuchen sie zudem zu filtern, wie ernst es den Interessenten ist, und ob sie sich bewusst sind, was da auf sie zukommt und welche Verpflichtungen sie eingehen. Tierheime arbeiten generell mit Vor- und Nachkontrollen. Wer kein Gehege vorweisen kann, etwa auf Fotos, bekommt kein Kaninchen. Solche Kontrollmechanismen entfallen natürlich, wenn man sich auf anderem Weg ein Tier besorgt.
Nämlich?
Wegen der gestiegenen Nachfrage speziell nach Hunden boomt natürlich auch der illegale Handel, insbesondere über das Internet. Darin sehen wir eine große Gefahr. Tiere sollten nicht online gekauft werden. Wer sich durch die Kleinanzeigen klickt, stößt vor allem auf Kleinhunderassen, die dort zu horrenden Preisen angeboten werden. Das sind diese klassischen Kofferraumkäufe, die Welpen haben gefälschte Papiere, sind meist viel zu jung und zu früh von ihren Eltern weg, sie sind nicht geimpft und häufig sogar akut oder chronisch krank. Das kann irgendwann zu Defiziten im Sozialverhalten führen, in aller Regel aber zu kostspieligen Tierarztbehandlungen mit manchmal traurigem Ende.
Fürchten Sie, dass auf den Haustierboom der Abgabeboom folgt?
Ja. Ein erstes Indiz dafür sind etwa Meldungen, dass deutschlandweit vermehrt Hühner in Tierheimen abgegeben werden, die aus einer Laune heraus angeschafft wurden und nun „wegmüssen“. Erste Anfragen von Leuten, die sich in der ersten Corona-Welle einen Hund geholt haben und nun merken, dass sie völlig überfordert sind, liegen auch schon vor. Die Hunde sind jetzt in der Pubertät, die Erziehungsdefizite werden spürbar. Die große Rückgabeschwemme ist zwar noch nicht da, aber wir fürchten, dass sie kommen wird. An dieser Stelle möchte ich einen Appell loswerden: Wer sich ein Haustier anschaffen möchte, sollte sich vorher immer ausführlich informieren, in Tierheimen, bei Züchtern, im Freundeskreis. Wie groß wird das Tier? Was braucht es? Die Menschen müssen sich klarmachen, was ein Tier für ihr Leben bedeutet. Auch nach Corona.
Interview: Meike Kolodziejczyk