Benz gegen Kolmer - das Duell vor der OB-Stichwahl in Darmstadt

Wechsel oder Kontinuität? In Darmstadt entscheidet sich an diesem Sonntag, 2. April, in einer Stichwahl, wer Nachfolger von Oberbürgermeister Jochen Partsch (Grüne) wird. Das FR-Streitgespräch mit den Kandidaten Michael Kolmer (Grüne) und Hanno Benz (SPD).
Herr Benz, Sie sprachen nach dem ersten Wahlgang von einer „gespaltenen Stadt“. Wo sehen Sie diese Spaltung?
Hanno Benz: Wenn man sich das Wahlergebnis anschaut, dann stellt man fest, dass drei Kandidaten und eine Kandidatin um die 20 Prozent bekommen haben, und dass sich die Verteilung der Stimmen in einem inneren und einem äußeren Ring beschreiben lässt, wo die vier jeweils stark waren. Deshalb kann man schon davon sprechen, dass es sehr unterschiedliche Ergebnisse in dieser Stadt gegeben hat. Darauf muss Politik insgesamt reagieren, weil ich glaube, dass auf Dauer so große Unterschiede in der Einschätzung der Themen nicht gut sind.
Ist Darmstadt „gespalten“, Herr Kolmer?
Michael Kolmer: Ich kann eine klare Aufteilung so nicht erkennen, möchte sogar vor ihr warnen. Ich halte es nicht für gut, die Spaltung herbeizureden, um zu versuchen, von ihr politisch zu profitieren. Wenn wir uns das Ergebnis anschauen, gibt es durchaus Unterschiede. So sind in Eberstadt die Kandidatinnen und Kandidaten deutlich näher beisammen gewesen. Gleichwohl ist es so, dass – unabhängig von Wahlergebnissen – ein Oberbürgermeister immer auf die ganze Stadt schauen und einen Ausgleich herbeiführen muss.
OB-Wahl in Darmstadt: Die Wahlplakate
Lassen Sie uns einen Blick auf die Slogans Ihrer Wahlplakate werfen: „Darmstadt muss man können“ ist auf Ihrem zu lesen, Herr Kolmer. Was können Sie für das Amt des Oberbürgermeisters vorweisen?
Kolmer: Ich bringe 23 Jahre Erfahrung in der Stadtverwaltung ein, davor wissenschaftliche Erfahrung an der Technischen Universität Darmstadt. Ich habe ein breites Erfahrungsspektrum von der Wirtschaftsförderung über die Stadtentwicklung bis hin zu den planerischen Themen jetzt. Durch die genaue Kenntnis bin ich in der Lage, die Stadtverwaltung als guten, attraktiven Arbeitgeber und Dienstleister für die Bevölkerung weiterzuentwickeln. Das Rathaus soll funktionieren – darum geht es den Menschen. Zugleich bin ich in der Lage, mit Besonnenheit auf variable Krisensituationen reagieren zu können.
Mit welchen Kompetenzen werben Sie für sich, Herr Benz? Auf Ihren Plakaten steht, dass Sie „für alle DA sein“, „die ganze Stadt im Blick“ haben und „Soziales, Umwelt und Wirtschaft zusammendenken“ wollten. Was meinen Sie damit konkret?
Benz: Ich habe lange Jahre politische Erfahrung und ich weiß, wie Politik funktioniert. Das ist die Hauptqualifikation, die ein Oberbürgermeister braucht. Wir müssen in dieser Stadt wieder alle Menschen in den Blick nehmen. Es ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig an alle gedacht worden, auch nicht an alle Stadtteile. Daher würde ich als Oberbürgermeister auch wieder Bürgersprechstunden in Präsenz in den Stadtteilen abhalten und wieder Bürgerbüros in den Stadtteilen einrichten, die diese Koalition gestrichen hat. Ich finde, Politik und Verwaltung müssen vor Ort ansprechbar sein.

