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„Das soll Liebe sein?“

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Ausstellung beleuchtet Tabu-Thema Häusliche Gewalt

hochtaunus - Lass uns nächste Woche nach Griechenland fliegen, es ist schon alles gebucht“, sagt er zu seiner Freundin. Eine ganz besondere Überraschung hat er sich da überlegt. Die beiden wollten schon lange eine Reise machen. Aber im Gesicht seiner Freundin zeichnet sich keine Freude ab. „Das geht leider nicht“, sagt sie. „Ich muss doch arbeiten.“ Er wird wütend. Das hatte er sich anders vorgestellt. So eine romantische Geste, und ihre Reaktion lässt wirklich zu wünschen übrig. Er kann es nicht fassen. „Was ist mit uns?“, fragt er seine Freundin. „Aber...“, setzt sie an, bevor er sie wieder unterbricht.

Mit diesem anscheinend harmlosen Dialog mit ihrem damaligen Partner fing Rosalind Penfolds Martyrium an. Die Autorin zeichnete einen Comic darüber. Irgendwann erkannte sie, dass in dieser Szene schon Anzeichen häuslicher Gewalt erkennbar sind. Doch wo ist die Gewalt? Schließlich wurde Penfold nicht geschlagen. Es ist aber eine Form von psychischer Gewalt. Ihr Partner nahm ihre Arbeit nicht ernst und übte Druck aus. Für diese subtilen Anzeichen will die Wanderausstellung „Und das soll Liebe sein...?“, die auf dem Buch von Penfold basiert, sensibilisieren. Die Ausstellung wird zwischen dem 4. und 13. Mai in der Bad Homburger Stadtbibliothek und zwischen dem 15. und 25. Mai im Foyer der Stadthalle in Kronberg zu sehen sein.

In der Stadtbibliothek haben sich zur Eröffnungsveranstaltung viele Frauen und wenige Männer eingefunden. „Das ist oft so“, sagt Elke Engmann, die in der Leitstelle für Frauen, Senioren, Behinderte und Krankenhilfe des Hochtaunuskreises tätig ist und sich im „Hochtaunuskreis Interventionsprojekt gegen häusliche Gewalt“ (HIP) engagiert. Das ist ein Arbeitskreis, der verschiedene Institutionen miteinander vernetzt, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzen. Unter den Vertreterinnen und Vertretern von HIP ist auch die Sozialdezernentin des Kreises, Katrin Hechler (SPD). Die Stadtbibliothek sei aus zweierlei Gründen ein guter Ort; Hechler nennt in ihrer Rede einen: „Man muss einfach immer wieder zeigen, dass es Hilfe gibt und wo sie zu finden ist“, sagt die Dezernentin. Den zweiten Grund führt Engmann an: „Das ganze Thema ist einfach schambehaftet. Die Betroffenen können sich hier gut zwischen den Bücherregalen zurückziehen, wenn es ihnen zu viel wird.“ Scham war auch ein Grund für die Autorin, in ihrer gewalttätigen Beziehung zu bleiben. Rosalind Penfold verbrachte zehn Jahre mit einem gewalttätigen Partner. In dieser Zeit schrieb sie Tagebuch und fertigte unzählige Zeichnungen über das Erlebte an, die sie dann Jahre später in einem Comicbuch veröffentlichte. Damit wollte sie anderen helfen, Warnsignale häuslicher Gewalt schneller zu erkennen. Bei der Wanderausstellung können die Besucherinnen und Besucher anhand 15 Roll-ups Schritt für Schritt erkennen, dass Gewalt nicht nur körperlicher Natur sein muss. „Gewalt kann auch sozialer Natur sein oder psychischer“, sagt Dagmar Wacker vom Awo Frauenhaus „Lotte Lemke“.

Auf den Roll-ups wird deutlich, wie subtil die ersten Warnsignale sind: „Jetzt zählen nur noch wir“, heißt es in einem Comic. So romantisch der Satz etwa in Filmen klingt, so gefährlich kann er sein: „Für Betroffene von häuslicher Gewalt bedeutet ,Jetzt zählen nur noch wir’, dass sie Stück für Stück von ihren Freunden oder ihrer Familie separiert werden, bis sie nur noch ihren Partner haben“, sagt Anka Körneke. Sie arbeitet in der Beratungs- und Interventionsstelle Frauen helfen Frauen Hochtaunuskreis. „Die Zahlen sprechen für sich. 2021 sind 113 Frauen Opfer eines Femizides geworden. Das ist an jedem dritten Tag“, sagt Körneke.

„Die Ausstellung soll zum Nachdenken anregen.“ Partnerschaftsgewalt beginnt häufig schleichend, mit oft fast unmerklichen Kleinigkeiten. „Die ersten Signale werden übersehen, sowohl von den Betroffenen selbst als auch von ihrem Umfeld“, sagt Sebastian Göbel. Er ist bei der Männerberatung und in der Täterinnen- und Täterarbeit bei häuslicher Gewalt tätig. „Grenzübertritte sind bei jungen Frauen regelmäßig an der Tagesordnung. Wie sollen sie da ihre Grenzen kennen?“, fragt Dagmar Wacker. Wichtig sei es aber, sich einmal zu verdeutlichen, dass nicht alles, was als „romantisch“ verkauft wird, das auch wirklich ist.

Früh auf das eigene Bauchgefühl hören

Aber warum ist es so schwer, die Warnsignale zu erkennen? Wacker merkt an, dass zwischen den gewalttätigen Episoden, oft eine harmonische Phase läge. „Das nährt die Hoffnung, dass sich da etwas zum Guten wendet.“ Penfold fasst es in ihrem Comic zusammen: „Küsse und Tritte und Küsse und Tritte“. Scham hielt auch sie lange in ihrer Beziehung, Und das Gefühl, dass sie stark genug wäre, es auszuhalten.

„Die Betroffenen verlieren irgendwann den Bezug zu sich selbst“, bringt es Göbel auf den Punkt. Deswegen sei ein frühes Erkennen so wichtig. „Das ist nämlich der Moment, wo ein Aussteigen aus der Partnerschaft noch vergleichsweise leicht ist.“

Auch im Taunus ist das Thema präsent. Die Polizeidirektion Hochtaunus hat im Jahr 2022 insgesamt 332 Fälle von häuslicher Gewalt erfasst. „Und das sind nur die Fälle, wo die Polizei da war“, sagt Dagmar Wacker. Häusliche Gewalt gebe es in jeder Schicht.

„Und eines darf niemals verwechselt werden“, sagt Anka Körneke am Ende ihrer Rede: „Intensität ist nicht Intimität.“

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