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Geflüchtete in Hessen zu Unrecht inhaftiert

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Von: Gregor Haschnik

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Die Haftanstalt unterscheidet sich kaum von einer JVA .
Die Haftanstalt unterscheidet sich kaum von einer JVA . © Michael Schick

Die Beratungsstelle der Diakonie Hessen für Menschen im Abschiebegefängnis stellt ihren Jahresbericht vor. „Erschreckend“ nennt deren Vorstandsvorsitzender Tag die Zustände.

Darmstadt – Ein Geflüchteter hatte die Eheschließung mit seinem Verlobten auf den Weg gebracht, als er bei einem Termin in der Ausländerbehörde in Abschiebehaft genommen wurde. Wegen seiner sexuellen Orientierung drohte ihm in Pakistan die Todesstrafe; vier Stunden blieben bis zum Abflug. Weil eine ehrenamtliche Hilfe bei der Festnahme dabei war, konnte ein Rechtsbeistand organisiert und ein Eilantrag bei Gericht eingereicht werden. Der Kampf ums Bleiberecht war erfolgreich: Der Mann wurde als Flüchtling anerkannt und kam frei.

Diesen und weitere Fälle schildert die externe unabhängige Beratung für Inhaftierte in der Abschiebungshafteinrichtung Darmstadt-Eberstadt, sie stehen im Jahresbericht 2021/22 des Projekts der Diakonie Hessen. Deren Vorstandsvorsitzender Carsten Tag kritisiert: „Viele Menschen werden zu Unrecht inhaftiert und ihres Freiheitsgrundrechts beraubt“. Das sei in einem Land wie Deutschland, das sich als Rechtsstaat verstehe, „mehr als erschreckend“. Er fordert „eine Pflichtverteidigung ab der Festnahme“. Gefangene in Abschiebehaft bekommen diese im Gegensatz zu Strafgefangenen nicht.

Anlaufstelle der Diakonie wird von Evangelischer Kirche in Hessen und Nassau finanziert

Die Anlaufstelle der Diakonie, die von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) finanziert wird, bietet Rechtsberatung, verfasst aber auch Petitionen, koordiniert Bemühungen um Inhaftierte und arbeitet mit sozialen Diensten in Haft und anderen Akteur:innen zusammen. Über einen angegliederten Fonds werden Anwält:innen für Migrationsrecht vermittelt. „Wir können mit unserem Angebot in Einzelfällen helfen, aber nicht die offenkundigen rechtsstaatlichen strukturellen Mängel ausgleichen“, erklärt Beraterin Stefanie Dorn.

Die Hilfe werde dadurch erschwert, dass der Kontakt zustande komme, wenn Betroffene schon in Haft seien. Der Gerichtstermin sei dann gelaufen, über die danach eingelegte Haftbeschwerde werde dann häufig erst nach der Abschiebung entschieden. Die Beratung im Umfang von einer Viertelstelle wird seit Herbst 2021 angeboten, als Ergänzung zur Sozialberatung des Sozialkritischen Arbeitskreises Darmstadt. Bis Ende 2022 wurden den Angaben zufolge 63 Gefangene beraten, 26 davon mit einer besonderen Schutzbedürftigkeit, darunter 14 alleinstehende Frauen, sechs queere Menschen und zwei Opfer von Zwangsprostitution.

Die mit Abstand meisten Schutzsuchenden kamen aus Pakistan (16), darauf folgen die Herkunftsländer Türkei, Algerien, Syrien. Von 50 eingelegten Haftbeschwerden seien 44 noch bei den Gerichten anhängig, von den sechs entschiedenen Verfahren fünf erfolgreich gewesen. Das heißt, die Inhaftierung war rechtswidrig.

Abschiebegefängnis des Landes Hessen besteht seit fünf Jahren

Von acht eingereichten asylrechtlichen Eilanträgen waren zwei erfolgreich, woraufhin es zu Entlassungen und einem (teils vorläufigen) Bleiberecht kam. Vier aufenthaltsrechtliche Eilanträge waren in zwei Fällen erfolgreich (Entlassungen und ein vorläufiges Bleiberecht). Bei zwei Betroffenen konnte ein Aufenthaltsrecht in einem anderen EU-Staat nachgewiesen und so die Abschiebung ins Heimatland verhindert werden. Stattdessen reisten sie freiwillig in einen anderen EU-Staat.

Seit Montag besteht das Abschiebegefängnis des Landes Hessen seit fünf Jahren. Das Innenministerium wies auf Anfrage die Kritik zurück. Mit dem Betrieb erfülle es ihm „gesetzlich obliegende Aufgaben“. Abschiebungshaft oder Ausreisegewahrsam basierten auf Gerichtsentscheidungen. Inhaftiert würden „Personen, die ihrer gesetzlichen Pflicht zur Ausreise nicht freiwillig nachkommen und sich ihrer Abschiebung entziehen wollen“. Die Einrichtung sei modernisiert und personell aufgestockt worden, um „auch den Bedürfnissen der Untergebrachten noch besser nachkommen zu können“.

Laut Ministerium sind von März 2018 bis Ende November 2022 1076 Personen „zurückgeführt oder überstellt“ worden; 2018 sind 28 Geflüchtete vorzeitig aus der Haft entlassen worden, zwei Jahre später 58 und im Jahr 2022 57 (Stand November). (Gregor Haschnik)

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