Gewalt gegen Frauen: Hilfesystem ist in der Corona-Pandemie überlastet

Häusliche Gewalt ist während der Corona-Pandemie gestiegen. Doch auch andere Probleme bereiten den Frauenhäusern Sorgen.
Frankfurt - Auch im zweiten Jahr der Pandemie scheint der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen besonders notwendig. Die Situation für Betroffene von häuslicher Gewalt hat sich in der Corona-Pandemie verschlimmert. Während der Lockdown-Phase und dem Homeoffice verbrachten Familien und Paare viel Zeit miteinander. Das brachte mehr Streit mit sich, nicht selten auch mehr Wut und Gewalt.
Wegen der Kontaktbeschränkungen war hingegen lange unklar, in welchem Maße die häusliche Gewalt im Jahr 2020 tatsächlich zugenommen hat. Viele betroffene Frauen griffen nicht zum Telefon, um die Polizei zu alarmieren oder in einem Frauenhaus anzurufen, da der gewaltsame Partner eben auch zu Hause saß. Das geht aus Gesprächen mit Mitarbeiterinnen aus Frauenhäusern im Rhein-Main-Gebiet hervor.
Gewalt gegen Frauen: Platzmangel ist großes Problem
Ein nach wie vor großes Problem ist der Platzmangel für schutzsuchende Mädchen und Frauen in Frauenhäusern. Der Verein Frauenhauskoordinierung (FHK) hat für das Jahr 2020 eine bundesweite Umfrage erstellt. In den 182 teilnehmenden Frauenhäusern fanden 6614 Frauen sowie 7676 Kinder Schutz. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das einen leichten Rückgang um 431 Frauen. „Das ist besorgniserregend, weil wir wissen, dass in den Lockdowns das Risiko häuslicher Gewalt erhöht war, und gleichzeitig wichtige Außenkontakte und Frühwarnsysteme weggefallen sind“, erklärt FHK-Geschäftsführerin Heike Herold. Neben dem erschwerten Zugang zu Unterstützung spielen für die Entwicklung auch Platzreduzierungen zur Einhaltung von Hygieneregeln sowie Aufnahmestopps bei Corona-Verdachtsfällen eine Rolle.
Das Recherchenetzwerk Correctiv erstellte im vergangenen Jahr eine Datenanalyse in fünf Bundesländern, die erstmals zeigte, wie gravierend die Lage teilweise ist. In den letzten Jahren suchten jährlich mehr als 30.000 von Gewalt betroffene Frauen und Kinder in deutschen Frauenhäusern Schutz. Doch oft konnten viele aus Platzmangel nicht aufgenommen werden.
Die genaue Zahl kennt niemand, weil es keine zentrale Datenerfassung gibt. Die Zahlen ergeben sich aus einer Übersichtskarte, die auf Meldungen der Frauenhäuser basiert. Im Rhein-Main-Gebiet sind derzeit alle Plätze belegt (Stand: Freitag, 12.30 Uhr).
Aktionen in Frankfurt
Die Stadt Frankfurt setzt wieder ein deutliches Zeichen gegen sexuelle Übergriffe an Frauen und Mädchen. Von Montag, 22. November, bis 10. Januar 2022 hängen am Eisernen Steg vier große pinkfarbene Banner mit der Aufschrift „Respekt. Stoppt Sexismus“ und „Mein Nein meint Nein“. Die Botschaft erscheint in elf Sprachen.
Am Donnerstag, 25. November , um 17 Uhr organisiert das Bündnis „Frankfurt für Frauenrechte“ gemeinsam mit Politik, NGOs, Gewerkschaften, dem Frauendezernat und dem Frauenreferat eine Demonstration gegen Gewalt an Frauen und Mädchen und ruft zur Teilnahme auf. Treffpunkt ist der Willy-Brandt-Platz.
Das Frauenreferat beteiligt sich an der weltweiten Aktion „Orange the World“ von UN-Women und setzt ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Viele Gebäude in der Stadt werden ab 17 Uhr in orange angestrahlt, darunter die Paulskirche, die Alte Oper, das Historische Museum und das Gewerkschaftshaus. Weitere Gebäude sind angefragt.
Parallel dazu gibt es am Höchster Bahnhof von 17 bis 19 Uhr eine Kunstinstallation mit dem Titel „Tatort“, die von Mitgliedern des Arbeitskreises gegen häusliche Gewalt Frankfurt West durchgeführt wird.
Die Kinothek Asta Nielsen präsentiert um 19.30 Uhr im Schauspiel Frankfurt den Stummfilm „Shoes“ (1916) und die Welturaufführung neuer Filmmusik zu diesem Film von Lois Weber. Die international renommierte Komponistin Maud Nelissen hat eine Musik für drei Musikerinnen und Musiker zum Film geschrieben.
Das Generalkonsulat und das Förderzentrum der Argentinischen Republik bieten um 19 Uhr im Veranstaltungssaal des argentinischen Generalkonsulats in der Eschersheimer Landstraße 19-21 ein Konzert von Sol Crespo an, die ein spezielles Repertoire für diesen Anlass vorbereitet hat. Zu diesem Anlass wird das Konsulat in Orange beleuchtet sein.
Außerdem beteiligt sich die Stadt Frankfurt am Internationalen Tag gegen Gewalt an der Fahnenaktion von Terre des Femmes „NEIN zur Gewalt an Frauen“. Die Fahnen werden bundesweit an Rathäusern und anderen Gebäuden gehisst. Auch in Frankfurt wehen die Fahnen an dem Aktionstag vor dem Römer am Eingang zum Paulsplatz und vor dem Bolongaropalast.
