Fernweh lindern in Darmstadt

Das Weitsicht-Festival lockt am Wochenende mit vielen Vorträgen.
Bis vor ein paar Tagen „hab’ ich noch gebibbert“, sagt Jens Steingässer. Und das nicht etwa vor Kälte – der 46-Jährige hat schon in Grönland aus dem Kajak heraus Eisberge fotografiert –, sondern schlicht aus Sorge. Denn während er sich im Frühjahr noch ganz sicher war, dass er das „Weitsicht“-Festival nach dem Lockdown 2020 in diesem Jahr nicht ein zweites Mal ausfallen lassen würde, war seine Entschlossenheit angesichts steigender Corona-Inzidenzen in den zurückliegenden Wochen doch ins Wanken geraten.
Monatelang hatte er mit Unterstützung von Gesundheitsamt, dem Team im Kongresszentrum Darmstadtium und den Helferinnen und Helfern des Festivals am Hygienekonzept gefeilt. „Das passt alles, aber trotzdem war da immer die Sorge, dass es im letzten Moment gekippt werden muss“, sagt er.
Aber jetzt, kurz vor Beginn des Festivals, ist die Sorge der Vorfreude gewichen. In Steingässers Büro stehen Kartons mit Tausenden Armbändchen in verschiedenen Farben, Schnelltests, Desinfektionsmittel. Alles ist vorbereitet – „und ich wünsche mir, dass alle Beteiligten die diesjährige Weitsicht, die ja viel kompakter ist als sonst, auch genießen können“.
Festival
Am Freitag, 5. November, um 19.30 Uhr eröffnet das Kollektiv Leavinghomefunktion mit seinem Vortrag „Auf dem Landweg nach New York“ das Weitsicht-Festival 2021.
Am Samstag, 6. November, stehen vier Vorträge auf dem Programm: 10.30 Uhr: „Meine Mongolei“ von Byambasuren Davaa; 14 Uhr: „Wildes Europa – 3517 Kilometer mit Kind und Kegel“ von André Schumacher; 17 Uhr: „Heimspiel – Natur vor der Haustür“ von Bernd Römmelt (Premiere), und um 20 Uhr zeigt David Lohmüller seinen Vortrag „Irak – Eine Reise ins unbekannte Kurdistan“. Lohmüller wird für sein soziales Engagement mit dem „Weitsicht“-Preis ausgezeichnet.
Am Sonntag, 7. November, gibt es ebenfalls vier Veranstaltungen. 10.30 Uhr: „Madagaskar – Das Erbe von Lemuria“ von Katja und Josef Niedermeier; 14 Uhr: „Kuba – Die Schätze
Havannas“ von Lutz Jäkel und Dayami Grasso; 17 Uhr: „Eis und Palmen – Mit Rad und Ski über die Alpen“ von Jochen Mesle und Max Kroneck; 20 Uhr: „Pfadfinder – Abenteuer Mountainbike“ von Harald Philipp.
Für alle Vorträge gibt es noch Karten unter www.weitsicht-darmstadt.de. Einzelkarten kosten im Vorverkauf 16 Euro, an der Tageskasse 18 Euro. Tageskarten für alle vier Vorträge sind für je 58 Euro im Vorverkauf sowie für 64 Euro an der Tageskasse erhältlich.
Das Programm der Weitsicht 2022, die vom 11. bis 13. November 2022
ausgerichtet wird, liegt bereits vor.
Zur Eröffnung zeigt Markus Mauthe exklusiv seinen Vortrag „Die Welt im Blick“, für den er mehr als 20 indigene Völker auf unterschiedlichen Kontinenten besucht hat. Bestsellerautorin Christine Thürmer gehört ebenso zu den Vortragenden wie der Bergsteiger Thomas Huber.
Hygienekonzept: Für das Festival im Darmstadtium in Darmstadt gilt die
3G-Regel. Eingelassen wird, wer geimpft, genesen oder negativ getestet ist. Entsprechende Nachweise werden am Eingang kontrolliert, die Wege innerhalb des Kongresszentrums sind nach den aktuell geltenden Richtlinien angelegt. Der Vortragssaal wurde auf die doppelte Größe erweitert, sodass bis zu 700 Personen mit genügend Abstand sitzen können. An allen drei Tagen werden Getränke und kleine Speisen angeboten. boh
www.weitsicht-darmstadt.de
Da ist Resonanz, Interaktion!
Kompakter heißt, es wird nur die neun Vorträge geben: eine Eröffnungsgala am Freitagabend und dann Samstag und Sonntag jeweils vier Veranstaltungen. Die Reise- und Fotografiemesse mit rund 100 Ausstellern, die sich sonst im Kongresszentrum präsentiert haben, entfällt. „Das Gewusel war auch immer schön“, sagt Jens Steingässer, „und ich hoffe, dass wir das im nächsten Jahr wieder anbieten können. Aber dieses Jahr bin ich gespannt, wie es ist, wenn es nur um den Kern geht: die Vorträge.“
Sicher ist: „Die Vortragenden freuen sich unheimlich, endlich wieder ihre Geschichten erzählen zu können.“ Das Publikum wiederum sei gespalten. Immer wieder bekommt Steingässer E-Mails von Besucher:innen, die gerne gekommen wären, aber doch lieber auf die Weitsicht 2022 warten wollen. Aber in mindestens genauso vielen Zuschriften werde beteuert, dass die Leute sich darauf freuten, ein wenig Fernweh stillen zu können. Und auch wenn sich im Verlauf der Pandemie gezeigt habe, was online alles möglich sei, „verzichten wir bewusst auf Livestreams“, sagt Steingässer. Alle Referentinnen und Referenten werden live auf der Bühne von ihren Abenteuern berichten. „Das ist ja auch der Mehrwert. Da ist Resonanz, da ist Interaktion.“
Den Vortrag der fünf Künstler:innen des Kollektivs „Leavinghomefunktion“, die am Eröffnungsabend über ihre Motorradreise auf dem Landweg (mit wenigen Kilometern Ausnahme) von Deutschland nach New York berichten, nennt Steingässer „eine Freakshow de luxe, darauf freue ich mich sehr“. Wer lieber mit der Familie auf Abenteuerreise gehen will und das Lastenrad dem knatternden Motorrad vorzieht, dem legt Steingässer den Vortrag „Wildes Europa“ von André Schumacher ans Herz, der mit Kind und Kegel mehr als 3000 Kilometer durch Europa geradelt ist. „Ein toller Erzähler, der viele verschiedene Ebenen des Reisens miteinander verwebt.“
Neben Ländervorträgen über Madagaskar, Kuba und die Mongolei gibt es auf der „Weitsicht kompakt“ aber auch Naturwunder ganz in der Nähe zu entdecken. So hatte Bernd Römmelt, einer der bekanntesten Reisejournalisten und Vortragsredner Deutschlands, schon vor Corona ein „Heimspiel“ angekündigt. Für seinen Vortrag über die „Natur vor der Haustür“ hat er sich einen ziemlich kleinen Radius gesteckt: Was er erkundet hat, durfte nicht weiter als eine Autostunde von seiner Heimatstadt München entfernt sein. „Er hat sich mit Hingabe seiner Heimat gewidmet“, sagt Jens Steingässer, „was ja nicht nur mit Blick auf Corona sehr weitsichtig war.“