Die schwierige Preisfrage

Wetterau - Die Großmarktpreise für Gas und Strom sind gesunken. Doch profitieren die Verbraucher jetzt schon davon? Die Stadtwerke Gießen senken zum 1. Mai die Strompreise für die meisten Kunden. Und in der Wetterau? Was machen Ovag und Stadtwerke Bad Nauheim?
Vor rund einem Jahr ist die Begründung dieselbe gewesen, nur dass es damals um steigende Energiepreise gegangen ist und heute um sinkende geht. Infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine wurde der Energiemarkt durcheinandergewirbelt. Im März 2022 verwies Annette Wetekam, Pressesprecherin der Stadtwerke Bad Nauheim, auf die positive Wirkung der Einkaufsstrategie: „Als regionaler Grundversorger haben die Stadtwerke Bad Nauheim mit ihren Vorlieferanten langfristige Verträge geschlossen, sodass unsere Kundinnen und Kunden von der aktuell anhaltenden Preisexplosion am Energiemarkt so gut wie gar nicht betroffen sind.“
Nun, da die Großmarktpreise sinken, klingt das, was Christian Reitz, stellvertretender Leiter Beschaffung und Vertrieb bei den Stadtwerken, sagt, ähnlich: „Die aktuellen Preisschwankungen am Großmarkt wirken sich für unsere Kunden immer zeitverzögert aus, sowohl bei steigenden Großmarktpreisen, wie 2022 geschehen, als auch bei sinkenden Preisen, wie es aktuell der Fall ist.“ Die kontinuierliche Einkaufsstrategie - Reitz spricht von einer zwei- bis dreijährigen Planung - habe Vorteile: „Im Jahr 2022 waren wir deutschlandweit trotz der hohen Großmarktpreise einer der günstigsten Stromanbieter, da wir den Wegfall der EEG-Umlage und unsere guten Einkaufspreise in vollem Umfang an unsere Kunden weitergegeben haben. Beim Erdgas liegen wir mit allen Tarifen unter der Gaspreis-Bremse und sind somit absolut wettbewerbsfähig.“
Ähnlich klingt es beim in Friedberg ansässigen Energieversorger Ovag. Pressesprecher Michel Kaufmann: „Die Ovag verfolgte und verfolgt grundsätzlich weiterhin eine langfristige Einkaufspolitik, die etwa dazu führte, dass Preissteigerungen vom vergangenen Jahr erst zu Beginn dieses Jahres und somit sowohl deutlich verzögert, als auch - im Vergleich zu den Preisspitzen im Großhandel - abgemildert an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden mussten.“ Entsprechend könne sich auch ein gefallener Großhandelspreis nicht sofort auf den Arbeitspreis in den Ovag-Tarifen durchschlagen.
TARIFPLANUNG
Als Energieversorger hat man es in den vergangenen Monaten nicht leicht gehabt. Die Gasbeschaffungsumlage wurde beschlossen und wieder gestrichen, die Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf 7 Prozent gesenkt, der Dezemberabschlag beim Gas fiel weg, Preisbremsen für Gas und Strom wurden eingeführt.
„Die Tarifplanung ist nicht allein von den Großhandelspreisen abhängig, es kommen Kosten für Vertrieb, Netzentgelte sowie Steuern, Abgaben und Umlagen hinzu“, erläutert Michel Kaufmann (Ovag). „Selbst die einfach klingende Umsetzung von gesetzlichen Anforderungen verursacht Kosten, da Abrechnungssysteme zunächst umfangreich ertüchtigt werden müssen. Aktuell beispielsweise, um die Vorgaben der Energiepreisbremsen gesetzeskonform durchführen zu können.“
Die Übertragung der Preisbremsen auf die verschiedenen Vertragsarten, die Berücksichtigung von Sonderfällen wie Umzüge oder Kundenverluste, aber auch die unterschiedlichen Regelungen für Strom und Gas führen laut Kaufmann zu einem komplexen Programmierungsaufwand.
Weitere Faktoren machen die Arbeit kompliziert: Infolge der Krisen sei die Absatzmengenplanung schwieriger geworden, so Christian Reitz (Stadtwerke Bad Nauheim), „da die Kunden ihren Versorger schneller wechseln und sich zudem ihr Energieverbrauchsverhalten verändert hat“. agl
Die Ovag beschaffe Strom und Gas in Tranchen über zwei Jahre gestreckt. So ergebe sich insgesamt eine Glättung, erklärt Kaufmann. „Preisspitzen werden vermieden, und wir können unseren Kunden Preisgarantien aussprechen, die über eine Kurzfristbeschaffung nicht möglich wären.“ Kunden vor extremen Preisschwankungen zu schützen, ist ein Argument, das auch die Stadtwerke für ihre Beschaffungsstrategie ins Felde führen. Dies ist bei rasant steigenden Großmarktpreisen von Vorteil, andersherum kommt der Sinkflug nicht sofort beim Endverbraucher an.
Wobei das Wort Sinkflug mit Vorsicht zu genießen ist, schließlich lägen die Gas- und Strompreise an den Groß- und Terminmärkten noch dreimal höher als beispielsweise im Januar 2021, gibt Reitz zu bedenken. Und: Auch die Stadtwerke seien im vergangenen Jahr nicht drum herum gekommen, einen Teil der Energie zu hohen Preisen zuzukaufen, um die Versorgung abzusichern. „Schließlich hätten die Energiepreise auch noch weiter steigen können. Aus diesem Grund kann es auch bei einer kurzfristigen Erholung am Markt nicht sofort Preissenkungen geben. Unsere Kunden können sich aber sicher sein: Wir versorgen die Menschen so günstig wie möglich und geben Einkaufsvorteile sobald es geht weiter“, unterstreicht Reitz.
Ist nun mit ruhigeren Fahrwassern auf dem Energiemarkt zu rechnen? „Dies ist der Blick in die Glaskugel. Aktuell scheinen die Verfügbarkeiten in Strom und Gas auszureichen. Insgesamt bewerten wir die Gesamtsituation optimistischer als noch vor einem halben Jahr“, antwortet Christian Reitz von den Stadtwerken.
Michel Kaufmann von der Ovag warnt vor zu großer Euphorie: Die Verbraucher müssten sich allgemein auf langfristig höhere Energiepreise einstellen, als sie es noch bis vor eineinhalb Jahren über fast ein Jahrzehnt lang gewohnt gewesen seien. „Auch die höheren Anforderungen an den Netzbetrieb infolge der vielen dezentralen Erzeugungsanlagen spielen eine Rolle und kosten zusätzliches Geld, mit Auswirkung auf die Netzentgelte. Diese sind ein wesentlicher Bestandteil der Energiepreise.“