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Anschlag in Hanau: Video liefert neue Hinweise zum Notausgang in der Arena-Bar

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Von: Gregor Haschnik

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Armin Kurtovic (Vater des getoeteten Hamza Kurtovic) zeigt Screenshots aus der Arena-Bar.
Armin Kurtovic (Vater des getoeteten Hamza Kurtovic) zeigt Screenshots aus der Arena-Bar. © Renate Hoyer

Die Fluchttür am zweiten Tatort von Hanau, der Arena-Bar, war wahrscheinlich versperrt. Ein bislang unbekanntes Video stützt entsprechende Zeugenaussagen.

Hanau - Aufnahmen einer Überwachungskamera, die bislang nicht öffentlich bekannt waren, geben neue Hinweise zum wahrscheinlich verschlossenen Notausgang am zweiten Tatort des Anschlags von Hanau, der Arena-Bar in Kesselstadt. Sie stützen Aussagen, nach denen den späteren Opfern bewusst gewesen sei, dass die Fluchttür versperrt gewesen sei und sie deshalb nicht in diese Richtung hätten rennen können, als der Attentäter gekommen sei.

Auf dem Video ist zu sehen, wie vor dem Anschlag mehrere junge Leute zum Vorraum des Notausgangs gehen und wieder zurückkommen. Niemand geht durch den Ausgang hinaus oder kommt herein. Auch später, gegen 21.20 Uhr, als einige – darunter Hamza Kurtovic, der wie Said Nesar Hashemi gegen 22 Uhr ermordet wurde – nach draußen wollen, nehmen sie nicht den kurzen Weg durch die Fluchttür, sondern den langen zum Haupteingang und laufen einmal um das ganze Gebäude. Wie die Bilder zeigen, hatte Kurtovic zuvor offenbar schon beobachtet, dass der Notausgang von niemandem genutzt wurde.

Anschlag in Hanau: Armin Kurtovic präsentiert bislang unbekannte Aufnahmen

Armin Kurtovic, Hamzas Vater, hat die Aufnahmen am Donnerstag im Frankfurter Kunstverein vorgestellt, wo eine Ausstellung mit Erkenntnissen der Forschergruppe Forensic Architecture zum Hanauer Anschlag sowie zum Fall Oury Jalloh vorgestellt wurde. Außerdem präsentierte er eidesstattliche Erklärungen von Bargästen zu ihren Beobachtungen zum Notausgang an jenem Abend. Die Frankfurter Rundschau konnte die Bilder aus der Arena-Bar vorab sichten. Die Quelle ist der FR bekannt.

Als der Attentäter am Abend des 19. Februar 2020 die Bar betreten hatte, rannten die Gäste nicht zur Fluchttür, sondern suchten Schutz hinter eine Säule, weil nach Angaben vieler Zeug:innen bekannt war, dass der Notausgang immer verschlossen war. Es habe vermutlich Absprachen mit Polizist:innen gegeben, damit diese bei Razzien leichteres Spiel hätten, was Polizei und Betreiber entschieden zurückweisen. Nachdem Kurtovic mit zwei Überlebenden im Oktober 2020 Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gestellt hatte, ermittelte die Staatsanwaltschaft Hanau wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung, stellte das Verfahren im August 2021 jedoch ein. Als Gründe nannte sie etwa „widersprüchliche Zeugenaussagen“, aufgrund derer unklar sei, ob die Tür am Abend des 19. Februar 2020 geschlossen oder geöffnet gewesen sei. Für eine Zusammenarbeit zwischen dem Wirt und der Polizei seien keine Belege gefunden worden. Auch sei nicht sicher, ob die jungen Leute ihrem Fluchtinstinkt weg vom Täter gefolgt oder davon ausgegangen, seien, dass die Tür zu gewesen sei. Ein Kausalzusammenhang zwischen dem Ausgang und den Morden könne nicht belegt werden.

Das Thema hatte dann durch eine Ende des vergangenen Jahres veröffentlichte Untersuchung von Forensic Architecture an Brisanz gewonnen. Laut dem Gutachten, das auf einer Rekonstruktion der Abläufe in der Bar basiert und den Ergebnissen der Staatsanwaltschaft widerspricht, hätten sich mindestens vier, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar fünf Gäste retten können, wenn sie zur Fluchttür gelaufen wären und diese offen gewesen wäre.

