- 0 Kommentare
- Weitere
Das Jahr in Hessen
Die Corona-Pandemie beherrscht das Bundesland
- vonGeorg Leppertschließen
Das Jahr in Hessen - von April bis Juni: Sorgen um Corona-Infektionen prägen den Alltag. Über die Rückkehr der Kinder an die Schulen gibt es emotionale Diskussionen.
Für Bodo Weissenborn hat die Corona-Krise immerhin etwas Positives. Der Fotograf, der unter anderem für die „Hessenschau“ arbeitet, schießt am 14. April im Uniklinikum Gießen vielleicht das Foto seines Lebens. Dabei wäre das Motiv zu anderen Zeiten nicht ungewöhnlich. Viele Menschen drängen sich in einem Aufzug. Doch unter den Herrschaften, die dicht an dicht zusammenstehen, sind Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier und Kanzleramtsminister Helge Braun (alle CDU) – also genau die Politiker, die in diesen Tagen die Bevölkerung wieder und wieder dazu aufrufen, unbedingt Abstand zu halten, um Infektionen mit dem Coronavirus zu verhindern. Die Staatskanzlei zeigt sich noch am Tag der Aufnahme reumütig, und der Deutsche Journalistenverband Hessen-Thüringen kürt Weissenborns Bild im Dezember zum Pressefoto des Jahres.
Dass es zum „Fahrstuhlgate“ kommen konnte, ist umso erstaunlicher, da die Menschen Mitte April eigentlich längst an die neuen Regeln hätten gewöhnt sein sollen. Wie alle Bundesländer ist Hessen am 13. März in den Lockdown gegangen. Restaurants, Geschäfte, Freizeiteinrichtungen und auch Schulen und Kindertagesstätten schließen.
Im April gewinnt dann die Debatte über Lockerungen an Fahrt. Nach und nach werden die Beschränkungen zurückgefahren. Als Erstes dürfen die Spielplätze wieder öffnen. Der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) und Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Grüne) begehen den Termin medienwirksam. Doch als Heilig und Feldmann die Absperrungen im Holzhausenpark durchschneiden wollen, toben hinter ihnen schon längst wieder Kinder. Das sei eben die spezielle Frankfurter Art, sagt Feldmann lakonisch.
„Hygienekonzept“ wird das Wort dieses Frühjahres. Geschäfte und Restaurants dürfen mit eben so einem Konzept wieder öffnen. Das heißt vor allem, dass sie weniger Kundschaft und weniger Gäste bedienen dürfen als vor der Pandemie. In den Gaststätten liegen zudem Zettel aus, auf denen die Besucherinnen und Besucher ihre Kontaktdaten eintragen sollen. Manch einer macht sich einen fragwürdigen Spaß daraus und nennt sich auf dem Bogen „Lucky Luke“ oder „Papst Johannes Paul II.“
Diskussionen gibt es vor allem über die Wiedereröffnung der Schulen. Die Kultusminister:innen, auch Alexander Lorz (CDU) aus Hessen, streben den Regelbetrieb an. Dabei ist klar, dass sich in einem vollbesetzten Klassenraum der Abstand von 1,50 Meter unmöglich einhalten lässt. Zusätzlich erschwert wird die Debatte von teils widersprüchlichen Studienergebnissen zur Frage, wie ansteckend Kinder eigentlich sind. Zwei Wochen nach den Osterferien sollen jedenfalls zuerst die Viertklässler:innen in die Schule zurückkehren. Doch daraus wird nichts. Die Eltern eines Kindes klagen und bekommen recht.
Zwei Wochen später beginnt dann der Wechselunterricht für alle Klassenstufen. Und vom 22. Juni an gilt an den Grundschulen wieder die Präsenzpflicht für alle Kinder. Die zwei Wochen bis zu den Sommerferien sollen für diesen Test genutzt werden. Die Grundschullehrerinnen und -lehrer protestieren, weil sie sich als Versuchskaninchen sehen – vergebens. Immerhin kommt es in den zwei Wochen zu keinen größeren Ausbrüchen an den Schulen.
Hessen beschließt „Sondervermögen“
Derweil beschäftigt sich die Politik mit den wirtschaftlichen Folgen der Krise. Diese sind dramatisch. Michael Boddenberg (CDU), der auf den verstorbenen Thomas Schäfer als Finanzminister gefolgt ist, beziffert den Steuerausfall am 20. Mai auf drei Milliarden Euro – Tendenz stark steigend.
Besonders problematisch sind die fehlenden Einnahmen für die Kommunen. Dort müssten Leistungen in großem Umfang gestrichen werden – wenn es keine Unterstützung vom Land gibt. Um diese zu gewährleisten, beschließt Wiesbaden schließlich, ein „Sondervermögen“ in astronomischer Höhe einzurichten. Es geht um zwölf Milliarden Euro. Dafür verabschiedet sich das Land von der Idee der Schuldenbremse.
Nötig wäre dafür nach Ansicht der Opposition eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Doch Schwarz-Grün im Landtag setzt das „Sondervermögen“ mit einfacher Mehrheit durch. Die Opposition ist empört. SPD-Fraktionschefin Nancy Faeser spricht von „Machtpolitik mit der Brechstange“.