Frauen und Mädchen , die von Gewalt betroffen sind, können sich in Frankfurt an Beratungsstellen und Frauenhäuser wenden. Hier finden sie Unterstützung bei sexueller, häuslicher und digitaler Gewalt, ebenso bei Stalking und als Opfer von Menschenhandel. stn
Weitere Informationen zum Aktionstag auf der Webseite des Frauenreferats unter https://bit.ly/3oJqDe3
Gewalt gegen Frauen: Notruf in Frankfurt verzeichnet leichten Anstieg der Fallzahlen
Wie wichtig Beratungsmöglichkeiten, Frauenhäuser und andere Hilfsangebote sind, zeigen auch die Zahlen aus der polizeilichen Kriminalstatistik. Die Fälle von häuslicher Gewalt sind im Bund wie auch in Hessen seit 2014 deutlich gestiegen. Dies deute auf ein verändertes Anzeigeverhalten hin, welches auch durch stetig verbesserte Beratungs- und Hilfsangebote für Opfer häuslicher Gewalt flankiert werde, heißt es. Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 10 013 Fälle von häuslicher Gewalt in Hessen erfasst. Das ist im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme von 7,7 Prozent. 80 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt waren im vergangenen Jahr Frauen.
In Frankfurt verzeichnete der Frauennotruf einen leichten Anstieg der Fallzahlen, teilt Geschäftsführerin Angela Wagner mit. „Wir haben dieses Jahr viele Fälle von Körperverletzung bearbeitet. Zugenommen haben außerdem Beratungsanfragen zum Thema versuchte und vollzogene Vergewaltigung“, berichtet sie. Es meldeten sich auch viele Frauen, die ihre Partner verlassen und nun juristische Fragen hätten.
Eine Zunahme an Anrufen bei der Beratungsstelle des Autonomen Frauenhauses in Frankfurt hat im Sommer dieses Jahres auch Hilke Droege-Kempf wahrgenommen. Sie ist Vorstandsmitglied beim Verein Frauen helfen Frauen Frankfurt (FhF). Nachdem die Infektionszahlen sanken und die Homeoffice-Pflicht für viele Angestellte aufgehoben wurde, habe die Anzahl der Anrufe zugenommen, sagt sie. Außerdem konnte das autonome Frauenhaus durch die durchweg verbesserte Corona-Lage wieder alle Zimmer belegen.
Gewalt gegen Frauen: Banger Blick auf die Wintermonate
Doch durch die steigenden Infektionszahlen kommt nun das nächste Problem auf sie zu. „Wir können überhaupt nicht abschätzen, in welche Richtung sich dieser Winter entwickeln wird“, sagt Droege-Kempf.
Als wären die unklare Corona-Lage und der Platzmangel nicht schon schwierig genug, käme die Wohnungsnot vieler Frauen hinzu. Weil das Autonome Frauenhaus auch Hilfesuchende aus anderen Städten und Gemeinden aufnimmt - wie so viele andere Häuser auch - verweilen die Frauen meist bis zu zwei Jahre im Frauenhaus. Nach Angaben von FhF lag die Verweildauer von über einem Jahr zwischen 2015 und 2020 bei 22 Prozent, der Anteil der auswärtigen Frauen liegt bei 70 Prozent. Diese hohe Zahl kommt durch die Einjahresregelung der Stadt Frankfurt zustande. Diese Regelung besagt, dass Personen, die einen Antrag beim Wohnungsamt auf eine öffentlich geförderte Wohnung stellen, erst einmal 12 Monate in Frankfurt gemeldet sein müssen, um einen Anspruch auf eine öffentlich geförderte Wohnung zu haben. Dann folgt ein Antrag und sechs weitere Monate vergehen bis zu einer Vermittlung. Diese Problematik thematisiert FhF bereits seit 40 Jahren.
Gewalt gegen Frauen: Neues Frauenhaus in Offenbach geplant
Die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus in Offenbach, das auch von FhF betrieben wird, haben hingegen mit einem maroden Haus zu kämpfen. Seit langem fehlen zwei Plätze, zusätzlich gab es im Haus einen Wasserschaden. Dieser führte zu noch weniger freien Plätzen. Derzeit stehen zwölf Plätze zur Verfügung. „Wir mussten zeitweise Zimmer umfunktionieren, damit die Kinder mehr Platz haben“, sagt Christine Hartwell von FhF in Offenbach.
Allerdings will die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP ein neues Frauenhaus. Den Antrag hat nun auch die Stadtverordnetenversammlung angenommen. Wie notwendig ein neues Haus ist zeigen die seit Jahren steigenden Zahlen. Nach Angaben des Polizeipräsidiums Südosthessen waren 222 Frauen im Jahr 2020 Opfer von häuslicher Gewalt. „Umso wichtiger ist es, dass wir möglichst bald mehr Plätze für betroffene Frauen und deren Kinder bereitstellen können“, sagt Angela Sindermann von FhF Offenbach. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Denn für die Verwirklichung des Projekts müssten noch zahlreiche Ressourcen aufgebracht werden, zum Beispiel die erforderlichen Personalstunden, die derzeit noch nicht finanziert seien, sagt Bianca Costa von FhF. „Wir freuen uns daher über jede Unterstützung.“