1. Startseite
  2. Rhein-Main

Hanau: Kasernengelände als Wachstumsschub

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Gregor Haschnik

Kommentare

Sommer in der Fußgängerzone Hanau.
Sommer in der Fußgängerzone Hanau. © Monika Müller

Der Weg zur Großstadt eröffnet Chancen, stellt Hanau aber auch vor enorme Herausforderungen.

Es war eine aufwendige Inszenierung: Nach seiner Wiederwahl wurde Hanaus OB Claus Kaminsky (SPD) am 21. September ins Amt eingeführt, vor 150 Gästen im festlich geschmückten Brüder-Grimm-Saal des Congress-Parks. Dabei gab er bekannt, dass Hanau nun Hessens kleinste Großstadt sei, mit 100 000 Einwohner:innen, dem am 9. September 2021 geborenen Fionn sei Dank. Dann präsentierte der OB den neuen städtischen Imagefilm „Ich bin Hanau“.

Kaminsky bezog sich auf Zahlen des Kommunalen Gebietsrechenzentrums. Laut Statistischem Landesamt hatte Hanau da aber lediglich 97 400 Einwohner:innen (Stand Mai 2021). Eine Differenz, die aus unterschiedlichen Zählweisen resultiert (siehe Info). Kaminsky betont, die Stadt werde 2022 auch für das Landesamt Großstadt sein. Und merkt an, dass dort Kinder noch nicht mitgezählt würden, die da seien – und einen Kitaplatz bräuchten.

Ende 2011 lebten in Hanau noch 89 000 Leute, Mitte 2015 94 000. Einer von den Zugezogenen ist Lars Fengler. Er kam 2014 aus Bad Homburg, weil er ein Eigenheim suchte, in der Nähe seines Arbeitsortes Frankfurt. Fündig wurde Fengler im Stadtteil Lamboy, wo er mit seiner Ehefrau und seiner Tochter lebt, und zwar gerne, wie er sagt. Hanau habe sich positiv verändert, etwa durch die Umwandlung der früheren Kasernen. Verbesserungspotenzial sieht er bei den Radwegen.

Möglich wurde das schnelle Wachstum durch die Konversion, die auch für Kaminsky der „entscheidende Faktor“ ist. Durch den Abzug der US-Army wurden große Flächen für neue Wohngebiete frei. Das größte Projekt ist der „Pioneer Park“ im Stadtteil Wolfgang. Hier entsteht Wohnraum für mehr als 5000 Menschen.

Der enorme Druck auf dem Immobilienmarkt in Frankfurt zog zudem viele Neubürger:innen ins nahe gelegene Hanau. Weitere Faktoren sind der Stadtumbau und die massive Eigenwerbung: Hanau leistet sich unter anderem eine Pressestelle mit drei Sprecher:innen, eine Marketing GmbH, an der die Stadt etwa zur Hälfte beteiligt ist. Und vergibt viele Aufträge an PR-Firmen, die die Stadt und den OB positiv darstellen. Daran und an den Ausgaben dafür gibt es auch Kritik.

Kaminsky weist sie zurück: „Offensives Marketing gehört heute dazu. Sonst bleibt man in einer Region mit vielen attraktiven Städten eine graue Maus.“ Hanau habe lange Imageprobleme gehabt, auch wegen des einstigen „Atom-Dorfs“ in Wolfgang. Jetzt wolle es als weltoffene, fortschrittliche Stadt gesehen werden, die auch nach dem rassistischen Anschlag zusammenhalte.

Der Großstadtstatus schaffe mehr Sichtbarkeit und Renommee. So werde Hanau für Handelsketten, die nur in Großstädten aktiv seien, interessant. Werde in Statistiken häufiger auftauchen, in der Politik stärker wahrgenommen. Hinzu kämen ein höherer Anteil an der Einkommenssteuer und höhere Schlüsselzuweisungen von Bund und Land.

Die Entwicklung birgt jedoch auch Herausforderungen und Probleme. So fehlten bereits im Herbst 2020 etwa 275 Kitaplätze. In den nächsten Jahren könnte sich die Situation durch den weiteren Zuzug noch mehr zuspitzen: Auf dem „Bautz-Areal“ in Großauheim etwa, einem Gewerbegebiet, sind 1400 Wohnungen geplant. Auch an den Schulen wird es enger. Pro Jahrgang leben 200 Kinder mehr in Hanau als vor fünf Jahren.

Außerdem kommen Staus in den Stoßzeiten öfter vor. Und die Aufgaben für die Verwaltung, in der beim Personal längere Zeit gespart wurde, steigen.