Michael Kolmer über Jochen Partsch - Hanno Benz über Vater Peter Benz
Herr Kolmer, Sie haben kürzlich gesagt, es gäbe nicht viel Staub auszufegen, wenn OB Jochen Partsch (Grüne) sein Büro für Sie leer räume. Sehen Sie sich als sein „politischer Ziehsohn“, wollen Sie sich von ihm abgrenzen oder würde es mit Ihnen ein „Weiter so“ geben?
Kolmer: Ich sehe, ehrlich gesagt, nicht die Notwendigkeit, mich künstlich von Jochen Partsch zu unterscheiden. Aber wir sind auch unterschiedliche Typen. Ich werde meine eigenen Akzente setzen. Ich setze auf einen modernen Führungsstil, auf Kollegialität sowie darauf, zuhören und dann stark entscheiden zu können.
Herr Benz, Ihr Vater war von 1993 bis 2005 der erste direkt gewählte Oberbürgermeister von Darmstadt. Wie sehr sind Sie davon beeinflusst worden und wie hoch ist der Leistungsdruck, jetzt die Wahl zu gewinnen?
Benz: Da gibt es überhaupt keinen Leistungsdruck. Ich bin in einer politischen Familie groß geworden. Und zu unserem Selbstverständnis hat immer auch gehört, sich für die Gemeinschaft zu engagieren. Ich habe das immer wieder getan, bin mit 16 Jahren bei den Jungsozialisten und in die SPD eingetreten, habe mich kommunalpolitisch engagiert. Viele Menschen haben mich ermuntert, jetzt für das Amt des Oberbürgermeisters zu kandidieren.

OB-Wahl in Darmstadt: Bürgerbeteiligung
In der Stadt ist zu hören, die Politik der Grünen in Darmstadt sei schon lange nicht mehr so grün. Aus dem Klimaschutzbeirat kam etwa Kritik bei der Erstellung des Klimaschutzplans. Und generell gibt es einen gewissen Unmut über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern vor Entscheidungen. Wie lässt sich das ändern?
Kolmer: Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass wir im aktiven Diskurs mit der Stadtgesellschaft einen exzellenten Klimaschutzplan aufgelegt haben, der uns die Klimaneutralität bis zum Jahr 2035 bringen wird. Man muss die Stadt immer als Ganzes betrachten und als Gesamtsystem verstehen. Die kontinuierliche Weiterentwicklung von Bürgerbeteiligung halte ich für eine wichtige Aufgabe. Ich strebe einen Neustart von Beteiligung an – die vielen guten Erfahrungen aufgreifen, schauen, wo wir noch besser vermitteln müssen, wie etwa bei Straßenumplanungen. Auch das Format der Stadtteilforen möchte ich weiterentwickeln und ausbauen.
Benz: Wenn Herr Kolmer von einem „Neustart von Bürgerbeteiligung“ spricht, heißt dies ja, dass diese bislang nicht gut genug gelaufen ist. Und genau das sehe ich auch so. Es muss um eine ehrliche Bürgerbeteiligung gehen. Und die fehlt in dieser Stadt. Es kann nicht sein, dass die Stadt vorgibt, worüber gesprochen wird. Wir müssen gemeinsam mit den Menschen darüber sprechen, wo der Schuh drückt, und was sie in Beteiligungsfragen mitbestimmen möchten. Dies müssen wir dann auch umsetzen und sie auch ernst nehmen.
Streitgespräch zur OB-Wahl in Darmstadt: Dezernatsverteilung
Herr Benz, Sie haben angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs das Mobilitätsdezernat aus den Händen von Stadtrat Kolmer in die Verantwortung von Ordnungsdezernent Paul Georg Wandrey (CDU) geben zu wollen, um einen „Mobilitätsfrieden“ herzustellen. Ist das gute Zusammenarbeit?
Benz: Ich halte es für absolut notwendig, den Bürger:innen vor der Wahl zu sagen, was man vorhat. Das ist guter Stil. Im Moment haben wir eine Dezernatsverteilung, die vor allem auf der Basis von parteipolitischen Spielchen innerhalb der Koalition gemacht worden ist. Wir haben mit Herrn Wandrey einen Dezernenten, der so gut wie keine Aufgaben mehr hat, weil er vor der Wahl von OB Partsch so gut wie alles weggenommen bekommen hat. Und wir haben auf der anderen Seite einen Dezernenten, der mit Mobilität, Stadtplanung, Umwelt und so weiter so viele Aufgaben hat, dass diese Zukunftsthemen von ihm gar nicht so bearbeitet werden können, wie sie müssen. Für mich als Oberbürgermeister ist es wichtig, dass wir diese Aufgaben gerecht verteilen. Sie bleiben ja auch in der Koalition.

