Durch das Jahr mit dem Querdenk-Offizier

Mit großer Medienresonanz begann im Mai der Prozess gegen Franco A. Jetzt quält er sich schier endlos dahin / Von Stefan Behr
Es war von Anfang an klar, dass es nicht ganz einfach werden würde mit diesem Prozess. Eigentlich sogar schon vor Prozessbeginn, als der Verteidiger des Angeklagten der versammelten Weltpresse erläuterte, eigentlich gehöre nicht sein Mandant, sondern die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel samt ihrer flüchtlingsfreundlichen Camarilla auf die Anklagebank – und genau dahin werde er sie auch rhetorisch verfrachten. Und endgültig, als der Angeklagte auf die zum Prozessauftakt übliche Frage nach dem Beruf wahrheitsgemäß mit „Offizier“ antwortete – und hinzufügte, er hoffe, er könne als solcher nach dem Prozess auch weitermachen. Damals lachten noch einige Beobachter über den Offizier, der offensichtlich den Schuss nicht gehört hatte. Heute lacht niemand mehr.
Und niemand hatte an jenem 18. Mai 2021 geahnt, dass es ein Anfang ohne Ende sein würde. Seit knapp einem Jahr läuft der Prozess gegen Franco A., seit Wochen tritt er auf der Stelle. Zu Beginn des Jahres hatte der Vorsitzende Richter des Staatsschutzsenates am Oberlandesgericht (OLG), Christoph Koller, in einem Optimismusanfall noch erklärt, man sei jetzt eigentlich mit der Beweisaufnahme durch und könne zu den Plädoyers übergehen. Mit der Wut der Verzweiflung, die vielleicht aus Angst vor der Arbeitslosigkeit resultiert, griffen A.s Anwälte daraufhin zur wohl furchtbarsten Waffe aus dem Arsenal der Strafverteidigung: dem Beweisantrag. A.s einzig wirklich verbliebener Verteidiger Moritz David Schmitt-Fricke – Kollege Johannes Hock ist bereits seit Wochen mental fahnenflüchtig – ist zwar kein Scharfschütze, aber das macht er durch Quantität mehr als wett. Die Fronten sind verkrustet, ein Ende nicht absehbar.
Bei zwei der drei Hauptanklagepunkte – Verstoß gegen das Waffengesetz und Betrug – darf man wohl davon ausgehen, dass sie hinlänglich bewiesen sind. Es steht außer Frage, dass Franco A. Waffen und Munition besessen hat, die er nicht hätte besitzen dürfen. Einiges davon hatte er wohl aus Beständen der Bundeswehr geklaut – was auch eine Verurteilung wegen Diebstahls recht wahrscheinlich macht – und sie etwa in Muttis Keller, bei Freunden oder in der Umkleide seines Rudervereins versteckt. Genauere Angaben macht A. dazu nicht, ist auch nicht nötig, da bei Durchsuchungen schon genug gefunden worden war.
Auch am Betrug kann es keinen Zweifel geben. Franco A. hatte als angeblich syrischer Flüchtling David Benjamin zu Unrecht Geld vom Staat kassiert. Doch das war mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht sein Motiv. Er sagt, er habe zeigen wollen, was in der Flüchtlingspolitik seiner Meinung nach alles schiefgelaufen sei. Eines muss man ihm lassen: Das ist ihm irgendwie gelungen. Allein die Ton- und Bildaufzeichnungen, die A. von seinen Auftritten bei Amt gemacht hatte, sind von bizarrer Komik sowie Dokumente tragischen Scheiterns. Da ist der Termin, an dem der deutsche Offizier Franco A. von einem ebenso deutschen Amtmann über seine Fluchtgründe aus Syrien befragt wird – auf Französisch, weil der angebliche Damaszener weder Arabisch noch Surayt spricht, was aber keinen zu wundern scheint. Franco A. spricht, was aber keiner weiß, Deutsch und Französisch fließend, der Amtmann immerhin Deutsch, die Dolmetscherin keine der beiden Sprachen. Warum er aus Syrien geflohen sei, was der dort fürchte, will der Amtmann wissen. Dazu fällt selbst Franco A. nichts ein. „La mort?“, souffliert ihm die Dolmetscherin, die froh ist, mal ein Wort auf Französisch zu kennen. „Oui, la mort“, ist A. einverstanden.
Die Zustände in der damaligen Flüchtlingsaufnahme präsentieren sich in Zeugenaussagen als hanebüchen. Alle waren nach eigenen Angaben hoffnungslos überfordert, und was Syrer und solche, die es werden wollten, erzählt hätten, habe eh niemanden interessiert, weil die sowieso nicht hätten abgewiesen werden dürfen – egal wie glaubwürdig syrisch sie gewesen seien. Irgendwann hält es Richter Koller nicht mehr aus und fragt einen damaligen Entscheider: „Wenn ich jetzt gekommen wäre und gesagt hätte: ,Ich bin auf dem Mars geboren, auf dem Mond aufgewachsen, aber komme gerade aus Syrien‘ – hätte ich einen subsidiären Schutzstatus bekommen?“ Der Zeuge bejaht das.
Franco A. hat also betrogen. Man hat es ihm leicht gemacht. Franco A. hat Missstände aufgezeigt. Was man anders oder gar besser hätte machen können, das hat er nicht aufgezeigt.
