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Geehrte Rechtsextremistin

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Es läuft nicht alles rund in Sachen Demokratie in Nordhessen.
Es läuft nicht alles rund in Sachen Demokratie in Nordhessen. © dpa

Eine 68-jährige Nordhessin vertreibt seit Jahren Schriften rechter Gruppen und Institutionen und engagiert sich im Krankenpflegeverein. Die Trägerin des Ehrenbriefs des Landes Hessen organisiert auch Treffen mit Holocaust-Leugnern.

Von Carsten Meyer und Julian Feldmann

Eine 68-jährige Nordhessin vertreibt seit Jahren Schriften rechter Gruppen und Institutionen und engagiert sich im Krankenpflegeverein. Die Trägerin des Ehrenbriefs des Landes Hessen organisiert auch Treffen mit Holocaust-Leugnern.

Margret Nickel ist in Wahlsburg-Lippoldsberg, einem kleinen Ort nördlich von Kassel, wohlbekannt. Im Vorstand der Häuslichen Krankenpflege führt sie die Finanzen und hat vor elf Jahren sogar den Ehrenbrief des Landes Hessen für ihre ehrenamtliche Tätigkeit erhalten. Hinter der bürgerlichen Fassade verbirgt sich jedoch eine rechte Aktivistin. In ihrer Klosterhaus-Buchhandlung mit angeschlossenem Verlag vertreibt die 68-Jährige rechtsextreme Literatur. Deshalb soll sie die Ehrung jetzt verlieren.

Nickels Geschäft befindet sich im ehemaligen Kloster von Lippoldsberg. Der Publizist Hans Grimm, dessen 1926 erschienener Roman „Volk ohne Raum“ später zum Motto der nationalsozialistischen Expansionspolitik wurde, residierte einst dort. Übernommen hatte Nickel den Betrieb 2008 von Holle Grimm, der Tochter des Schriftstellers. Sie teilte die politischen Überzeugungen ihres Vaters und war Gründungsvorsitzende der Häuslichen Krankenpflege in Wahlsburg. Dort sitzt Nickel heute im geschäftsführenden Vorstand. Zudem hat der Verein Räumlichkeiten in der Buchhandlung angemietet, firmiert unter derselben Adresse.

Margret Nickel engagiert sich bei der „Gesellschaft für freie Publizistik“ (GfP). Der Verfassungsschutz beobachtet sie als größte rechtsextreme Kulturvereinigung. Bereits Holle Grimm war dort aktiv. Regelmäßig lädt Nickel zu Vortragsveranstaltungen des örtlichen GfP-„Arbeitskreises“. An einem dieser Treffen nahmen 2009 Bernhard Schaub und Ursula Haverbeck-Wetzel teil. Die beiden Holocaust-Leugner gehörten einem inzwischen verbotenen Vereinsgeflecht an, das antisemitische Propaganda verbreitete und den Nationalsozialismus verherrlichte. Für die 83-jährige Haverbeck-Wetzel richtete Nickel ein Spendenkonto in Kassel ein, das auf Neonazi-Webseiten beworben wurde.

Bei einer „Verlegertagung“ in Wahlsburg-Lippoldsberg war vor drei Jahren die Hamburger Rechtsanwältin Gisela Pahl zu Gast, die als Initiatorin des „Deutschen Rechtsbüros“ gilt. Diese braune Rechtsberatung gab unter anderem die Publikation „Mäxchen Treuherz: Rechtsratgeber“ heraus, die als „hilfreicher Ratgeber“ für „nationale Aktivisten“ beworben wurde – erhältlich über Nickels Versandhandel.

Strafrechtlich bekannt

Auch strafrechtlich ist Nickel einschlägig in Erscheinung getreten: Weil sie eine den Holocaust leugnende Broschüre verbreitet hatte, wurde sie im vergangenen Jahr wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Geschrieben hatte das Heft Haverbeck-Wetzel, die deswegen vom Landgericht München eine Bewährungsstrafe bekam. In dem Heft hieß es laut Anklage: „Den Holocaust gibt es gar nicht. Das ist so etwas wie der Weihnachtsmann oder der Osterhase für Erwachsene.“ Vor einigen Monaten durchsuchte die Polizei erneut den Buchladen. Der Grund: Nickel hatte eine Publikation verbreitet, in der die Massenerschießungen im ukrainischen Babyn Jar 1941 geleugnet werden, bei denen mehr als 33.000 Juden ermordet worden waren.

Nach einem Bericht des HR-Magazins „defacto“ über Nickels Umtriebe dringt die Landesregierung nun auf eine Aberkennung des Ehrenbriefes. Die Staatskanzlei forderte nach einem Vorstoß der Grünen-Landtagsfraktion den Landkreis Kassel per Brief auf, ein Verfahren zum Widerruf der Auszeichnung einzuleiten. Kandidaten für den Ehrenbrief des Landes wählen seit 1998 die Kreise aus. Der Landkreis Kassel hat bereits angekündigt, der Aufforderung nachkommen zu wollen.

Diakonie ist besorgt

Die Diakonie, in der die Häusliche Krankenpflege Mitglied ist, sieht die Situation mit Sorge. Das Diakonische Werk in Kurhessen-Waldeck wirke darauf hin, „dass es zu einer grundlegenden Entflechtung von Buchhandlung und Pflegeverein kommt“, sagt dessen Sprecher Eckhard Lieberknecht. Auch der örtliche Kirchenvorstand dringt auf eine klare Trennung des Pflegedienstes von der Rechtsextremistin.

Die Häusliche Krankenpflege distanziert sich von der Gesinnung Nickels. „Wir haben nichts mit der Ideologie zu tun“, sagt die Vorsitzende Ellen Fricke auf Anfrage. Anfang Oktober soll über die Causa Nickel im Vorstand diskutiert werden.

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