Die Zuschauer sitzen mittendrin (mit Fotostrecke)

Die Produktion vereint Musiker, Schauspieler, Tänzer, angehende Architekten sowie High-Tech-Ingenieure. Auch das Publikum soll aktiv werden. Organismus Darmstadt" ist Teil des Architektursommer-Programms. Von Astrid Ludwig
Von ASTRID LUDWIG
Die Silhouette der Stadt Darmstadt flimmert über die Leinwand. Marschierende Truppen schieben sich ins Bild, Farbe so rot wie Blut fließt darüber. Flammen züngeln, Musik und Schreie sind zu hören. Schwarze Schattengestalten hasten vor und zurück. Der zweite Weltkrieg, die Brandnacht und der Wiederaufbau Darmstadts ziehen als geschichtliche und architektonische Reise im Zeitraffer über die Bühne des Kammerspiels. Studenten der Technischen Universität, der Hochschule Darmstadt, der Akademie für Tonkunst, Mitarbeiter des Fraunhofer-Institutes, Künstler des Theaters Transit und des Staatstheaters arbeiten seit Monaten an einer interaktiven Show mit Namen "Organismus Darmstadt".
Eine einzigartige Kooperation von Wissenschaft und Kunst, die am Freitag, 10. Oktober, im Staatstheater Premiere hat. Die Gemeinschaftsproduktion vereint Musiker, Schauspieler, Tänzer, angehende Architekten sowie High-Tech-Ingenieure und auch das Publikum soll aktiv mitwirken. "Organismus Darmstadt" ist Teil des Architektursommer-Programms.
Besucher bauen mit
Drei Leinwände stehen auf der Ebene vor den steilen Sitzreihen des Kammerspiels. Darauf laufen sind Videosequenzen und Standbilder zu sehen. Die Tänzer und Schauspieler des Theaters Transit agieren dahinter als Schattengestalten. "Ihr müsst langsamer und präziser spielen", mahnt Regisseurin Nicole Amsbeck. Die Zuschauer werden mitten im Geschehen auf kleinen Hockern sitzen, ein 25köpfiges Musikerensemble im Rücken.
"Wir simulieren mit unserem Spiel, Bildern und Musik die Stadt und die Zuschauer können sich beteiligen. Sie können Gebäude versetzen und selbst die Stadt wiederaufbauen", erklärt Pedro Aibeo, Architekturstudent der TUD. Das Stück, das eigentlich keine klare Handlung hat, will Spiegel der Gesellschaft sein, der Architektur und auch einen kritischen Blick auf die Städteplanung werfen.
Die Proben dafür laufen seit einem dreiviertel Jahr. Den Machern geht es um Vernetzung - nicht nur der verschiedenen Sicht- und Denkweisen von Künstlern und Wissenschaftlern, sondern auch der beteiligten Institutionen. Fraunhofer-Ingenieure arbeiten plötzlich in der Kulturszene und Künstler müssen sich mit hochkomplexer Technik und virtueller Realität befassen.
"Das Projekt führt ganz unterschiedliche Menschen und Sprachen zusammen", sagt Rolf Kruse, Vertretungsprofessor an der Hochschule Darmstadt im Fachbereich Media. Er findet es "extrem ehrgeizig".
Ein Experimentierfeld ist "Organismus Darmstadt" auch für die Schauspieler. "Wir arbeiten selten mit bewegten Bildern, denn eigentlich sind wir sonst das Bild", so Marielle Hennrich vom Theater Transit. Ungewohnt wird es sicher ebenso fürs Publikum. "Couchsitzen und berieseln lassen, das wollen wir nicht", lacht Regisseurin Amsbeck.
Spannend findet das Projekt auch Susanne Banhidai vom Staatstheater. "Das Kammerspiel ist der Platz für zeitgenössisches Sprechtheater und Experimente", sagt sie, "aber vor dieser Koordination ziehe ich den Hut". Für sie ist die Gemeinschaftsproduktion "einmalig" und sie hofft, dass sich davon ein Publikum angesprochen fühlt, das "sonst vielleicht nicht ins Staatstheater kommt".
Organismus Darmstadt, Staatstheater, Freitag, 10. Oktober, 20 Uhr, Premiere, Aufführungen Samstag, 20 Uhr, Sonntag, 18 Uhr. Tickets: 06151/ 2811600