Es bleibt die Frage, ob A. einen Terrorakt geplant hat. Es gibt Indizien, die das nahelegen. Listen, die der Angeklagte geführt hat, mit so illustren Namen wie dem des damaligen Außenministers Heiko Maas (SPD), deren Sinn nicht ganz klar ist, aber auf denen man nicht draufstehen möchte. Es gibt die gebunkerten Waffen. Es gibt krude, verschwörungstheoretisch gesättigte Umsturzfantasien des Angeklagten und seine am rechten Rand mäandernde Gesinnung. Es gibt verstörende Selfies, die A. etwa mit der Grünen-Politikerin Claudia Roth zeigen. Und die bedenkliche Tatsache, dass A. auf die Menschenrechtsaktivistin Anetta Kahane in deren Tiefgarage gewartet hat, eigenen Angaben nach, um sie vollzuquasseln.
Was das anbelangt, scheint A. allerdings tatsächlich keine Schmerzgrenzen zu kennen. Politiker:innen sämtlicher Couleur im Reichstag, Schamanen, Druiden, Waffenhändler, Reptiloiden-Sachbuchautoren, russische Nationalist:innen – Franco A. hat bei allen schon mal unangemeldet vorbeigeschaut, um über Gott und die größtenteils zionistische Weltverschwörung zu reden. Er habe keinerlei Berührungsängste, betont er immer wieder, er sei kein Rechter und kein Linker, er sei nach allen Seiten offen. Wer aber nach allen Seiten offen ist, so vermutet der Volksmund, ist nicht mehr ganz dicht.
Tatsächlich drängt sich dieser Eindruck mitunter auf. Vor einigen Wochen, in der damals vermuteten Endphase des Prozesses, reiste A., der sich seit November 2017 auf freiem Fuß, aber unter Beobachtung befand, nach Straßburg, um dort bei einem Kameraden deponierte Nazi-Orden abzuholen. Seitdem sitzt er wieder in U-Haft. Der Nazi-Nippes aber hat mit dem Prozess nicht viel zu tun und stellt bloß eine weitere Straftat dar. Man kann diese Aktion wohlwollend als sinnlos bezeichnen. „Wir fragen uns: Warum machen Sie so etwas, so kurz vor dem Ende der Hauptverhandlung?“, hatte Richter Koller am jüngsten Verhandlungstag gesagt. „Es wäre doch vernünftiger gewesen, das alles aus dem Zugfenster zu schmeißen.“ Und begründet noch einmal den erneuten Haftbefehl: „Wir glauben, dass Sie auch andere Beweisstücke gebunkert haben. Hätten Sie als Nächstes die Waffen geholt, wenn wir den Haftbefehl nicht erlassen hätten?“ Der Haftbefehl ist ein Indiz, dass der Senat zumindest nicht von A.s Unschuld überzeugt ist, was den Terroranschlag angeht.
Dabei war es anfangs genau dieser Anklagepunkt, der den Staatsschutzsenat dazu bewogen hatte, das Verfahren an das Landgericht Darmstadt zu verweisen. Nach damaliger Ansicht des Senats lag kein ausreichender Verdacht für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vor, weshalb das OLG sich nicht als zuständig ansah. Gegen diesen Beschluss hatte die Bundesanwaltschaft Beschwerde eingelegt, der Bundesgerichtshof hob den Senatsbeschluss im August 2019 auf und ließ dem OLG keine andere Wahl, als den ungewollten Prozess zu führen.
Und das Gericht hat die Hoffnung auch noch nicht begraben, den Prozess zu einem Ende bringen, der Himmel weiß wann. Franco A. und sein Verteidiger haben in den vergangenen Wochen so verbissen wie vergeblich versucht, das Bild des Angeklagten aufzuhübschen. Und A. als Menschen hinzustellen, der alles hinterfragt und vieles akzeptiert. Wer aber etwa der notorischen Holocaust-Leugnerin bescheinigt, sie habe halt eine „alternative Meinung“ zur Geschichte, dem ist in dieser Hinsicht nicht mehr zu helfen.
Die beunruhigendste Erkenntnis dieses Prozesses ist bislang, dass man sich als Beobachter fragen muss, was eigentlich in der Bundeswehr schiefläuft. Etliche Kameraden A.s machten im Zeugenstand deutlich, dass „alternative Meinungen“ dort häufiger vertreten werden, als einem lieb sein kann. Echsenmenschen, Zionisten, Globalisten, Finanzelite – die Feindbilder scheinen so vielfältig wie wirr. Franco A.s 2014 verfasste Masterarbeit mit dem Titel „Politischer Wandel und Subversionsstrategie“ ist ein antisemitisches Pamphlet, das ein Gutachter noch wohlwollend als „völkisch-nationalistischen, rassistischen Appell auf pseudowissenschaftlicher Grundlage“ beschrieb, der einen „geheimen Rassenkrieg gegen die westliche Welt“ herbeifantasiere. A.s Bundeswehrkarriere schadete sie nicht. Und einer der wenigen alten Kameraden A.s, der vor Gericht einen geistig gesunden Eindruck machte – ein Offizier mit Migrationshintergrund –, sagte aus, dass ihn A.s oft auch öffentlich geäußerter Unfug mehrfach dazu veranlasst habe, Vorgesetzte darüber zu informieren. Deren Reaktion habe stets zwischen Desinteresse und Verärgerung geschwankt, so dass er es schließlich aufgegeben habe. „Alternative Meinungen“ seien in der Bundeswehr leider öfters zu hören.
Mitunter kam einem da der Traum des noch sehr jungen Franco A., einmal Soldat zu werden, sich an die Spitze der Bundeswehr hochzuarbeiten und dann mit einem Putsch dieses Land zu retten, gar nicht mehr so schräg vor.
Am 2. Mai wird weiterverhandelt. Ob da ein wesentlicher Schritt Richtung Prozessende gemacht wird, darf getrost bezweifelt werden.