Großstadt Hanau

Nach Angaben des Kommunalen Gebietsrechenzentrums, das die täglichen Veränderungen etwa durch Zu- und Wegzug erfasst, hat Hanau seit September 2021 100 000 Einwohner:innen. Das Statistische Landesamt, dessen Zahl für die Einstufung als Großstadt entscheidend ist, zählt 97 358, Stand Ende Mai 2021. Die Differenz resultiert unter anderem daraus, dass die Daten des Amts auf dem Zensus 2011 und dessen Fortschreibung, die zu Ungenauigkeiten führt, basieren. Zu- und Abgänge werden teils später erfasst.

Seit 2011 ist Hanaus Bevölkerung um elf Prozent gewachsen. Menschen aus 140 Ländern leben hier, etwa 26 Prozent haben einen ausländischen Pass.

Das Wachstum resultiert vor allem aus der Umwandlung von Flächen der US-Army, die 2008 abzog. Insgesamt wurden 340 Hektar Fläche frei. Viele neue Wohngebiete, etwa in der früheren Argonner-Kaserne, wurden gebaut.

Ende der 2000er Jahre begann der Umbau der Innenstadt. Dabei wurden unter anderem das Einkaufszentrum Forum und das Kulturforum am Freiheitsplatz errichtet und der Marktplatz sowie Fußgängerzonen umgebaut. gha


Kaminsky hält den „Wachstumsschmerzen“ entgegen, es sei „viel besser, qualitativ zu wachsen als zu schrumpfen“. Die Stadt sorge für die notwendige soziale und technische Infrastruktur. Die Verwaltung werde in den relevanten Bereichen durch Neueinstellungen und Digitalisierung entlastet. Ein neues Verkehrskonzept, das den Fahrradverkehr fördere, werde gerade entwickelt.

Das Wachstum biete weitere Vorteile. So hätten die beiden Schwimmbäder und der ÖPNV eine höhere Auslastung, wodurch sich Investitionen leichter stemmen ließen. Wenn etwa Kosten für Abwasser auf mehr Leute umgelegt würden, senke dies die Gebühren. Darüber hinaus habe der lokale Handel eine größere Zielgruppe. Unter dem Strich, so der Kämmerer, profitiere Hanau deutlich von seinem Wachstum.

Die fehlenden Betreuungsplätze resultierten in erster Linie aus einem Mangel an Erzieher:innen. Dem versuche die Stadt etwa mit Löhnen über Tarif entgegenzuwirken. In den Aus- und Neubau von Kitas sollen bis 2025 35 Millionen Euro investiert werden, in den Bau einer Grundschule im „Pioneer Park“ 13 Millionen Euro.

Der Kritik, dass in Hanau kaum noch Platz für Menschen mit wenig Geld sei, widerspricht der OB. Unter den Neuen seien viele Hartz-IV-Empfängerinnen. Gerade für die Bedürftigen sei es allerdings wichtig, dass Menschen mit höheren Einkommen herkämen, um Hilfen zu finanzieren. Laut einem Gutachten des Instituts für Wohnen und Umwelt (IWU) gebe es hier keinen angespannten Wohnungsmarkt. Das „Bauen, bauen, bauen“ helfe; Hanau sei relativ günstig.

Jochen Dohn ist Vorsitzender der „Fraktion“ im Parlament, die aus der Linken und der „Partei“ besteht. Dass die Stadt wachse, sei zu erwarten gewesen, sagt er, auch weil der gesamte Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main viele Neubürger:innen anziehe. Davon habe Hanau profitiert, ebenso wie von der Konversion, und die 100 000er-Marke intensiv als Ziel verfolgt. Der angestrebte Austritt aus dem Main-Kinzig-Kreis sei die logische Folge.

Dohn sieht wichtige Aufgaben, die der Zuzug stellt, nicht erledigt und fordert stärkere Anstrengungen. Besonders der Mangel an Betreuungsplätzen und günstigen Wohnungen, an dem Bürger:innen oft Kritik äußerten, macht ihm Sorgen. Dass Hunderte von Kindern nicht mit Plätzen versorgt seien, müsse schnellstens geändert werden. Und auch wenn die Mieten unter denen in Offenbach lägen, seien sie hier ebenfalls stark gestiegen und für Hanauer:innen mit kleinem Einkommen kaum bezahlbar.

Laut einer Studie des Portals Immowelt zu Angebotspreisen (Nettokaltmieten) in Mittelstädten sind diese in Hanau von 2015 bis 2020 um 30 Prozent auf im Schnitt 9,90 Euro pro Quadratmeter gestiegen.

Geförderte Wohnungen seien fast gar nicht gebaut worden und die Wartelisten dafür lang, kritisiert Dohn. Bei der IWU-Studie, die etwa von der SPD-Landtagsfraktion bemängelt worden sei, habe Hanau nur wenige Kriterien nicht erfüllt. Gerade angesichts des Wachstums, so Dohn, dürfe die soziale Komponente nicht vernachlässigt werden.

Auch interessant

Kommentare