Endstation Bahnsteig

Einstieg in die Ersatzzüge ist für Menschen mit Handicap schwierig
HOCHTAUNUS - Cornelia Geis erinnert sich an ihr Erlebnis am Bahnsteig in Königstein mit einer Mischung aus Unbehagen, Bitterkeit - und Galgenhumor. „Ich muss da entweder rein- oder rausspringen. Oder meine Begleitung hätte mich auf den Arm nehmen oder reinschmeißen müssen.“
Die 67-Jährige aus Königstein ist gehbehindert und wollte nach langer Zeit mal wieder per Zug reisen. „Pech gehabt. Alleine mit Rollator komme ich da gar nicht mehr rein“, schildert sie ihr Malheur mit den Ersatzzügen der Taunusbahn. Endstation.
Das Problem: Zwischen Bahnsteigkante und dem Zug klafft eine mindestens zehn, wenn nicht gar 15 Zentimeter breite Spalte, die einen Blick auf den Schotter im Gleisbett freigibt. „Diese Spalte ist für gehbehinderte Menschen ebenso wie für ältere eigentlich unzumutbar und birgt eine enorme Verletzungsgefahr“, kritisiert Geis die Verantwortlichen.
Dabei waren nach dem misslungenen Start der neuen Wasserstoffflotte viele Pendler eigentlich froh, dass nun wenigstens Ersatzzüge die Engpässe einigermaßen kompensieren. Der Bahnbetrieb nach dem Fahrplanwechsel im Dezember verläuft auf der Frankfurt-Königsteiner-Bahnlinie RB 12 zwar immer noch nicht reibungslos. Allein: Anders als beim Desaster auf der Taunusbahn im Usinger Land stehen auf dieser Strecke zumindest ausreichend Ersatz-Triebfahrzeuge zur Verfügung, um einen gesicherten Zugverkehr nach Fahrplan von Königstein in Richtung Kelkheim und Frankfurt zu gewährleisten. Nun gibt es aber offenbar ein neues Problem bei den Ersatzzügen, das vor allem Menschen mit Handicap trifft.
Die Ursachen dafür liegen auch in der Vergangenheit: Mit der Privatisierung der Taunusbahn im Jahre 1992 wurde das Zugmodell VT2E eigens für den Taunus angeschafft und die Höhe der Bahnsteigkanten an den Bahnhöfen und Haltepunkten entlang der RMV-Linien RB 12 (Frankfurt-Königstein) sowie RB 15 (Taunusbahn im Usinger Land) auf den Ein- und Ausstieg der VT2E exakt angepasst. Dadurch, dass dieses Zugmodell aber nur im Außenbezirk einer Nebenbahn im Großraum Hamburg sowie eben im Taunus eingesetzt wurde, haben die hiesigen Bahnsteigkanten eine im Bundesgebiet ganz seltene Höhe.
RMV sieht Verbesserung
Mit dem Rückzug der Hessischen Landesbahn aus dem Zugverkehr im Taunus zum Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2022 - bekanntlich erhielt nach der neuen Ausschreibung seitens des RMV die Regionalverkehre Start Deutschland GmbH den Zuschlag - wurden gleichzeitig auch die über 35 Jahre alten Triebfahrzeuge vom Typ VT2E außer Betrieb gestellt. Das Problem: Der Ein- und Ausstieg bei den derzeit als Nachfolger eingesetzten Ersatzzügen korrespondiert wegen der seltenen und auf den Vorläufer VT2E optimierten Höhe der Bahnsteigkanten nicht mehr mit diesen.
Beim Besteller des Zugverkehrs, dem RMV, sieht man zwar das Problem, versteht aber offenbar die aktuelle Aufregung nicht so ganz. Schließlich habe der Verbund bei den Ersatzzügen sehr wohl auch an Menschen mit Handicap gedacht, wie Sprecher Maximilian Meyer betont. Der RMV sieht gar eine signifikante Verbesserung der „fahrzeugseitigen Ein- und Ausstiegssituation“. Denn bei den nun übergangsweise eingesetzten gelben Zügen vom Typ Lint gebe es eine „fahrzeugseitige Rampe zur Überwindung von Höhenunterschieden und der Spalte“, und zwar in allen Triebwagen. Meyer betont: „Es gilt zudem eine 100-prozentige Zugbegleiterquote in den Zügen. In Königstein hält der Zug sogar länger, so dass das Zugbegleitpersonal auch gerne den Rollator über den Spalt hebt oder Menschen mit Handicap anders hilft.“ RMV-Sprecher Meyer bedauert, dass „in diesem Einzelfall“ weder Zugbegleiter noch Zugführer durch den Rückspiegel die Frau mit dem Rollator am Bahnsteig bemerkt haben - obwohl der Zug in Königstein länger hält. Er sieht aber keinen Optimierungsbedarf.
Ganz so entspannt wie der RMV sieht der Sozialverband VdK die Situation von körperlich beeinträchtigten Menschen auf der Strecke der Taunusbahn nicht. Hier ist mit Blick auf die Barrierefreiheit von „großen Unzulänglichkeiten“ im Zugverkehr auf den beiden Zuglinien im Hochtaunuskreis die Rede - und zwar nicht erst seit dem Fahrplanwechsel. Der Sozialverband plant am 7. März eine Testfahrt, um sich von der Barrierefreiheit der neuen Züge zu überzeugen.