Als Rentner noch mal richtig durchstarten

Der Philosoph Dieter Heymann hält Vorträge über das Altwerden als Chance.
Kann man fröhlich altern? Ja, sagt Dieter Heymann. Der Darmstädter ist mit 58 Jahren aus seinem Beruf ausgestiegen. Das sei keine einfache Entscheidung gewesen, sagt der zweifache Familienvater. „Ich sehnte mich danach, etwas anderes, nicht Materielles, sondern Geistiges zu machen.“ Zuvor leitete er 33 Jahre lang erfolgreich das familieneigenen Unternehmen Darmstädter Bettenhaus in der vierten Generation.
Doch was tun? Weder Reisen noch Häuslebauen gehören zu seinen großen Leidenschaften. Also beschloss er zu studieren und absolvierte von 2003 bis 2012 das Magisterstudium für Philosophie und Psychologie an der Technischen Universität in Darmstadt. Allerdings machte er keinen Abschluss, „Wozu brauchte ich den schon?“ Vielmehr beschäftigte ihn bereits damals die Frage des Alterns und wie es einem gut gelingen kann. Statt Magisterarbeit schrieb er deshalb das Buch „Fröhlich altern“. Seither reist der heute 72-Jährige umher, hält Vorträge und Lesungen, bietet philosophische Beratungsgespräche an und hat den Verein Akademie 55plus in Darmstadt mitgegründet. Dieser zählt inzwischen mehr als 1500 Mitglieder.
Angeboten werden Ausflüge, Vorträge, Kurse und Seminare zu unterschiedlichen Themen für über 55-Jährige. Insgesamt über 400 Veranstaltungen pro Jahr. Heymann organisiert dabei die öffentlichen Vorträge im Wohnpark Kranichstein. Ganz wichtig ist laut Heymann „etwas Sinnvolles zu tun“. Er rechnet vor: Wer heute in Rente geht hat im Durchschnitt noch 20 bis 25 Jahre. Das sei trotz aller Beschwerden auch eine Chance. „Eine Zeitspanne, in der man noch mal voll durchstarten kann.“ Heymann will seinen Mitmenschen Mut machen, etwas Neues zu probieren. Will zeigen, dass das Alter noch viel beinhaltet. Manche fingen an Marathon zu laufen, andere übernähmen eine ehrenamtliche Tätigkeit. „Das hat den großen Nebeneffekt, dass man Wertschätzung erlangt.“
Doch man müsse auch etwas dafür tun, dass man im Alter nicht so schnell vergreise. Bewegung, gesunde Ernährung und soziale Kontakte hält der Philosoph hierbei für am wichtigsten. Nach Cicero (106–43 v. Chr.) seien die Gründe für die meisten Krankheiten im Alter auf eine schlechte Lebensweise davor zurückzuführen. Natürlich habe auch die genetische Ausstattung eines Menschen Einfluss. Eine aktuelle Studie zeige, dass heute 95 Prozent der über 70 Jährigen mindestens fünf ärztlich diagnostizierte Leiden haben. Doch man solle die Aufmerksamkeit nicht so sehr darauf richten, rät Heymann. „Die Geheimwaffe, die vielleicht noch vor der Prävention kommt, liegt darin, welche persönliche Einstellung wir zum Alter haben“, sagt er. Wer positiv darüber denke, lebe länger. Der Unterschied mache sieben Jahre aus, zitiert er eine Studie der Yale-University.
Bei seinen Wohnzimmer-Lesungen, die er anbietet, werde immer sehr deutlich, wie die Anwesenden zuerst über ihre Beschwerden reden würden und dann der Fokus zu dem von ihm mitgebrachten Thema hinginge.
Und als Trick, um den altersbedingten Einbußen zu trotzen nennt er das SOK-Modell: Selektion (auf das Wesentliche konzentrieren), Optimieren (das verbessern, was man kann) und Kompensation (Hilfsmittel wie Brille oder Notiz gegen Vergesslichkeit einsetzen).
Da laut demografischen Studien bereits in zwei Jahren ein Drittel der Bevölkerung über 60 sein wird, 2060 werden es sogar 40 Prozent sein, ist laut Heymann eine neue Sichtweise des Alters vonnöten. Die Jugendphase dauere heute länger, das mittlere Alter gehe bis 60 und die 60 bis 80-Jährigen seien die „jungen Alten“. Doch man müsse sich trauen, etwas auszuprobieren. Dabei seien Frauen aktiver und mutiger, sagt Heymann.
Derzeit arbeitet er an einer Autobiografie und einer Fortsetzung des Buchs „Fröhlich altern“.