Anschlag in Hanau: Staatsanwaltschaft widerspricht Kritik an Ermittlungsarbeit

Kürzlich hat die Generalstaatsanwaltschaft die Beschwerde von Opferangehörigen, die gegen die eingestellten Ermittlungen eingereicht worden war, abgewiesen. Nach Auffassung der Frankfurter Behörde ist die Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Hanau weder sachlich noch rechtlich zu beanstanden.

Die Staatsanwaltschaft Hanau hat bereits 2021 Kritik widersprochen: Die Ermittlungen seien sehr genau geführt und in einer langen Presseerklärung transparent gemacht worden. Sie verwies auch auf eine - Ende 2020 - durchgeführte Durchsuchung der Bar, bei der die Tür nur mit viel Kraft habe geöffnet werden können, weil sie offenbar geklemmt habe. Möglicherweise habe sie dies schon vorher getan und sei nicht versperrt gewesen.

Sein Sohn habe in der Arena-Bar das Ganze beobachtet, sagt Armin Kurtovic zu den Videoaufnahmen. Es sei ihm offensichtlich bewusst gewesen, dass die Fluchttür wieder geschlossen gewesen sei. Kurtovic hat offenbar kein Vertrauen mehr in die hessischen Ermittlungsbehörden und will deswegen, dass die Fragen rund um den Notausgang auf Bundesebene geklärt werden. Er könne sich nicht erklären, wieso das Videomaterial, das den Behörden seit Februar 2020 zur Verfügung stehe, bislang nicht ausgewertet worden sei, so Kurtovic. Von den 18 von ihm genannten Zeugen sei gerade einmal die Hälfte befragt worden.

Anschlag in Hanau: Weitere Auffälligkeiten in Sachen Notausgang

Außerdem kritisiert Hamzas Vater die Aussage eines zuständigen Kriminalhauptkommissars zur Tatortaufnahme in der Bar. Der hatte gesagt: „Da hier der Täter offensichtlich bekannt und tot war, wurde hier auf Detailtreue verzichtet.“ Eine Aussage, die nicht nur aufgrund der Erfahrung des Beamten Fragen aufwirft, sondern auch, weil sie kriminalistischen Grundprinzipien widerspricht.

Hinzu komme, dass allen Beteiligten habe klar sein müssen, dass sie ein beispielloses Verbrechen untersuchen und entsprechend genau vorgehen müssten. Ein Tatortbericht sei eigentlich die Grundlage für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, in diesem Fall jedoch nicht, bemängelt Kurtovic.

Nach FR-Recherchen gibt es weitere Auffälligkeiten: So gab einer der zuständigen Beamten in seiner Vernehmung zwar an, am Tatort sei es unübersichtlich gewesen, doch am Ende der Begehung habe festgestanden, dass die beiden im Bericht erwähnten Türen – eine davon war der Notausgang – zu gewesen seien. Hätte man sie öffnen können, wären ja die Räume dahinter ebenfalls fotografiert worden, so der Beamte.

Druck auf Beuth wächst

In Wiesbaden wächst aufgrund der jüngsten Enthüllungen zum Anschlag in Hanau nun der Druck auf den hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU). Die Opposition hält ihn für „endgültig untragbar“.

Anschlag in Hanau: Armin Kurtovic appelliert an Generalstaatsanwalt

Zudem soll vor der Durchsuchung nicht von einer klemmenden Tür die Rede gewesen sein. Und selbst wenn, so die Angehörigen, hätte die nicht richtig funktionierende Tür auch eine Pflichtverletzung dargestellt.

Armin Kurtovic bittet den Generalstaatsanwalt, seine Entscheidung zu überdenken und „die Einstellung zu revidieren“. Gleichzeitig appelliert er an Ministerpräsident Boris Rhein und Justizminister Roman Poseck (beide CDU), von denen er eine hohe Meinung habe, das Bundeskriminalamt zu den Ermittlungen hinzuzuziehen. (Gregor Haschnik)

Redaktioneller Hinweise: Eine erste Version dieses Textes erschien bereits am Donnerstagvormittag (2. Juni). Diese finden Sie hier.

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