Wie finden Sie das, Herr Kolmer?
Kolmer: An dieser Stelle sehen wir den unterschiedlichen Stil zwischen uns beiden. Ich halte diese Ankündigung für eine Fragestellung, wie man Politik als Machtpolitik handhabt, und wie man das Stilmittel der Spaltung einsetzt. Zugleich kann ich keine fachliche Idee erkennen. Denn Mobilitätspolitik und Klimaschutz hängen eminent miteinander zusammen. Der Verkehrssektor wird es sein, der wesentliche Beiträge zum Klimaschutz zu erbringen hat. Und ich erkenne auch darüber hinaus in einer solchen Ankündigung keine verkehrspolitische Idee. Mein Ansatz hingegen wird es sein, als Oberbürgermeister zuzuhören und in Kollegialität über die künftige Dezernatsverteilung zu diskutieren und dann mit Kraft zu entscheiden. Das werde ich aber nicht ohne vorherige Gespräche mit meinen Kolleg:innen im Magistrat machen. Mir geht es um Darmstadt und nicht um meine persönlichen Machtinteressen.
Die Kandidaten und Infos zur OB-Wahl
Michael Kolmer (Grüne), 53, ist in Darmstadt geboren und seit 2021 Dezernent für Planung, Umwelt, Klimaschutz und Mobilität. Im ersten Wahldurchgang erhielt er 23,7 Prozent der Stimmen. Er steht für eine Fortführung der Politik des scheidenden OB Jochen Partsch mit neuen Akzenten. Die Koalitionspartner der Grünen, CDU und Volt, haben eine Wahlempfehlung für Kolmer ausgegeben.
Hanno Benz (SPD), 50, früher Partei- und Fraktionsvorsitzender der SPD, ist Leiter Public Affairs des Frankfurter Energieversorgers Mainova und Sohn des früheren Darmstädter OB Peter Benz (SPD). Im ersten Wahlgang erhielt er 20,6 Prozent der Stimmen. Er verspricht einen Politikwechsel, hat aber keine politische Mehrheit hinter sich. Eine Wahlempfehlung für Benz gibt es von den Freien Wählern.
Die Stichwahl für das Amt des Oberbürgermeisters in Darmstadt findet am Sonntag, 2. April, statt. Die Wahllokale sind von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Rund 114 200 Bürgerinnen und Bürger dürfen zur Urne. Die Wahlbeteiligung lag im ersten Wahlgang mit zehn Kandidierenden bei knapp 49 Prozent.
Zum öffentlichen Wahlabend lädt die Stadt ab 18 Uhr (Einlass 17.30 Uhr) in die Centralstation im Carree. Dann werden die Wahlergebnisse auf einer Großbildleinwand einlaufen. Der amtierende OB Jochen Partsch (Grüne) eröffnet den Abend. Die beiden Kandidaten Michael Kolmer und Hanno Benz werden vor Ort erwartet. cka/jjo
OB-Wahl in Darmstadt: Koalition und Opposition
Herr Benz, Sie haben angekündigt, Sie wollen auch die Blockbildung in der Stadtverordnetenversammlung auflösen und mit allen Parteien reden. Klingt gut, aber müssen Sie das nicht sowieso tun, zumal Sie keine politische Mehrheit hinter sich haben würden?
Benz: Eine Einschränkung möchte ich machen: Ich werde nicht mit der AfD reden. Ansonsten steht meine Tür allen offen. Wenn ich gewählt werde, zeigt es, dass die Darmstädter:innen einen Wechsel wollen. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Parteien in der Stadtverordnetenversammlung dem nicht Rechnung tragen. Und insofern ist es dann meine Aufgabe, gemeinsam mit allen Parteien Lösungswege zu finden. Ich kann die Koalition nur warnen, in so einem Fall in eine Blockadehaltung zu fallen, weil das die Stadt am Ende nicht nach vorne bringt, sondern lähmt.
Kolmer: Ich sehe eine solche Blockbildung in der täglichen parlamentarischen Arbeit nicht. Koalitionen sind Teil der Normalität in der Demokratie. Wenn wir uns die Entscheidungen in der Stadtverordnetenversammlung anschauen, sieht man, dass in der Regel Beschlüsse mit breiterer Mehrheit als nur von der Koalition gefasst werden. Der Beschluss zur Prüfung eines Verkehrsversuchs auf der Kasinostraße vergangene Woche wurde zum Beispiel mit breiter Mehrheit gefasst. Außerdem ist es selbstverständlich, dass ein Oberbürgermeister mit allen Parteien des demokratischen politischen Spektrums in einem guten Kontakt ist.

