Flucht nur mit Koffer und Kind

Frauenhaus zieht Bilanz / Wohnungsnot ist ein großes Problem
BAD HOMBURG - Gut, dass es die Institution gibt, beschämend, dass es sie überhaupt braucht ... Seit mittlerweile 28 Jahren hilft das von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) betriebene Bad Homburger Frauenhaus Lotte Lemke Frauen und Kindern dabei, neu anzufangen, wenn sie zu Hause, dem eigentlich besonders geschützten und sicheren Bereich, Gewalt erfahren haben und sich aus dieser Situation befreien wollen.
Das geschieht meist fern der Heimat, wie der Bericht des Frauenhauses zeigt, der am Dienstagabend im Jugend- und Sozialausschuss präsentiert wurde. Aus dem Hochtaunuskreis kam keine der 21 im vergangenen Jahr in Bad Homburg Zuflucht suchenden Frauen. 10 stammten aus Hessen, 11 aus dem übrigen Deutschland. Die 35 Kinder eingerechnet bedeutet das, dass 56 Personen im vergangenen Jahr Schutz und Begleitung im Frauenhaus suchten.
Viele Frauen kommen von weit her
Die Überlegung dahinter: Frauen und Kinder mit Gewalterfahrung sollten nach Möglichkeit dem Zugriff des Täters entzogen werden und nicht bei jedem Gang nach draußen Gefahr laufen müssen, erkannt und von ihrer traumatischen Vergangenheit eingeholt zu werden. Der Abstand hat seinen Preis: Die Familien müssen neu anfangen, oft muss ein komplett neues Leben aufgebaut werden. Für die Kinder geht es in neue Schulen oder Kindergärten, fern von ihren Freunden. Für die Frauen ist der Neuanfang ein Kraftakt - emotional wie ökonomisch.
Wer ökonomisch unabhängig sei, trenne sich. Wer finanziell abhängig ist, komme ins Frauenhaus, so die bittere Bilanz von Dagmar Wacker, die dem Gremium gemeinsam mit Astrid Kehl Rede und Antwort stand und dabei zeigte, wie vielschichtig und kompliziert das Thema ist.
„Viele Familien leben lange in solchen Verhältnissen, bevor sie gehen.“ Oft stellten sie sich moralische Fragen, nach dem Motto: Lasse ich die Familie im Stich, wenn ich gehe? „Dabei wird die Abhängigkeit im Laufe der Zeit sogar noch größer“, so Wacker. Wer sich entschließt, den Schritt zu gehen, so betonte Kehl, „geht einen mutigen Schritt, vor dem man Hochachtung haben sollte.“ Im Umgang mit den Opfern häuslicher Gewalt gibt es viel zu bedenken. Denn zu den Folgen der physischen und psychischen Gewalt kommen noch weitere Faktoren - die Flucht aus der gewalttätigen Beziehung ist oft genug eine Flucht im eigentlichen Sinne - mit allen Konsequenzen. „Die Frauen lassen alles hinter sich, kommen teilweise nur mit einer kleinen Tüte an“, berichtet Wacker. Und die Unterbringung ist keineswegs komfortabel. Zwar gibt es Gemeinschaftsräume, aber: „Es ist anstrengend, die ganze Familie teilt sich ein Zimmer.“
Durch die Wohnungsnot in den Ballungsräumen ist es für die Frauen schwer, eine feste Bleibe zu finden, so dass der Aufenthalt oft länger dauert. Immerhin: Erstmals seit Jahren blieb keine Frau länger als zwölf Monate. Trotzdem mussten alleine in Bad Homburg im vergangenen Jahr 114 Hilfesuchende abgewiesen, beziehungsweise an andere Stellen verwiesen werden.
Mit der Unterbringung ist es nicht getan. Die Fachkräfte helfen bei der Bewältigung der Bürokratie, vermitteln weitere Hilfsangebote und stehen mit offenem Ohr bereit. Die angegliederte Beratungsstelle, die Anlaufstelle für Frauen und Kinder aus der Stadt und dem Kreis sein will, arbeitet ebenso niederschwellig, begleitet auch ehemalige Frauenhaus-Bewohnerinnen ein Jahr nach dem Auszug.
Vom Ausschuss gab es viel Lob für die Arbeit - und nachdenkliche Töne. „Die Gesellschaft sollte deutlich machen: Niemand muss Gewalt aushalten - weder körperliche noch seelische“, bilanzierte Okan Karasu (BLB) und nahm dabei auch die Politik in die Pflicht. Dass das Team auch über pädagogische Fachkräfte verfügt und sich um die schulpflichtigen Kinder kümmert und mit Schulen zusammenarbeitet, erfuhr Brigitte Laupus (CDU) auf Nachfrage und Dr. Simone Farys-Paulus (SPD) bat um eine Einschätzung der Angebote von Berufscoachings in der Akutphase. „Als Perspektive sind solche Angebote gut, am Anfang des Aufenthalts stehen andere Fragen im Vordergrund“, so Wacker. „Viele Frauen versuchen dann, wenn sie das Gröbste geregelt haben, nach vorne zu schauen.“ Und Kehl gab zu bedenken, dass viele Frauen aus gesundheitlichen Gründen zunächst gar nicht arbeiten könnten.