Pflegenotstand in privatisierter Universitätsklinik Gießen-Marburg

In der privatisierten Uniklinik herrscht Unmut: Gleich drei Stationen mussten wegen Personalmangel geschlossen werden.
Gesundheits- und Krankenpfleger, Pflegekräfte und Fachkrankenpfleger können sich ihr Betätigungsfeld am privatisierten Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM) am Standort Gießen derzeit aussuchen. Für allein 17 verschiedene Bereiche sucht das Klinikum auf der eigenen Homepage per Stellenausschreibung unter dem Stichwort „Pflege und Funktionsdienst“ nach Personal. Besonders schlimm scheint es um die Kardiologische Intensiv- und Intermediate-Care-Station 1.5/1.6 sowie die Chest-Pain-Unit zu stehen. Dort werden gleich „mehrere Pflegekräfte“ auf einmal gesucht.
Der Pflegenotstand wirkt sich am UKGM derzeit in all seiner Härte aus. Die Verantwortlichen des Rhön-Konzerns sind alarmiert. Solch eine bedrohliche Situation gab es noch nie. Das Klinikum sah sich gezwungen, gleich drei Stationen komplett zu schließen. Das bestätigte UKGM-Sprecher Frank Steibli auf Anfrage. Konkretere Angaben dazu wollte das Klinikum nicht machen. Auch nicht darüber, wie lange die Schließungen nötig sein werden und ob weitere möglich seien. Seinen Angaben zufolge existiert das Problem einzig in Gießen. In Marburg gebe es keine Stationsschließungen.
Dem Vernehmen nach sind in Gießen aktuell Stationen der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik, der Allgemeinen Chirurgie und der Kardiologie mit insgesamt rund 45 Betten betroffen. „Eigentlich ist die Situation viel schlimmer, denn auf diversen anderen Stationen sind zudem einzelne Betten gesperrt“, sagt Andreas Schaub, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des UKGM. Schon über den Sommer seien auf Intensivstationen ständig acht bis zwölf Betten gesperrt gewesen, weil nicht genügend Personal vorhanden war, um einen zulässigen Dienstplan zu erstellen. „Wir sind in ständiger Diskussion über weitere Schließungen.“
Seit mehreren Jahren beklagen Kliniken einen Rückgang von Bewerberzahlen in Pflege- und Gesundheitsfachberufen. Zeitgleich berichten Personalchefs von Krankenhäusern über zunehmende Probleme, Pflegestellen zu besetzen. „Die Unikliniken sind lange davon verschont geblieben, doch seit rund zwei Jahren beobachten wir diese Entwicklungen auch am UKGM“, erklärt Steibli.
Wie viele Stellen in der Pflege derzeit im Klinikum unbesetzt sind, will die Geschäftsführung nicht sagen. Auch dem Betriebsrat gegenüber macht die Klinikleitung dazu keine Angaben. Ein seit Jahren brodelnder Konflikt: Derzeit läuft eine juristische Auseinandersetzung, mit der die Vertretung der Arbeitnehmer eine Herausgabe der Zahlen erzwingen will. „Man behauptet, es gäbe keinen Soll-Plan, wir wissen aber, dass es einen gibt“, sagt Schaub. Dem Vernehmen nach sind Hunderte Stellen unbesetzt. Mit einer Ausweitung von Anzeigen- und Werbeaktivitäten, einer auf die Pflege zugeschnittenen Imagekampagne und mehreren Bewerberdialogen für Schüler und am Jobwechsel interessierte Berufstätige habe das UKGM seine Aktivitäten deutlich ausgeweitet. „Parallel unternimmt die Geschäftsführung viel, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Gehälter noch attraktiver zu gestalten“, so Steibli. „Das UKGM ist das Uniklinikum in Deutschland, das am schlechtesten bezahlt“, sagt hingegen Schaub. In Gießen verdiene man im Bereich der nichtärztlichen Assistenzberufe 400 bis 500 Euro weniger als im öffentlichen Dienst. Pflegekräfte gingen mit 100 Euro weniger nach Hause.
Um die Patientenversorgung sicherzustellen, muss das Klinikum zudem in erheblichem Maß auf Leiharbeiter zurückgreifen. „Im Bereich der Allgemeinchirurgie arbeiten mittlerweile mehr Leiharbeiter als Festangestellte“, erklärt Schaub. Dass diese nicht nur wesentlich besser bezahlt würden als Stammpersonal, sondern sich auch die Arbeitszeiten frei aussuchen könnten, sorge für großen Unfrieden. Nicht wenige Pflegekräfte würden darüber nachdenken, aus einem festen Arbeitsverhältnis in eine Leiharbeitsfirma zu wechseln. Das würde die Situation weiter verschärfen. Steibli betont, dass trotz der angespannten Personaldecke keine Patienten abgewiesen würden, er gibt jedoch zu, dass die „OP- und Prozessplanung entsprechend angepasst“ werde. Das heißt: längere Wartezeiten, weniger Termine, weniger dringliche Eingriffe werden verschoben. Im Uniklinikum herrscht Pflegenotstand.