Darmstadt im Jahr 2029: Die OB-Kandidaten wagen einen Ausblick
Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wir haben das Jahr 2029, Ihre erste Amtszeit neigt sich dem Ende zu. Was hat sich in den vergangenen fünf Jahren in der Stadt verändert?
Benz: Wir haben zunächst in der Stadt wieder zu einem Miteinander gefunden und haben die wichtigsten Projekte, insbesondere Wohnen und Verkehr, im Einvernehmen gelöst. Wir sind auf einem guten Weg, den ÖPNV auszubauen samt Planungen für Straßenbahnlinien nach Weiterstadt, Groß-Zimmern und Wixhausen. Und wir sind vor allem mit den umliegenden Landkreisen in den Fragen bei einem gemeinsamen Verkehrsentwicklungsplan angekommen und haben ein gemeinsames Bündnis für Wohnen, um diese Frage in einem großen Rahmen zu lösen und nicht als Insel.
Kolmer: Wir haben wesentliche Schritte auf dem Weg zur Klimaneutralität erreicht, haben beispielsweise die Sanierung städtischer Bauten fast abgeschlossen, Solarpotenziale auf den städtischen Dächern praktisch vollständig gehoben und sind auch auf den anderen Pfaden vorangekommen: Ausbau des ÖPNV, Mobilitätswende - und zwar immer gemeinsam im produktiven Streit. Haben Wesentliches auf Basis des Wohnungsbaus getan, vom Eberstädter Klinikum bis zum Messplatz, und können uns hoffentlich einer Projektentwicklung der Starkenburgkaserne annehmen. Wir haben Darmstadt sozial und ökologisch gemeinsam mit den Menschen weiter gebracht und können gut ins Jahr 2035 schauen, wenn wir die Klimaneutralität tatsächlich erreicht haben wollen.

OB-Stichwahl am 2. April in Darmstadt: Warum soll man Sie wählen?
Warum sollten Wähler:innen, die im ersten Wahlgang die anderen Kandidierenden gewählt haben, am Sonntag Ihnen ihre Stimme geben?
Kolmer: Weil ich für eine zukunftsgerichtete Stadtentwicklung stehe, die Darmstadt dynamisch, aber mit Besonnenheit weiterentwickelt. Die nicht für Stillstand und Rückschritt steht. Und Darmstadt gleichzeitig gut in eine klimageschützte lebenswerte Zukunft führt und unanfällig gegen Krisen macht.
Benz: Die Antwort ist relativ einfach: Alle Menschen, die in Darmstadt einen anderen Politikstil, kein „Weiter so“ und keine grüne Dominanz wollen, sondern die die starren Blöcke in der Stadtverordnetenversammlung auflösen möchten, die müssen den Wechsel wählen. Und der Wechsel bin ich.

Darmstadt: Die OB-Kandidaten über ihre gegenseitige Wertschätzung
Was schätzen Sie an Ihrem Mitbewerber?
Benz: Seine Detailkenntnis in Verwaltungsfragen, auf die ich gerne bauen werde, wenn ich Oberbürgermeister bin.
Kolmer: Ich schätze an Herrn Benz, dass wir so hervorragend Streitgespräche führen können.
Herr Benz, Herr Kolmer, wir danken Ihnen für das Gespräch.