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Im Gefängnis zum Salafismus bekehrt

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Von: Kathrin Hedtke

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Hinter Gittern werden manche muslimische Häftlinge radikalisiert. (Symbolbild)
Hinter Gittern werden manche muslimische Häftlinge radikalisiert. (Symbolbild) © Patrick Seeger (dpa)

Salafisten suchen in hessischen Gefängnissen Kontakt zu jungen Muslimen und deren Familien, um sie zu radikalisieren. Thomas Mücke vom Violence Prevention Network erläutert, wie das verhindert werden kann.

In hessischen Gefängnissen sind Berater und Trainer vom „Violence Prevention Network“ schon länger aktiv, um muslimische Jugendliche davon abzuhalten, sich hinter Gittern zu radikalisieren. Ergänzend dazu wird jetzt eine Beratung für Angehörige von Häftlingen aufgebaut. Der Geschäftsführer des Vereins, Thomas Mücke, setzt darauf, dass so der Einfluss der salafistischen Szene auf die Jugendlichen eingedämmt wird.

Herr Mücke, warum ist es wichtig, die Familien von Häftlingen einzubinden?
Wir erleben die Tendenz, dass die salafistische Szene in das familiäre System hineingeht, wenn jemand aus ihren Kreisen im Gefängnis sitzt. Sie kümmern sich um die Familien, bieten Alltagshilfe an. Dadurch entsteht eine Loyalitätsdynamik. Das wollen wir verhindern. Die salafistische Szene versucht auch, im Umfeld präsent zu sein, wenn jemand aus dem Gefängnis entlassen wird. Jüngere Häftlinge kehren häufig ins familiäre System zurück. Deshalb muss die Entlassung gut vorbereitet sein. Wir müssen zusehen, dass wir an die Angehörigen herankommen.

Wie kommen Sie mit den Familien in Kontakt?
Normalerweise nimmt das soziale Umfeld über die Hotline von selbst Kontakt mit uns auf. Aber wenn jemand schon im Knast sitzt, kommt die Familie in der Regel nicht von sich aus zu uns. Zum Teil ist das Umfeld selbst im Milieu verankert. Außerdem gab es meist vorher schon viele Konflikte. Deshalb müssen wir die Eltern aufsuchen, offensiv anrufen und vorbeigehen.

Wie sieht die Arbeit mit den Angehörigen aus?
Das Projekt befindet sich noch in der Entwicklungsphase. Aber fest steht, dass wir künftig auch in Hessen im Vollzug sogenannte Angehörigentage gestalten wollen. Dafür suchen wir Schlüsselpersonen aus, die wir ins Trainingsprogramm einbinden. Auch über die Familie hinaus. Das ist vor allem mit Blick auf die Entlassung der Jugendlichen wichtig. Wir wollen drei Personen ausfindig machen, die für die Jugendlichen früher sehr wichtig waren – und aktivieren.

Was heißt das konkret?
Wir versuchen, einen Plan zu machen: Wer war hilfreich für die Entwicklung? Bei wem müssen wir eher aufpassen? Beim Rechtsextremismus suchen wir eher nach neuen sozialen Kontakten. Aber bevor Jugendliche in die salafistische Szene reinkamen, waren sie oft auf einem guten Weg. Es gibt positive Potenziale. Deshalb gucken wir: Wer waren vorher die Freunde, in welchen Sportvereinen waren sie aktiv? Gerade vor einer Entlassung versuchen wir, die Jugendlichen auf diese Weise zu stabilisieren.

Wie schwer fällt es den Jugendlichen, sich von der radikalen Szene zu lösen?
Wenn Jugendliche in die extremistische Szene reinkommen, sind sie in drei Prozessen entfremdet worden: von der Gesellschaft, dem Land, in dem sie geboren wurden. Von einem Tag auf dem anderen wird ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen. Sie werden von ihren Familien entfremdet. Die Eltern werden zu Feindbildern gemacht. Der Vater gilt nicht mehr als richtiger Moslem. Den wahren Islam vertritt nur der IS. Alle sozialen Kontakte werden abgebrochen, die Jugendlichen bewegen sich wie in einer Sekte. Es ist schwer, da wieder rauskommen.

Wie offen sind die Jugendlichen im Gefängnis für die Berater?
Das klappt ganz gut. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele sehr zugänglich sind. Das hat vielleicht auch mit den eigenen Zweifeln zu tun. Unser Ziel ist es, die Menschen wieder zu eigenem Denken anzuregen. Auf den ersten Gesprächskontakt reagieren viele sehr offen. Der Vorteil im Gefängnis: Die Jugendlichen laufen nicht so schnell weg.

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