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Häutungen einer Einkaufsstraße

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Die Zeil von der Hauptwache aus, um 1895.
Die Zeil von der Hauptwache aus, um 1895. © FR-Archiv

Fürstenwohnungen und Kaufpaläste, Fußgängerzone und S-Bahn-Bau: Die Zeil steht für Veränderungen und schlägt in zentraler Lage im Takt der Zeit.

Von Anita Strecker

Und nun stehen wir an der berühmten Zeil. Niemand wird dieser Zeile von Palästen seine Bewunderung versagen können", schwärmen die Herausgeber Hänle und Spruner anno 1843 in ihrem Handbuch für Reisende.

Und weiter: "Was der Erfindungsgeist unseres industriellen Jahrhunderts für den Luxus nur immer geschaffen hat, finden wir hier in glänzenden, nicht selten prächtigen Läden zur Schau gestellt. Schlösser, wahre Fürstenwohnungen, sind zur Aufnahme der Fremden bereit." Die Zeil.

Ihren Namen verdankt sie ihren Anfängen: Nach Gründung der Frankfurter Neustadt 1333 - ermöglicht durch ein Privileg Kaiser Ludwigs - wuchs vor der staufischen Stadtmauer zwischen Bockenheimer und Friedberger Pforte eine Häuserzeile. Bis dato war dies der städtische Umschlagplatz für Ochsen, Kühe, Schweine, Schafe und Kleinvieh gewesen.

Die einsame Häuserzeile blieb die Zeil, auch wenn sich Aussehen, Nutzen und Charakter der Straße im Laufe so häufig und grundlegend gewandelt hat wie bei keiner anderen in der Stadt. Viehmarkt, noble Wohnstraße für Patrizier und reiche Bürgersfamilien, Geschäftsstraße - die Geschichte der Zeil lässt sich als Geschichte von Häutungen, von Wandel, von Schnelllebigkeit der Zeitgeschichte erzählen.

Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts ist endgültig Schluss mit Landwirtschaft und Viehmarkt. Reiche Bürgerfamilien ziehen prunkvolle, klassizistische Stadtpalais in die Höhe. Das bekannteste der Russische Hof, den der Seidenhändler Franz Maria Schweitzer aus Verona 1797 anstelle eines ehemaligen Viehhofes bauen lässt.

1826 wird ein Luxushotel daraus, in dem sogar Kaiser Wilhelm I. mehrfach nächtigt. Die Gründerzeit bringt die nächste Veränderung: Barocke und klassizistische Stadtpalais weichen großen gründerzeitlichen Geschäftshäusern.

Russischer Hof, Rotes Haus und Darmstädter Hof fallen 1890 für die neue Frankfurter Hauptpost mit ihrer berühmten Kuppel. Sie bringt die erste, posteigene Straßenbahnlinie auf die Zeil, die längst um einen halben Kilometer von der Konstabler weiter Richtung Osten gewachsen ist.

Die Zeil wird Umschlagplatz. 1898 eröffnet das Kaufhaus Hoff an der Ecke Liebfrauenstraße, in den nächsten Jahren folgen Oberzenner, Schmoller, Schneider, Frank & Baer, Fuhrländer, Hansa. 1908 schließlich das Kaufhaus Wronker, mit seiner 80 Meter breiten, expressionistischen Straßenfront das größte Warenhaus der Stadt. Nach dem ersten Weltkrieg eröffnen Tietz und Pletzsch, C & A Brenninkmeyer, 1936 schließlich Peek & Cloppenburg und Ott & Heinemann.

Viele Warenhausbesitzer sind Juden. Die Nationalsozialisten enteignen, "arisieren" die Zeil. Wronker wird 1934 zum Deutschen Familienkaufhaus DEFAKA, Hermann Wronker stirbt 1942 im Konzentrationslager. Und aus den Warenhäusern Tietz gehen nach dem Krieg Hertie und Kaufhof hervor.

Der Zweite Weltkrieg erzwingt den nächsten Wandel. Unterm Bombenhagel vom 22. März 1944 bleibt entlang der Zeil kaum ein Stein auf dem anderen - Platz, die Zeil nach Kriegsende gleich um acht Meter breiter wieder aufzubauen. Bereits 1945 eröffnet der Kaufhof in provisorischem Flachbau an angestammter Stelle vis a vis der Hauptwache und auch bei den benachbarten Geschäften geht es mit Neu- und Umbauten rapid nach oben.

Und die breiteste Achse der Stadt zieht Verkehr an: Nach Pferde- und elektrischer Straßenbahn beginnen Autos in den 50ern Fußgänger abzudrängen. Die Lage verschärft sich, der Verkehr auf den Bahnen links und rechts der Straßenbahn versinkt im Chaos. 1972 zieht die Stadt die Notbremse und sperrt die Zeil für Autos - gegen den erbitterten Protest der Anlieger in Hoch- und Stiftstraße.

Sechs Jahre später folgt der nächste tiefe Einschnitt. Im Wortsinn. Zwischen Konstabler- und Hauptwache klafft die Zeil als offene Wunde, Bagger fressen sich in die Oberfläche, schaufeln den Schacht für die S-Bahn aus. Drei Jahre lang Großbaustelle.

Drei Jahre lang Dreck, Lärm und Behinderungen, bis sich die Einkaufsmeile 1983 schließlich als Platanen bestandene Fußgängerzone abermals mit neuem Gesicht präsentiert. Jetzt steht die nächste Häutung an. Wir stehen schließlich auf der berühmten Zeil.

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