1. Startseite
  2. Rhein-Main

„Die aktuelle Revolution wird nicht sterben“

Erstellt:

Von: Gregor Haschnik

Kommentare

Rund 600 Menschen demonstrieren auf dem Römerberg gegen das Mullah-Regime im Iran.
Rund 600 Menschen demonstrieren auf dem Römerberg gegen das Mullah-Regime im Iran. © Rolf Oeser

Eine Iran-Expertin über die Situation vor Ort, in der Community im Rhein-Main-Gebiet sowie den langen Arm des Regimes.

Sie ist eine mutige Frau, die schon oft gegen Unrecht und Unterdrückung ihre Stimme erhoben hat. Weil der Arm des iranischen Regimes bis nach Hessen reicht und sie unter verstärkter Beobachtung stehen könnte, haben wir unsere Interviewpartnerin anonymisiert und einige Aussagen allgemein gehalten. Ihr Name ist auch nicht so wichtig, sondern ihr intensiver Kontakt zu vielen Menschen im Iran und zur Community in Deutschland und der Region Frankfurt/Rhein-Main.

Sie haben den Iran vor einigen Jahren verlassen. Weshalb?

Ein wesentlicher Grund war mein Beruf. Ich habe dabei Dinge herausgefunden, die dem Mullah-Regime alles andere als gefallen haben dürften und nicht zu dessen Propaganda passten. Über solche Erkenntnisse zu diskutieren und sie zu veröffentlichen, war so gut wie unmöglich. Die Hürden waren praktisch unüberwindbar und die Gefahren, die damit zusammenhingen, riesig. Ich konnte nicht bleiben und hielt es in dieser Diktatur irgendwann auch nicht mehr aus.

Wie schätzen Sie die Situation im Iran ein?

Die aktuelle Revolution wird nicht sterben. Sie zeigt sich mal mehr, mal weniger deutlich, schreitet mal schneller, mal langsamer voran. Aber sie geht weiter. Die Lage ist jetzt anders als bei den sogenannten Unruhen in den Jahren 2017 bis 2018, denn der ganz überwiegende Teil der Gesellschaft hat ein großes Selbstbewusstsein entwickelt und ist in Bewegung gekommen. Die Menschen haben erkannt, dass sie nicht so weiterleben können.

Es gibt die Befürchtung, dass die Machthaber und ihr Apparat die Bewegung aufhalten. Sind die angestrebten großen Veränderungen trotz der Gewalt, trotz der Hinrichtungen möglich?

Trotz allem. Das hat bereits der Beginn der Proteste angedeutet. Der durch Gewalt der Sittenpolizei herbeigeführte Tod von Jina Mahsa Amini, deren Haar nicht ganz bedeckt war, hatte sie ja im Herbst 2022 ausgelöst. Mir ist ein Fall bekannt, bei dem eine Frau in Europa gegen das Regime demonstriert hat und Spitzeln aufgefallen ist. Nach ihrer Rückkehr in den Iran wurde sie verhaftet und gefoltert. Auch ich habe manchmal Angst. Was passiert, wenn ich mein Heimatland besuche? Doch es bleibt dabei: Nach mehr als 40 Jahren stehen wir an einem Wendepunkt.

Was spricht aus Ihrer Sicht dafür?

Davon bin ich nach vielen Gesprächen mit Freund:innen und Bekannten vor Ort sowie durch die Beobachtung der Proteste im Ausland, etwa in Hessen, überzeugt. Vor allem die junge Bevölkerung im Iran will Demokratie und keinen religiösen Faschismus und ist bereit, den Weg bis zum Ende zu gehen. Frauen sind die treibende Kraft – und werden oft von ihren Männern unterstützt. Sie haben es satt, in ständiger Angst zu leben, weil ihre Kleidung oder ihr Auftreten der Sittenpolizei ein Dorn im Auge sein kann.

Was beschäftigt die iranische Community in Hessen besonders?

Das hängt immer von der persönlichen Situation ab. Geflüchtete wie ich, die noch nicht so lange in Deutschland sind, befürchten vor allem, früher oder später in den Iran abgeschoben zu werden.

In den vergangenen Monaten soll es zumindest in Hessen keine solchen Fälle gegeben haben.

Ja, allerdings braucht es auf Dauer einen Stopp bei Abschiebungen, weil Regimekritiker:innen wie uns im Iran noch längere Zeit Repressalien und Gewalt drohen werden. In Deutschland und Hessen sind wir jedoch auch nicht immer sicher.

Weshalb?

Die Botschaften und Konsulate sind der verlängerte Arm des Regimes, zudem religiöse Einrichtungen wie das Zentrum für islamische Kultur (Anmerkung der Redaktion: Die Einrichtungen weisen dies zurück.). Wer beispielsweise wegen seines Passes zum Konsulat muss, kann davon ausgehen, dass er überprüft und beobachtet wird. Ein größerer Teil der Beamt:innen erledigt nicht einfach Verwaltungsaufgaben. Sie haben eine andere Mission, sind vor allem hier, um zu spitzeln, zu manipulieren und dazu beizutragen, die Macht des Regimes aufrechtzuerhalten – was nicht sein darf. Hier sind auch das Land Hessen und der Bund gefordert.

Dennoch demonstrieren in Frankfurt und anderen hessischen Städten regelmäßig viele Menschen.

Das ist wichtig und freut mich, ich bin häufig dabei. Auch und vor allem im Rhein-Main-Gebiet ist die Community, die die Revolution unterstützt, stark. Die Aktionen sind notwendig, um Solidarität zu zeigen und Druck zu erzeugen. Doch das reicht nicht.

Was ist Ihrer Meinung nach noch notwendig?

Deutschland hat eine wichtige Rolle in der Welt. Statt dazu beizutragen, den Eindruck zu erwecken, das Regime wäre eine legitime Regierung, muss die Politik auf allen Ebenen Druck ausüben, wirtschaftlich, aber zum Beispiel auch durch die Ausweisung von Diplomat:innen. Gleichzeitig sollten die Politiker:innen den Protestierenden zuhören, die Opposition unterstützen – und sich an der Vision, wie ein anderer Iran aussehen könnte, beteiligen.

Interview: Gregor Haschnik

Auch interessant

Kommentare